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Geburt in der 23.WocheNotkaiserschnitt rettete Emilys Mutter das Leben

Lesezeit 6 Minuten
Daniela Koll brachte Emily in dei 23. Schwagerschaftswoche zur Welt. Jetzt ist sie zweieinhalb Jahre und neugierig, aufmerksam und quirlig.

Daniela Koll brachte Emily in dei 23. Schwagerschaftswoche zur Welt. Jetzt ist sie zweieinhalb Jahre und neugierig, aufmerksam und quirlig.

Frechen-Buschbell – „Mehr Fotos bitte! Mehr Fotos!“, verlangt die zweijährige Emily, nachdem ich sie für diesen Artikel abgelichtet habe. Natürlich mache ich dann noch mehr Fotos von ihr, von ihrem Stoffesel IA, und sie darf auch mal selbst auf den Auslöser drücken. Dass sie das alles kann, ist ein großes Wunder – denn als Emily am 27. Januar 2014 per Notkaiserschnitt in der Kölner Uniklinik auf die Welt geholt wurde, war sie nur 30 Zentimeter groß und 490 Gramm schwer.

Erkrankung der Mutter gefährdete die Geburt

„Ich hatte in der Schwangerschaft eine Infektion und der Muttermund hatte sich zu früh geöffnet. Als sich dann noch die Plazenta ablöste, musste der Kaiserschnitt gemacht werden“, erzählt Emilys Mutter Daniela Koll (29). Zuerst lag sie eine Woche im Frechener Krankenhaus und wurde dann in die Uniklinik verlegt, die auf die Versorgung von extrem Frühgeborenen spezialisiert sind.

Dort wurde zwei Wochen alles getan, um den Notkaiserschnitt hinauszuzögern. „In dieser Phase der Schwangerschaft zählt jeder Tag“, weiß Daniela Koll. Sie bekam Spritzen, die die Lungenreife des Babys förderten.

Geburt in der 23.Woche

Geboren wurde Emily in der 23. Schwangerschaftswoche – 40 Wochen dauert eine normale Schwangerschaft. „Laut den ärztlichen Leitlinien in Deutschland müssen Ärzte erst ab der 24. Woche alles tun, um das Kind am Leben zu erhalten“, berichet Daniela Koll. „Die 22. und 23. Woche sind eine Grauzone, die Babys können, aber müssen nicht behandelt werden.“ Nicht jedes Krankenhaus ist dafür ausgerüstet, Frühstgeborene zu behandeln.

60 000 Kinder kommen zu früh

Kommt ein Kind vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt, spricht man von einer Frühgeburt. In Deutschland werden pro Jahr etwa neun Prozent und damit rund 60 000 Kinder zu früh geboren. Rund 3500 dieser Kinder gelten mit weniger als 1000 Gramm Geburtsgewicht als Extremfrühchen. Vor der 25. Schwangerschaftswoche werden einige Hundert Frühchen im Jahr in Deutschland geboren.

Das wahrscheinlich frühstgeborene Kind, das überlebt hat, kam 2010 nach nur 21 Wochen und fünf Tagen zur Welt und wog 460 Gramm bei einer Größe von 26 Zentimetern.

Babys, die tot zur Welt kommen und weniger als 500 Gramm wiegen, gelten als Fehlgeburt. Erst seit dem Jahr 2013 können die Eltern diese Kinder auch ins Stammbuch aufnehmen lassen und haben bundesweit das Recht, sie bestatten zu lassen. Zuvor wurden diese Kinder oft mit dem Krankenhausmüll entsorgt. (sts)

Statistisch gesehen lag Emilys Überlebenschance zwischen fünf und 45 Prozent, in der Kölner Uniklinik immerhin bei 80 Prozent. Doch überleben heißt nicht, ohne Behinderungen oder Beeinträchtigungen zu leben. Elf bis 83 Prozent der Frühchen, die in der 23. Woche zur Welt kommen, tragen Hirnschäden davon – diese Statistiken bekam Daniela Koll in der Klinik ausgehändigt. Sie hat sie aufgehoben.

Als Daniela Koll ihre Tochter zum ersten Mal sah, war sie voller Schläuche und „krebsrot“. Die Haut war so empfindlich, dass sie auf die kleinste Berührung mit Blutergüssen reagierte: „Sie lag in einer Nierenschale, als sie mir gezeigt wurde. Ich habe kaum etwas von ihr gesehen, es war heftig.“ Emily wurde beatmet, über eine Magensonde ernährt, erhielt Bluttransfusionen und Medikamente. „Die Ärzte haben vor dem Kaiserschnitt versucht, mich auf alles vorzubereiten. Vor der 24. Woche kommt es auf das Baby an, ob die Ärzte alles geben, um es am Leben zu erhalten, oder nicht“, erzählt Daniela Koll. „Emily hat versucht, allein zu atmen, sie hat gezeigt, dass sie leben will und gekämpft.“ Also hat Daniela Koll auch gekämpft, genauso wie die Ärzte.

Blutwerte lösten öfter Alarm aus

„Die ersten Tage waren kritisch, doch Emily hatte für ein so extrem Frühgeborenes den bestmöglichen Start ins Leben.“ Doch das heißt nicht, dass alles ohne Komplikationen verlief. Immer wieder wurde der Alarm ausgelöst, weil Blutwerte nicht stimmten. Emily hatte eine Hirnblutung, die zum Glück ohne Folgen blieb und eines Nachts konnte sie nicht mehr atmen. Aber Daniela Koll zweifelte nie, dass Emily es schafft. Nachdem sie selbst entlassen worden war, verbrachte sie jeden Tag in der Klinik an Emilys Seite. „Morgens habe ich gleich nach dem Aufwachen in der Klinik angerufen und abends vor dem Zubettgehen auch noch einmal. Das Team in der Klinik war großartig.“

Nach eineinhalb Wochen fing Daniela Koll mit dem „Känguruen“ an. Dabei werden die Frühchen den Eltern auf den Oberkörper gelegt, auf die nackte Haut. „Es ist erwiesen, dass Körperkontakt die Entwicklung der Frühchen fördert“, sagt Daniela Koll und „kängurute“, so oft es ging.

Zwei Monate lag Emily auf der Intensivstation. In dieser Zeit musste Daniela Koll auch miterleben, dass andere Frühchen es nicht schafften. „Man sitzt da und denkt nur: Hoffentlich ist es morgen nicht mein Baby, das notgetauft wird.“ Aber sie hat sich auch mit anderen Eltern in dieser schweren Zeit angefreundet und zum Teil heute noch Kontakt zu ihnen.

Im Juni 2014 konnte Emily das Krankenhaus verlassen, knapp zwei Wochen nach dem ursprünglich errechneten Entbindungstermin. Da wog sie 2160 Gramm. „Vor der Entbindung war ich so ungeduldig, sie nach Hause so holen, aber dann war es auch merkwürdig. Alles war plötzlich anders.“

Emily bekam einen Überwaschungsmonitor mit, der ihre Herzfrequenz und die Sauerstoffsättigung überwachte. Daniela Koll hatte ein Notfalltraining mitgemacht und die Wiederbelebung bei Säuglingen gelernt, damit sie handeln konnte, wenn der Monitor Alarm schlägt. „Ich habe lange nur mit einem Auge geschlafen, ein Ohr immer am Monitor.“ Zweimal ging der Alarm los, weil Emily so tief schlief, dass sie vergaß, zu atmen. Doch ihre Mutter wusste, was zu tun ist und erinnerte sie daran.

Im Kopf ist Emily schon ganz weit

Kurz vor ihrem ersten Geburtstag wurde Emily den Monitor los. Natürlich standen einige Arztbesuche an, sie hatte ein kleines Loch im Herzen, das aber von allein zuwuchs sowie ein paar andere Auffälligkeiten, die überwacht werden mussten. Sie bekam Physiotherapie und bekommt bis heute einmal die Woche Frühförderung vom Frühförderzentrum in Bergheim. „Natürlich ist sie noch nicht so weit wie andere Zweijährige, vor allem motorisch. Aber das kann sie aufholen“, sagt Daniela Koll.

Im Kopf ist Emily schon sehr weit, sie begann schon früh zu sprechen, ist neugierig, aufmerksam und quirlig. Das vermutlich Einzige, das bleiben wird, ist ein Sehfehler. Emily schielt und trägt eine Brille. „Ihr Gehirn hat nicht gelernt, beide Augen gleichzeitig zu benutzen, deshalb hat sie Schwierigkeiten mit dem räumlichen Sehen. Aber ich denke, sie kann ganz normal mit sechs Jahren eingeschult werden“, sagt Daniela Koll. „Emily ist ein Sonnenschein, fast nie schlecht gelaunt, total unkompliziert und sie hat ihren eigenen Kopf, wie jede Zweijährige.“

Während unseres Gesprächs kocht Emily in ihrer Kinderküche unsichtbare Nudeln für uns, zeigt uns eine Katze („Miau!“) in ihrem neuen Buch, will Musik hören, einen Joghurt essen und die Blumen gießen. Sie hält ihre Mutter auf Trab, aber das macht der nichts aus. „Es ist so schön zu sehen, dass sie heute läuft und spricht und sich so toll entwickelt. Jeden Tag, den sie rumläuft, spielt und fröhlich ist, denke ich daran, dass es nicht selbstverständlich ist, sondern ein Wunder.“

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