„Merhaba" in TroisdorfKiosk-Kemal macht die Nacht zum Tag

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Nach dem Umbau ist vorn der Kiosk, hinten der Imbiss.

Nach dem Umbau ist vorn der Kiosk, hinten der Imbiss.

Troisdorf – Es schlägt zwölf im Kiosk, Mitternacht. Der Mann mit dem schlohweißen Rauschebart lässt sein Teeglas stehen und verschwindet hinter der Tür. Kurze Zeit später sprenkeln Lichtreflexe die orangefarbenen Wände, verteilt von drei Discokugeln.

„Manchmal feiern wir hier auch“, sagt Kemal Levent, als er strahlend wieder auftaucht. Und einige Stammgäste begrüßt, die den Laden nach dem Umbau bewundern. Samstagnacht, wenn fast alles schon schläft in Troisdorfs City, geht das Geschäft an der Bushaltestelle Ursulaplatz richtig los.

Familienbetrieb aus Leidenschaft

Und mittendrin der quirlige Chef in knallrotem Polo-Shirt, Jeans und roter Schürze, der seit 14 Jahren im „Merhaba“ die Nachtschicht schiebt – von 17 Uhr bis 8 Uhr morgens. Dann löst ihn seine Frau ab.

„24 Stunden geöffnet“ steht in großen roten Lettern neben der Tür. Als die Ladenschlusszeiten fielen, war Kemal Levent der erste, der die komplette Nachtöffnung im Rathaus beantragte: „2002 zur WM war es soweit.“

Und bis heute ist er der einzige Einzelhändler, der durchmacht. Auch wenn das Gesetz dem Kiosk eine Zwangsruhe verordnet: „Irgendwann müssen wir schließen, um zu putzen.“ Das geschieht zwischen 5 und 7 Uhr in der Früh.

Partygänger, Schichtarbeiter, Taxifahrer, Nachbarn: Wer Zigaretten braucht oder Zeitungen, Salz, Pfeffer oder Paprikagewürz, wer sich mit Cola, Cognac oder Käse versorgen will, mit Pommes oder Pide, der findet rund um die Uhr in den Theken, Regalen und Kühlschränken alles, was er braucht.

Ob im Laden vorn oder im Imbiss hinten: Hier herrscht Ordnung. „Ich habe die Symmetriekrankheit“, gesteht der 60-jährige Levent augenzwinkernd.

Schwieriger Kampf mit großen Geschäften

Die Familie zieht mit. „Anders ginge es nicht“, sagt der Chef ernst. „Wir haben nicht so lange geöffnet, weil es uns Spaß macht, sondern weil wir kämpfen müssen.“ Als die großen Lebensmittelläden Zug um Zug erst bis 20 Uhr, dann bis 21 oder sogar 22 Uhr öffneten, sei ihr Arbeitstag an der Kirchstraße 12 immer länger geworden, Spielautomaten und ein Wettbüro kamen hinzu.

Cousine Leyla Cakal ist die einzige Angestellte; sie schenkt nicht nur Tee aus und kassiert, sondern bereitet bis morgens um drei auch herzhafte Backwaren wie Schafskäse-Börek und Pizza frisch zu. Ehefrau Pervin (52) übernimmt montags bis samstags den Tagdienst. Levents Mutter und sein Sohn Fazli, gelernter Kaufmann und beschäftigt in einem Möbelhaus, helfen immer aus, wenn Not am Mann ist.

Seit 1990 gibt es das „Merhaba“ – was auf türkisch „Hallo“ heißt – gegenüber von Forum und Fußgängerzone. Zunächst führte es Levent als Lebensmittelgeschäft mit Frischfleisch- und Textilabteilung. Er hatte sich bereits 1979 selbstständig gemacht mit einem Restaurant in Solingen.

„Du kannst doch noch nicht einmal Tee kochen“, habe der Vater gesagt. Kein Problem für den damals 23-Jährigen: „Ich hatte sieben Angestellte.“ 1985 kehrte er nach Troisdorf zurück, eröffnete in Friedrich-Wilhelms-Hütte ein Lebensmittelgeschäft und eine Videothek, dann einen Imbiss am Bürgerhaus, arbeitete parallel noch bei Silver Plastics.

Kemal Levent war Geld nicht wichtig - sondern Erfolg

Er besuchte die Abendschule, absolvierte eine Ausbildung zum Metzger. Daneben war der Tausendsassa für die Tageszeitung „Hürriyet“ unterwegs, berichtete unter anderem über Ausländerpolitik in Troisdorf. „Mein Opa hatte eine Zeitung in Gaziantep“, auch sein Vater sei Journalist gewesen.

Den rosafarbenen Presseausweis, der Kemal Levent mit tiefschwarzem Haar und Schnauzbart zeigt, hat er immer noch im Portemonnaie, die Artikel fein säuberlich abgeheftet. Der eher klein gewachsene Mann steht auf dem Balkon hinter dem Stehbistro und sinniert eine Zigarette rauchend: „Geld war mir nicht so wichtig, ich habe gern Erfolg.“

Er guckt in den Hinterhof, auf sein Einfamilienhaus, seinen Garten – abgeschirmt vom Verkehrslärm der auch nachts viel befahrenen Hauptstraße. Zwischendurch der Blick auf die beiden großen Bildschirme im Kiosk: ARD und TRT, der Sender aus der alten Heimat, bringen brandaktuelle Berichte zum Putschversuch in der Türkei. Für ihn nur noch das bevorzugte Urlaubsland: „Wir sind dort fremd.“

Es ist ein Uhr, wohl dreißigmal sprang Kemal Levent in der letzten Stunde auf, bediente hier, servierte da, sortierte Ware, packte mit an. Sein Teeglas steht auf dem Tisch, er hat es nicht angerührt.

Am nächsten Tag, die Uhr schlägt zwölf. Seine Frau steht an der Kasse, er kommt hinzu, gesteht: „Wenn ich vier Stunden schlafe, ist das viel.“ Er mache nie frei und zu selten Urlaub, sagt Pervin Levent.

„Ich frage ihn immer, wann er aufhören will mit dem Kiosk.“ „Später“, sage er dann, „später“. Er lächelt: „Mit 65, das habe ich geplant.“ Und wenige Sekunden später ergänzt er: „Aber das sagen viele und arbeiten dann doch bis 70.“

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