Pädagogischer Problemfall aus dem Rhein-Sieg-KreisJugendamt schickt 13-Jährigen zur Erziehung nach Kirgisistan

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Rhein-Sieg-Kreis – 6000 Kilometer von Siegburg entfernt hat das Kreisjugendamt einen pädagogischen Problemfall untergebracht. Ein 13-jähriger Junge aus dem Kreis lebt seit April bei einer Deutsch sprechenden Familie in Kirgisistan, die ihn auffangen soll, nachdem hierzulande alle erzieherischen Anstrengungen erfolglos waren. Zu dieser beispiellosen Maßnahme gibt es jetzt indes kritische Fragen von Politikern. Denn die ehemaligen Sowjetrepublik in Zentralasien ist kein ungefährliches Land.

Der Hinweis auf der Internetseite des Bundesaußenministeriums ist unmissverständlich: „Bei Reisen innerhalb ganz Kirgisistans wird zu Vorsicht geraten. Gewaltsame Zusammenstöße, beispielsweise im Rahmen von Demonstrationen im Zusammenhang mit innenpolitischen Entwicklungen in Kirgisistan, können im gesamten Land nicht ausgeschlossen werden“, heißt es in den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes für das zentralasiatische Land. Reisenden wird deshalb empfohlen, Menschenansammlungen zu meiden und nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu Fuß unterwegs zu sein.

Jugendliche auch in Griechenland und Estland untergebacht

Das Jugendamt des Rhein-Sieg-Kreises hindert das allerdings nicht daran, dort zusammen mit der Bochumer „Life Jugendhilfe“ einen schwer erziehbaren Jugendlichen in der kirgisischen Familie unterzubringen. Das geht aus der Antwort der Kreisverwaltung auf eine Anfrage der Kreistagsgruppe Freie Wähler/Piraten und der Fraktion Die Linke hervor. Der Jugendliche ist einer von derzeit drei, die das Kreisjugendamt im Ausland untergebracht hat – in Griechenland, in Estland und eben in Kirgisistan.

„Das sind junge Menschen, die so ziemlich alles durchlaufen haben, was man durchlaufen kann, die Erfahrungen mit Prostitution, Kriminalität und Obdachlosigkeit haben und mitunter auch aus anderen Heimen geflüchtet waren“, sagt Rita Lorenz, die Pressesprecherin des Rhein-Sieg-Kreises. Sie seien bei der bisherigen Betreuung durch die Behörden „pädagogisch nicht zu erreichen“ gewesen. Erst die Unterbringung in einer fremden und oft sehr reizarmen Umgebung könne dazu führen, dass sich die Betroffenen auf pädagogische Hilfe einlassen, argumentiert die Kreisverwaltung in ihrer Antwort an Die Linke.

Unterbringung sei eine „absolute Ausnahme“

Eine Unterbringung im Ausland sei allerdings die „absolute Ausnahme“, so Lorenz. Sie betont, dass der Jugendliche nicht abgeschoben sei, sondern dieser Schritt eine Chance für ihn sei und er sich dort wohlfühle, das habe er via Skype versichert.

Das Kreisjugendamt hat laut Lorenz im vergangenen Jahr 670 Kinder und Jugendliche hierzulande in Heimen, Pflegefamilien und Wohngruppen untergebracht, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr in ihren Familien leben können. Finanziell mache die Auslandsbetreuung im übrigen keinen Unterschied zu einer Unterbringung im Inland, so die Kreissprecherin. „Man kann da von Tagessätzen zwischen 200 und 300 Euro ausgehen.“

Für den Jugendlichen, der von der kirgisischen Familie in der Nähe der Hauptstadt Bischkek betreut wird, sieht die Kreisverwaltung trotz der aktuellen politischen Situation in dem zentralasiatischen Land keine Gefährdung. Die Unterbringung sei durchdacht und pädagogisch begründet. „Es gibt einen Gerichtsbeschluss dazu, und die beiden Vormünder des Jungen, eine Rechtsanwältin und eine Psychologin, waren in die Entscheidung eingebunden und unterstützen das“, erläutert die Sprecherin des Kreises.

Besuch von Mitarbeitern zweimal im Jahr

Zweimal im Jahr werde der Junge, der im August 14 Jahre alt wird, zudem von Mitarbeitern des Bochumer Vereins besucht. Der Kreis wiederum stehe in engem Kontakt mit den Bochumern. Deren Konzept einer Unterbringung in Kirgisistan habe für den Jungen und seine Bedürfnisse „einfach gepasst“. Um sich vom Wohlergehen des Jugendlichen zu überzeugen, habe eine Mitarbeiterin des Jugendamtes auch mit ihm über Skype kommuniziert.

Nachdem das Bundesfamilienministerium vom Bundestagsabgeordneten Norbert Müller (Die Linke) auf den Fall aufmerksam gemacht wurde, will das Kreisjugendamt die Situation jetzt aber noch einmal neu bewerten. „Das Auswärtige Amt schätzt in seinen aktuellen Sicherheitshinweisen vom 2. Juni 2015 die Sicherheitslage in Kirgisistan weiterhin als nicht unproblematisch ein. Daher rät die Bundesregierung nach wie vor von erlebnispädagogischen Maßnahmen in Kirgisistan ab“, heißt es im Schreiben an den Abgeordneten.

Der Rhein-Sieg-Kreis legt allerdings Wert darauf, dass der Jugendliche sich nicht in einer erlebnispädagogischen Maßnahme befindet. „Es geht darum, dass der Junge lernt, in Familienstrukturen zu leben“, schildert Lorenz. Trotzdem soll eine Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes in den nächsten Wochen nach Kirgisistan fliegen, um die Situation des Jungen noch einmal zu bewerten. Auch ein Gespräch mit dem Außenministerium ist geplant. „Wenn es wider Erwarten tatsächlich gefährlich wird, werden wir den Jungen eher heute als morgen aus dem Land holen“, kündigt die Kreissprecherin an.

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