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Braunkohle-TagebauStille Tage in Immerath

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Erkelenz-Immerath – Der dunkle, graue und regnerische Tag lässt die ausgestorbenen Straßen von Immerath gespenstisch wirken. Menschen sind weit und breit nicht zu sehen. Im Dorf sind höchstens noch fünf oder sechs Häuser bewohnt. Drei oder vier Autos stehen an der Straße: Die restlichen Bauten sind verbrettert und vernagelt. Im Krankenhaus an der Lützerather Straße mit dem benachbarten Kloster Haus Nazareth rührt sich seit 2009 keine Hand mehr. Die Fassade bröckelt, nur der Schriftzug Hermann-Josef-Krankenhaus erinnert daran, dass hier für viele Immerather, aber auch für Menschen aus dem Umland, die erste Anlaufstelle für medizinischer Hilfe war. In den 60er-Jahren war es das Erkelenzer Kreiskrankenhaus. Jetzt bröckeln die Wände.

Nur die Kirche St. Lambertus mit ihren beiden markanten Türmen scheint dem Verfall zu trotzen. Doch auch das Schicksal dieser Kirche, als Dom von Immerath bekannt, ist längst besiegelt. Wie das gesamte Dorf wird auch St. Lambertus wohl in diesem Jahr vom Abbruchbagger niedergemacht.

Ein junges Pärchen taucht vor dem neuromanischen Bauwerk aus dem Regen auf. Der junge Mann zückt eine Kamera und schießt ein Bild von der Front des Domes und verschwindet mit der jungen Frau im grauen Morgen.

Joachim Reißaus hat es nicht so eilig. Lange betrachtet er das Eingangsportal der Kirche. Er würde gerne wissen, wann die Kirche abgebrochen wird. Aber das hat auch sein Sohn Hendrik, der sich für die Ereignisse rund um die Rheinischen Tagebaue interessiert, nicht herausfinden können. „Ich würde dann wieder hierher kommen“, sagt der Mann mit dem dunklen Hut. Wann genau der Abbruchbagger die Kirche zerlegen wird, steht in der Tat noch nicht fest.

Auf die Frage, was ihn an diesem Morgen in das nass-kalte Rheinland und nach Immerath getrieben hat, weißt er stumm auf seine beiden Kinder, die gerade die Ornamentik der Lambertus-Fassade studieren. „Die beiden wollten hier hin.“ Tastsächlich bestätigt Sohn Hendrik das Ansinnen. Er, sein Vater und Schwester Marie haben sich am frühen Morgen im sauerländischen Drolshagen auf die 135 Kilometer lange Strecke in den Erkelenzer Ortsteil Immerath gemacht. Fast zwei Stunden war die Familie unterwegs, nicht nur um den Dom zu sehen.

Auch die marode Fassade der Volksbank, die Bäckerei, in der schon lange kein Brot mehr gebacken wird, die zerfallenen Gewächshäuser einer Gärtnerei, die alte Apotheke oder die Metzgerei ziehen die Blicke der Besucher auf sich. Und auch der Friedhof ist nicht mehr so, wie er war. Vereinzelte Gräber gibt es noch. Viele Verstorbene sind umgebettet.

Die Bevölkerung verlässt den Ort schon seit 2006. Da entstanden die ersten Häuser in Neu-Immerath. Für die Immerather war das so etwas wie ein Dammbruch, viele folgten und begannen, neue Häuser zu bauen. Ende 2013 wurde die Kirche entweiht. Schlusspunkt der kirchlichen Geschichte war dann Ausbau der bis zu 1250 Kilogramm schweren Glocken aus den beiden Türmen vor etwa einem Jahr. Einige von ihnen werden in die Kapelle nach Neu-Immerath gebracht. Seither ist die Kirche verschlossen und wird derzeit als Lager genutzt.

Die riesigen Kohlebagger rücken unaufhaltsam näher. Vom Ortsrand aus sind sie schon zu sehen. Große Berge von Schutt erinnern daran, dass hier Menschen gelebt haben. Gut zwei Jahre wird der Abbruch des restlichen Dorfes noch dauern. 2017 werden die Kohlebagger den Ort endgültig erreicht haben.

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