Zehn Millionen Mal verkauftHennefer Klaus-Jürgen Wrede erfand „Carcassonne“

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Viele Plättchen, auf denen Teile von Burgen, Klöstern, Straßen und Wiesen abgebildet sind – so geht es los mit „Carcassonne“.

Viele Plättchen, auf denen Teile von Burgen, Klöstern, Straßen und Wiesen abgebildet sind – so geht es los mit „Carcassonne“.

Hennef – Klaus-Jürgen Wrede beugt sich tief über das Spielfeld und greift nach einer handgroßen Platte, auf der ein Stück Wiese und ein Stück Burg zu sehen sind.

Die Platte ist Teil des größten „Carcassonne“-Spiels der Welt, von einem Spieleverein extra für dieses Fantreffen gebastelt.

Wrede – mit mehr als zehn Millionen verkaufter Exemplare Erfinder eines der erfolgreichsten Brettspiele der letzten 15 Jahre – trägt einen grauen Kapuzenpulli, ausgebeulte Jeans und Wanderschuhe. Sein Spiel wurde in 25 Sprachen übersetzt, schon längst gibt es internationale Meisterschaften.

An diesem Tag sind etwa 60 Spielefans der Einladung seines Verlages auf die Burg Konradsheim bei Erftstadt (Rhein-Erft-Kreis) gefolgt.

Wrede selbst bestreitet sein Spiel abseits vom Trubel in einem Nebenraum. Etwas verloren wirkt der 53-Jährige neben dem übergroßen Spiel. Er sei etwas aus der Übung, habe „Carcassonne“ seit Jahren nicht mehr gespielt, sagt er. „Ich entwickle lieber neue Spiele und neue Ideen.“ Die kämen ihm von selber, am besten zu Hause auf einem alten Sofa mit Blick in die Natur. Oder in einer Umgebung, deren Geschichte und Mystik ihn inspirierten.

„Spiel des Jahres 2001“

So wie 1998, als er die französische Stadt Carcassonne besuchte. Die alten Burgmauern, die grünen Hügel, das alles habe ihn fasziniert. Seine ersten Spiele-Ideen hatte er schon Jahre zuvor gehabt – vor der Veröffentlichung aber war der Verlag pleitegegangen.

Als dann 2000 „Carcassonne“ auf den Markt kam, war das gleich ein Volltreffer, wurde ein Jahr später „Spiel des Jahres“ und bekam den „Deutschen Spielepreis“.

Das Neue an seinem Konzept: Kein Spielfeld, sondern eine Menge Plättchen, auf denen Teile von Burgen und Klöstern, von Straßen und Wiesen abgebildet sind. Abwechselnd fügen die Spieler die Plättchen passend aneinander. Bei jedem Zug kann ein Spieler das Plättchen, welches er gelegt hat, mit einer Spielfigur besetzen. Wer am Ende des Spiels die meisten vollständigen Burgen, Wiesen, Klöster und Straßen besetzt, hat gewonnen.

Als er „Carcassonne“ erfand, war Wrede hauptberuflich Lehrer für Religion und Musik an einem Kölner Gymnasium. Schach hat der gebürtige Sauerländer zwar schon früh gespielt, „Monopoly“ oder „Mensch-ärgere-dich-nicht“ seien ihm aber zu simpel gewesen. Eine Zeit lang habe er viel auf der Konsole gespielt, doch letztlich bleibe man dort in der virtuellen Welt.

„Dass man ,in Echt’ handelt und kommuniziert, das ist das Tolle an Gesellschaftsspielen“, sagt Wrede. Nach 15 Jahren als Lehrer kündigte der Hennefer 2009 seinen Beamtenjob. „Lehrer zu sein hat zwar auch Spaß gemacht, aber die vielen Konferenzen waren nicht mein Ding“, sagt er und lacht. Seitdem konzentriert Wrede sich auf das Entwickeln von Spielen, lebt von der Provision, die er für jedes verkaufte Spiel bekommt. Neun „Carcassonne“-Erweiterungen und drei weitere Spiele hat er seit 2009 entwickelt; das jüngste heißt „Die Baumeister des Colosseum“.

2015 erschien sein erstes Buch: „Die Geheimnisse des Genter Altars“. Damit schließe sich der Kreis ein bisschen, sagt Klaus-Jürgen Wrede. Denn seine damalige Reise nach Carcassonne war eigentlich als Recherchereise für dieses Buch gedacht. „Ich hatte es nie geschafft, das Buch fertigzustellen“, sagt Wrede. Aber wenn er etwas anfange, bringe er es auch zu Ende.

In der Zukunft möchte Wrede, der nach seinem Lehramtsstudium noch Komposition und Klavier studiert hat, wieder mehr Musik machen. „Sie ist nach wie vor meine Seele“, sagt er. „Ich mag alles von Oper über Jazz bis zu Rock und Pop. Hauptsache, es spricht die Gefühle an.“

Aber noch findet er kaum Zeit für diese Leidenschaft. Seinen Erfolg mit den Spielen, sagt Wrede, könne er immer noch nicht realisieren. „Ich reise nach Südafrika und sehe ein Paar in der Hotellobby ’Carcassonne’ spielen“, erzählt er. „Das ist einfach unwirklich.“

Genau wie der Dankesbrief eines Ehepaares, das seinem Spiel angeblich die Rettung seiner Ehe zu verdanken hatte: Sie waren sich beim täglichen Plättchenlegen wieder näher gekommen. Trotz des großen Erfolges und der vielen Fans ist Wrede auf dem Teppich geblieben.

„Ich habe am liebsten meine Ruhe, mache Sport, lese oder gehe mit meiner Lebensgefährtin auf Reisen“, sagt er. „Und natürlich spiele ich auch ab und zu.“ Für heute hat er zu Ende gespielt. Klaus Jürgen Wrede hat am Riesen-„Carcassonne“ – verloren.

Geschichte der Gesellschaftsspiele

Die Geschichte der Gesellschaftsspiele geht bis zu 5000 Jahre zurück. Archäologische Entdeckungen belegen, dass das Spiel mit Würfeln schon damals die Menschen faszinierte. Brettspiele existieren seit mehr als 4000 Jahren. Ihre Vorläufer waren Spiele, die in den Sand oder auf Holz gemalt waren.

Karten kamen dann im 14. Jahrhundert aus dem Orient nach Europa. Die Spielkarten wurden von allen Schichten angenommen. Aus den anfänglichen Glücksspielen entwickelten sich komplexe Spiele, in denen man sehr strategisch denken musste. Heute geht der Trend wieder zu simpleren Spielen, die von den Teilnehmern aber trotzdem strategisches Geschick erfordern.

Schulen und Kindergärten setzen vermehrt auf Gesellschaftsspiele, um Wissen zu vermitteln. Außerdem fördert das Spielen die Kreativität und das eigenständige Denken.

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