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Rolly Brings in RosbachBalladen über die kleinen Leute

Lesezeit 4 Minuten
Rolly Brings und sein Sohn Benjamin präsentierten Balladen von Itzik Manger.

Rolly Brings und sein Sohn Benjamin präsentierten Balladen von Itzik Manger.

Windeck – Ein befreundeter Buchhändler hatte Rolly Brings vor Jahren „Dunkelgold“ als Lektüre empfohlen. Nachmittags vertiefte sich Brings in die Gedichte auf jiddisch und deutsch von Itzik Manger, am nächsten Morgen um vier Uhr legte er es gelesen aus der Hand. „Diese Balladen schrien danach vertont zu werden.

Während des Lesens stiegen in mir die Melodien hoch“, erzählte der Kölner Musiker und Texter den Zuhörern in der Gedenkstätte „Landjuden an der Sieg“ in Rosbach. Sohn Benjamin, ebenso wie seine Brüder Peter und Stephan von der Band Brings Musiker, begleitete ihn zur musikalischen Lesung von „Dunkelgold“ auf Hochdeutsch an der Gitarre.

Volksnahe Inhalte

Bevor die Nazis die Welt der osteuropäischen Juden ermordet hätten, sei Itzik Manger ein Stern am Himmel der jüdischen Literatur gewesen, führte Rolly Brings ins Programm ein, nachdem Mechtild Tillmann von der Volkshochschule Rhein-Sieg die Künstler vorgestellt hatte.

Im Exil überlebt

Der jüdische Schriftsteller Itzik Manger wurde 1902 in Czernowitz geboren und starb 1969 in Israel. Manger gilt als „Prinz der jiddischen Ballade“. Er wuchs als Sohn eines bettelarmen Schneiders im multiethnischen Czernowitz (Österreich-Ungarn) auf. Die Stadt war bis zum Ersten Weltkrieg die Hauptstadt der kaiserlich und königlichen Provinz Bukowina und Zentrum eines blühenden deutsch-jüdischen Geisteslebens.

Auch die Zeitgenossen, die Lyriker Paul Celan und Rose Ausländer, wuchsen hier auf. 1929 ging Manger nach Warschau, wo sein Talent und seine unverwechselbare Stimme schnell Anerkennung fanden.

In seinen Gedichten und Balladen beschreibt er die Welt des osteuropäischen, nicht assimilierten Judentums, eine Welt, die mit der Vernichtung der Juden während des Zweiten Weltkriegs untergegangen ist.

Manger überlebte in England, den USA und Israel, das Exil aber erstickte sein Gedicht.

Nicht nur Sohn Benjamin, auch Rolly Brings griff zur Gitarre. Er lud zu „Lasst uns singen“, eine typische Manger-Ballade über die kleinen Leute, zum Mitsingen ein. So volksnah wie Mangers Inhalte zeigte sich auch Brings mit seinen Vertonungen. „Seit ich lesen kann, lese ich jüdische Literatur“, erläuterte er. „Alle meine Lehrer waren alte Nazis, und meine Familie ist durch die Nazis reduziert worden.“

Es gibt auch kölsche Helikopter-Mamas war der Vorkommentar zu „Auf dem Weg steht ein Baum“. Beschrieben wird der Dialog einer Vogelmutter mit ihrem Nestling, der fliegen möchte. „Zieh auch die Galoschen an, ’s kommt ein harter Winter, setz’ die Mütze aufs Fell, weh ist mir und bang.“ Das Junge will die Flügel heben, doch es hat zu viele Sachen an und bleibt am Ende im Nest sitzen und klagt: „Ihre Liebe ließ nicht zu, dass ich ein Vogel werde.“

Manger bekannte sich zur zwar zur Tradition, aber er war auch ein Verfechter der jiddischen Aufklärung, was in der „Ballade von dem Juden, der zum Markt fuhr“ deutlich wird. Spielerisch leicht ruft da ein Vater den Pferdchen Tandaradei und Hüa zu und spricht vor sich hin: „Ich nähte der Tochter und machte bereit aus Sammet und Atlas das Hochzeitskleid.“ Verzweifelt schreit die Tochter immer wieder: „Nein, Vaterle nein.“ Als zweckgebundene Poetologie bezeichnete Rolly Brings die Kniffe, mit denen Manger andere für sich sprechen lässt. In „Jassy, abends, sieben Uhr“ antwortet er der Geliebten Malkele, die seine Neigung zum Alkohol angemahnte: „Ein wahrer Dichter, Malkele, muss sich verschenken können. In Liebe und Ergebenheit, Welwl, der Zigeuner. Postskriptum: Und schreibe: Sbarzer Ehrenkranz, Jassny, Poste restante“. Mit großem Feingefühl ließen Rolly und Benjamin Brings das Echo einer versunkenen Welt auferstehen. „Die Gedenkkultur zu vergessen, wie heute eine Partei fordert“, so Rolly Brings, „halte ich für einen sehr gefährlichen Weg. Wir haben keinerlei Grund, die Hände in den Schoss zu legen.“

Rolly Brings rang um Fassung, als er erzählte, dass sich in Kanada bei einer Veranstaltung 6000 Menschen erhoben und auswendig eines der letzten Gedichte von Manger, „Abendlied“, zitierten, als Itzak Manger schwer krank den Saal betrat. Dann stimmte Brings das Gedicht an, Zeilen der Essenz wie Manger sein Leben zusammenfasste: „Was ist geworden aus meinen Tagen? Ein Schatten und ein Schein – Ein Augenblick in Dunkelgold – Soll in mein Lied hinein.“

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