BundestagswahlRege Debatte zwischen Erstwählern und Direktkandidaten in Hürth

Lesezeit 4 Minuten
Auch zum St. Ursula-Gymnasium in Brühl sind die Vertreter von vier Parteien gekommen.

Auch zum St. Ursula-Gymnasium in Brühl sind die Vertreter von vier Parteien gekommen.

Rhein-Erft-Kreis – Von Politikverdrossenheit ist an diesem Nachmittag im Foyer des Hürther Ernst-Mach-Gymnasiums nicht viel zu spüren. 130 Oberstufenschüler sind zur Podiumsdiskussion mit den Direktkandidaten ihres Bundestagswahlkreises gekommen. Und kaum einer macht den Eindruck, lediglich deshalb auf einem der Stühle Platz genommen zu haben, weil die Veranstaltung im Vergleich zum gewohnten Unterricht das kleinere Übel darstellt.

Zu intensiv verfolgen die Schüler das Geschehen und als sie endlich ihre Fragen an die Politiker loswerden können, wird es richtig munter. Das Bild gleicht einer Veranstaltung tags zuvor im Nachbarwahlkreis, am Brühler St. Ursula-Gymnasium. Auch dort herrscht reges Interesse unter den 250 Oberstufenschülern.

Eine Schülerin fordert, möglichst viele Menschen aus Krisenregionen hierzulande aufzunehmen und stößt damit auf geteiltes Echo. Unisono wird betont, dass man nicht alle Notleidenden aufnehmen könne. Detlef Seif, Bundestagsabgeordneter aus Weilerswist, verweist auf klare rechtliche Rahmenbedingungen bei Asylverfahren, die es einzuhalten gelte.

In Hürth will ein Mädchen wissen, ob die Politiker für die Legalisierung von Cannabis sind. „Ich will nicht, dass möglichst viel konsumiert wird, aber ich denke, dass Aufklärungsarbeit besser funktioniert als Verbote“, sagt Christian Pohlmann (FDP) und vertritt damit eine Meinung, der lediglich der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Georg Kippels widerspricht. Um Massentierhaltung dreht sich die Frage eines anderen Teenagers. Rüdiger Warnecke von den Grünen bekennt bei dieser Gelegenheit, seit anderthalb Jahren Vegetarier zu sein. Pohlmann wendet sich auch in diesem Punkt gegen eine Bevormundung des Bürgers.

Breites Themenspektrum

In Brühl wie in Hürth beschäftigen Digitalisierung, Integrationspolitik und Infrastrukturprobleme die Schüler – und sie wollen Antworten haben, bevor sie erstmals ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel machen. Doch auch die andere Seite hat großes Interesse an den Schülern. Die Politiker sind sichtlich bemüht, zu überzeugen und zu gefallen. Da wird mit dem Alter kokettiert, auf den eigenen Nachwuchs, der ebenfalls die Schulbank drückt und gedrückt hat, verwiesen und auf das schlechte Handynetz im Schulgebäude geschimpft. Sie alle wissen, dass in den Stuhlreihen vor ihnen nicht wenige Erstwähler sitzen. Also junge Menschen, die jetzt und noch viele weitere Male stimmberechtigt sein werden. In Hürth ist rund die Hälfte der 130 Anwesenden schon volljährig und besitzt einen deutschen Pass.

248.864 Menschen wahlberechtigt

Im Wahlkreis 91, zu dem große Teile des Rhein-Erft-Kreises zählen, werden bei der Bundestagswahl am 24. September 248.864 Menschen wahlberechtigt sein, darunter 12.602 Erstwähler. Weitere 4848 sind in Brühl, Wesseling und Erftstadt zu Hause, die wie der gesamte Kreis Euskirchen zum Wahlkreis 92 gehören.

Unter den wahlberechtigten Schülern in Hürth und Brühl dürften einige auch den Gang in die Wahlkabine antreten. Das belegen ihr Eifer und ihr gespanntes Zuhören. Für Kippels spiegelt das einen Trend wider. „Die Jugendlichen sind zunehmend wieder politisch interessiert“, sagt er. Das glaubt auch sein Kontrahent von der SPD, Dierk Timm. Interessant findet dieser, dass sich die Schüler vor allem für bundes- oder weltpolitische Themen begeistern. „Den Jungen und Mädchen geht es nur selten um Kanaldeckelpolitik vor Ort, sondern eher um das große Ganze wie Krieg und Frieden.“

Und noch etwas beeindruckt: die souveräne Moderation. In Brühl haben das mit Lennart Kuhl und Juliette Cherpin zwei Mitglieder der Schülervertretung übernommen. Sie haben neben Seif auch Hans-Werner Ignatowitz (Die Grünen), Ute Meiers (SPD), Markus Herbrand (FDP) befragt. Nicht gekommen war Susanne Schütze-Lülsdorf (Die Linke) – obwohl die Schüler sich um Kontakt bemüht hatten. Rüdiger Lucassen von der AfD hatte man nicht eingeladen.

Eine Botschaft eint die Politiker, die nach Brühl und Hürth gekommen sind: Der Appell an die Erstwähler, ihr Stimmrecht wahrzunehmen.

Gelungene Moderation

Mit Lea Icks und Matteo Marchetto hatte man den ins Hürther Ernst-Mach-Gymnasium gekommenen Politikern zwei schlagfertige Moderatoren zur Seite gestellt. Die Schüler führten souverän durch die Debatte in der Aula. Ihre gute Vorbereitung zeugte von großem Interesse am Wahlgeschehen. Im Fall von Matteo sicherlich keine Selbstverständlichkeit.

Der gebürtige Italiener

wäre wegen seines Alters zwar wahlberechtigt, doch ihm fehlt die deutsche Staatsangehörigkeit, um seine Stimme abgeben zu dürfen. „Ich arbeite auf jeden Fall daran, auch auf dem Papier ein Deutscher zu sein, denn ohne Wählen geht es nicht“, so der 18-Jährige. Obwohl er nicht zur Wahlurne gehen darf, ist er stolz, die Vertreter des Wahlkreises an seiner Schule begrüßen zu dürfen. „Man sollte auch mal die fragen, die sonst weniger beachtet werden. Und das sind wir Jugendliche“, sagt er.

Zwei Stunden habe er sich mit seiner Co-Moderatorin Lea vorbereitet, um die Kandidaten Dierk Timm (SPD), Dr. Georg Kippels (CDU), Christian Pohlmann (FDP), Rüdiger Warnecke (Grüne), Zeki Gökhan (Linke), Marius Hövel (Piraten) und den parteilosen Tevfik Celikkan zu treffen. (gj)

KStA abonnieren