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HolocaustGunter Demnig verlegte in Kerpen Stolpersteine zur Erinnerung

Lesezeit 4 Minuten
Elisabeth Roer, geborene Leiser, wurde in Litzmannstadt, heute Lodz, ermordet. Hermann Roer starb noch kurz vor Kriegsende. Fritz Roer überlebte das KZ und wurde 1945 befreit.

Elisabeth Roer, geborene Leiser, wurde in Litzmannstadt, heute Lodz, ermordet. Hermann Roer starb noch kurz vor Kriegsende. Fritz Roer überlebte das KZ und wurde 1945 befreit.

Kerpen – Während Gunter Demnig noch damit beschäftigt ist, die Stolpersteine für die Familie Brünell in das Pflaster der Eulenstraße einzubringen, betet deren Nachfahre Craig Bruenell den Kaddisch, das jüdische Totengebet. Der Amerikaner ist mit Ehefrau Deborah und Sohn Saul aus den USA angereist, um in Kerpen dabei zu sei, wenn dort zur Erinnerung an frühere jüdische Mitbürger, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft wurden, Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig eingelassen werden.

Rund 61.000 solcher Stolpersteine hat der Künstler Demnig schon in mehr als 20 Ländern Europas in den Boden eingelassen. Sie enthalten die Namen und die Lebensdaten der Opfer und werden dort platziert, wo diese zuletzt gewohnt haben. In Kerpen war das Thema lange umstritten.

Erst im Dezember 2015 fand sich auf Drängen der Grünen, die auch die Kosten für die ersten Stolpersteine übernehmen, dafür eine knappe Mehrheit im Rat, was Bürgermeister Dieter Spürck nun noch einmal als „richtige Entscheidung“ lobte.

Verwandte in Köln

An zwei Stellen wurden die ersten Stolpersteine in Kerpen verlegt: an der Hahnenstraße 49, dem einstigen Wohnort der Familie Roer, und an der Eulenstraße (früher Bergstraße 7), wo die Familie Brünell lebte. Neun Nachfahren der Familie Brünell, darunter ein in Köln lebender Familienzweig, wohnten der Zeremonie bei. Craig Bruenell, dessen Vater Berthold Brünell noch rechtzeitig nach Amerika auswandern konnte, erinnerte an seinen Opa Karl, der in Kerpen mit seiner Familie als Viehhändler lebte.

Während Frau und Kinder 1939 nach New York fliehen konnten, bekam er keine Ausreisegenehmigung und wurde 1942 ermordet. „Ich stelle mir vor, wie es sein würde, wenn damals, 1939, alles anders gewesen wäre. Wenn die Nationalsozialistische Partei nicht existiert hätte, wäre meine Familie heute in Kerpen etabliert.

Es gäbe keine Stolperstein-Zeremonien, ich würde Deutsch und vielleicht ein kleines bisschen Schulenglisch sprechen.“ Leider aber sei die Familie Brünell, wie viele andere unschuldige Menschen „in der Geschichte gefangen“ gewesen. Er sei froh, dass es für seinen Großvater und andere Angehörige nun in Kerpen ein eigenes Mahnmal gebe: „Jeder, der sich entscheidet, es zu betrachten, kann dabei an meine Familie denken.“

Auch Nachfahren der Familie Roer begrüßten die Stolperstein-Verlegung: Gregory Roer, Sohn des 2010 in den USA verstorbenen Kerpener Juden Fritz Roer, schickte eine Botschaft aus Seattle. Darin bedankte er sich für die „Realisierung und Umsetzung“ des Stolperstein-Projektes. „Ich möchte unterstreichen, dass wir zwar alle von der Geschichte lernen sollen, aber dafür nicht verantwortlich sind – es sei denn, wir wären dabei gewesen und hätten mitgemacht.“

Eine Reihe Bürger und Vertreter der Kirchen wohnten der Verlegung der Stolpersteine bei. Die Nachfahren der Familie Brünell trugen sich noch ins Goldene Buch der Stadt ein und besichtigten das ehemalige Ghettohaus am Filzengraben und die ehemalige Synagoge an der Antoniterstraße.

Familiengeschichte

Der 1878 in Kerpen geborene Viehhändler Sigmund Brünell heiratete 1922 die aus Kreuzau stammende Emma Roer. Beide wurden später ermordet. Sigmunds – 1891 geborener – Bruder Karl war auch Viehhändler. Ein dritter, 1897 geborener Bruder hieß Julius Brünell. Karl Brünell heiratete 1923 Rosa Rothschild aus Büllingen. 1925 wurde ihr Sohn Egon, 1930 Sohn Berthold geboren.

Rosa und die zwei Söhne konnten 1939 nach New York auswandern, Karl, der Ehrenmitglied der St.-Sebastianus-Bruderschaft und Repräsentant der Synagogengemeinde war, musste bleiben und wurde ermordet. Julius Brünell versteckte sich in Köln und überlebte so mit Frau und fünf Kindern den Holocaust.

Carl Roer (1886 -1928) war ein geachtetes Mitglied des Kerpener Gemeinderates. Er betrieb mit seiner Frau Elisabeth Leiser an der heutigen Hahnenstraße 49 ein Radio- und Installationsgeschäft. Er starb 1928 bei einem Verkehrsunfall. Seine Frau und die Söhne Fritz und Hermann mussten 1939 ihr Haus auf Druck der NSDAP räumen und zogen nach Köln. Von dort aus wurden sie 1941 deportiert. Einen Tag vorher durfte Hermann noch seine Buirer Verlobte Edith Frank heiraten. Das frisch vermählte Ehepaar hat sich nie wiedergesehen. (wm)

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