BürgerversammlungProtest in Brüggen gegen Flüchtlingsunterkünfte

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Sehr viele Hände gingen bei der Frage hoch ,wer gegen den Bau von zwei Flüchtlingswohnhäusern am Friedhofsweg sei.

Sehr viele Hände gingen bei der Frage hoch ,wer gegen den Bau von zwei Flüchtlingswohnhäusern am Friedhofsweg sei.

Kerpen-Brüggen – Nein, mit großen Protesten rechne er nicht, hatte Dietmar Reimann kurz vor Beginn der Infoveranstaltung gelassen geklärt. „In Türnich, Balkhausen und Brüggen sind bislang erst 29 Flüchtlinge untergebracht, alle in normalen Wohnungen. Da gibt es sicherlich noch Kapazitäten, um weitere Menschen bei uns aufzunehmen.“

Anderthalb Stunden später blickte nicht nur der Ortsvorsteher für die Südstadtteile ziemlich konsterniert in die Runde. Auch Bürgermeister Dieter Spürck, sein Beigeordneter Joachim Schwister und die Integrationsbeauftragte Annette Seiche konnten kaum fassen, wie wütend, ablehnend und feindselig nicht wenige der fast 200 in der Brüggener Mehrzweckhalle versammelten Bürgerinnen und Bürger auf das Vorhaben reagierten, am Friedhofsweg zwei Wohnhäuser für maximal 55 Flüchtlinge zu errichten.

Ausländerfeindliche Äußerungen der Bürger

Das gipfelte in offen ausländerfeindlichen Äußerungen: „Die sind frauenfeindlich, die sind rassistisch. Die kommen doch alle aus der Steinzeit. Diese Leute kann man gar nicht integrieren“, rief eine Frau in den Saal – und erntete ebenso Beifall wie die Bürgerin, die meinte, man habe „im Ort schon genug Polen, Russen und Rumänen. Ihr habt es doch nicht mal geschafft, die Türken zu integrieren. Und jetzt will man uns noch mehr Leute vor die Nase setzen.“ Ein älterer Herr aus dem Friedhofsweg befürchtete eine Art Überfremdung der Straße, an der nach seiner Zählung derzeit etwa 30 Menschen wohnen. „Ihr glaubt doch selbst nicht, dass es bei 55 Flüchtlingen bleibt. Am Ende kommen doppelt so viele nach. Und dann muss man nicht die, sondern uns integrieren.“

Die enge Sackgasse habe „nicht genug Kapazität für so viele Menschen“; Flüchtlinge aus einem anderen Kulturkreis seien neben einen christlichen Friedhof deplatziert; die alten Menschen könnten bald nicht mehr sicher zu den Gräbern ihrer Angehörigen gelangen, die Kinder könne man nicht mehr allein zur Grundschule gehen lassen; es gebe doch „für unsere eigenen Kinder schon jetzt kaum genug Kita-Plätze“ und und und.

Andere Teilnehmer betonten, dass man wirklich notleidenden Familien aus Syrien „in begrenztem Rahmen“ gern Zuflucht gewähre. „Aber alleinstehende junge Männer aus Nordafrika wollen wir hier nicht haben. Kann uns die Stadt garantieren, dass da nicht auch irgendwelche Kriminellen einziehen?“

So ging es eine geschlagene Dreiviertelstunde lang, bis sich zaghaft die erste Frau zu Wort meldete, die von ihren guten persönlichen Erfahrungen mit Flüchtlingen berichtete und dazu aufrief, „den neuen Nachbarn doch eine Chance zu geben und nicht nur die Probleme, sondern auch die große Not der vom Krieg aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen zu sehen.“ Die Reaktion kam prompt: „Ach, geh’ doch nach Hause“, rief jemand unter hämischem Gelächter in den Saal.

Dezentrale Unterbringung

Das hielt einige weitere in der Flüchtlingshilfe engagierte Bürger später aber nicht davon ab, mit eindringlichen Worten für mehr Toleranz und Hilfsbereitschaft zu werben. Irgendwann initiierte jemand eine Abstimmung per Handzeichen. Eine riesige Mehrheit stimmte gegen die Pläne.

Zu Beginn der Versammlung hatten Bürgermeister Spürck und der Beigeordnete Schwister das Bauvorhaben und das städtische Konzept für die Aufnahme von Flüchtlingen detailliert erläutert und mit Engelszungen für Verständnis geworben.

Für Flüchtlinge, die die Erstaufnahme durchlaufen haben und die voraussichtlich länger in Kerpen bleiben werden, will die Stadt auf kurzfristig verfügbaren städtischen Grundstücken wie in Brüggen hingegen mehrere kleinere dezentrale Wohnhäuser bauen. Bushaltestellen, Schulen, Kitas und Supermärkte sollen zu Fuß erreichbar sein. Die Nähe zur einheimischen Bevölkerung sei ausdrücklich erwünscht, betont die Verwaltung: „Die dezentrale Unterbringung ermöglicht den Menschen die Anbindung an das Stadtteilleben. Das ist die Grundlage für eine gelingende Integration.“

Eben dies sehen viele Brüggener offenbar ganz anders. Spürck sagte zu, die Bedenken und auch die Anregung, zumindest die Zahl der für den Friedhofsweg vorgesehenen Unterbringungen zu senken, im weiteren Verfahren genau zu prüfen.

Bauvorhaben

Der Brüggener Friedhofweg ist eine etwa 250 Meter lange Sackgasse, geprägt von Einfamilienhäusern. Zwischen den letzten Häusern und dem Friedhof am Ende der Gasse möchte die Stadt auf einer 1500 Quadratmeter großen Wiese in Fertigbauweise ein nicht unterkellertes, zweigeschossiges Doppelhaus sowie ein Dreifachhaus errichten. Werden sie als Flüchtlingsunterkünfte nicht mehr benötigt, können sie in Sozialwohnungen umgewandelt werden.

Flüchtlingswohnungen ähnlich wie in Brüggen will die Stadt auch in Sindorf (Augsburger Straße) und Blatzheim (Peters Mühle) bauen. Hierzu gibt es Infoveranstaltungen am heutigen Montag, 13. Juni, ab 19 Uhr in der Sindorfer Ulrichschule und am morgigen Dienstag, 14. Juni, ab 19 Uhr im Blatzheimer Kunibertushaus. (jo)

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