Sammler mit Faible fürs KochbuchTroisdorfer hortet Rezepte aus dem 19. Jahrhundert

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Troisdorf – Von einer „Kochbuch- Päpstin“ spricht Reiner Bewersdorff, darunter geht es nicht, wenn er nach Henriette Davidis gefragt wird.

Für den Troisdorfer ist das Werk der Buchautorin (1801 bis 1876), die im 19. Jahrhundert die deutsche Küche prägte, von ungebrochenem Interesse. Ihren großen Erfolg „Praktisches Kochbuch“ besitzt er in rund 200 verschiedenen Ausgaben.

Eher zufällig sei er vor rund sieben Jahren auf antiquarische Bücher der Autorin im Internet-Auktionshaus Ebay gestoßen. Seitdem lässt ihn das Thema nicht mehr los. „Mich interessiert einfach, wie die Menschen damals gekocht haben“, erläutert der 65-Jährige, der auch selbst gern in der Küche aktiv wird.

Viele Rezepte Davidis wirken heute kurios, wie gebratener Pfau und Wacholderdrosseln oder ein Wildschweinkopf, dessen Borsten die Köchin vor der Zubereitung erst einmal beim Schmied absengen lassen sollte.

Das Praktische Kochbuch wurde 1845 erstmals aufgelegt und prägte die deutsche Küche. Viele Rezepte und Tipps zu gesunder Ernährung sind auch heute noch aktuell.

Das Praktische Kochbuch wurde 1845 erstmals aufgelegt und prägte die deutsche Küche. Viele Rezepte und Tipps zu gesunder Ernährung sind auch heute noch aktuell.

Auch Dachs findet sich als Wildbret, doch das ist zumindest laut Bewersdorff gar nicht mal so ungewöhnlich: Dieser gelte heute noch als jagdbar und sei bis in die 1950er-Jahre noch gern in hiesigen Breiten verspeist worden, wie ihm ein Schlachter erzählt habe.

An anderen Stellen wirkt Davidis durchaus modern, etwa wenn sie vor unmäßigem Fleischverzehr warnt oder das pflanzliche Agar-Agar als Alternative zu Gelatine empfiehlt. Zart und leicht verdaulich sei es und „namentlich Kranken mit schwachem Magen, welche die Festigkeit der Gelatine und deren Leimgehalt nicht vertragen, zu empfehlen“.

Epikuräerbutter mit Sardellen

Davidis’ „Haushofmeisterbutter“ könnte mit Salz, Cayennepfeffer, Zitronensaft, Petersilie, Kerbel, Estragon, Majoran und Pimpernelle ebenso eine Grillparty des 21. Jahrhunderts bereichern wie ihre „Epikuräerbutter“, für deren Herstellung sie entgrätete Sardellen, Pfeffergurken, Schnittlauch und Estragon verlangt.

Ein Standardwerk

Henriette Davidis wurde 1801 in Wengern geboren, als zehntes von 13 Kindern des Pfarrers Ernst Heinrich Davidis und dessen aus Holland stammender Ehefrau Maria Katharina Litthauer. Sie arbeitete als Hauswirtschaftslehrerin, Erzieherin, Gouvernante und vor allem als Buchautorin.

Ihr 1845 erstmals aufgelegtes „Praktisches Kochbuch“ wurde zu einem Standardwerk in deutschen Haushalten und blieb es bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Nach ihrem Tod wurde es von Luise Rosendorf, dann von Luise Holle weitergeführt.

Unter anderem veröffentlichte Davidis auch „Der Gemüsegarten“ (1850), „Puppenköchin Anna“ (1856) und „Die Hausfrau. Praktische Anleitung zur selbstständigen und sparsamen Führung des Haushalts“ (1861). Mit einer Ausstellung und einer Schriftenreihe erinnert das Henriette-Davidis-Museum in Wetter-Wengern an der Ruhr an die Autorin, die 1876 in Dortmund starb. (ah)

Immer wieder fällt auf, dass einwandfreie Zutaten damals nicht ohne weiteres zur Verfügung standen. „Man nehme ganz klein, noch geschlossene Champignons, welche nicht madig sind“, schreibt sie an einer Stelle – damals anscheinend keine Selbstverständlichkeit. Auch für den Blick über den westfälischen Tellerrand war sie zu haben: Die italienische Polenta findet sich in ihrem Kochbuch ebenso wie ein englischer Pie mit Hammelfleisch, Rind oder Tauben.

In den Buchregalen Bewersdorffs findet sich diese mehr als 700 Seiten starke Fundgrube heute noch ansprechender Rezepte in etlichen Ausführungen, wobei vor allem die verschiedenen Geschenkboxen aus Karton auffallen, in denen die Bände über die Jahrzehnte in den Handel kamen: Mal ziert ein appetitlicher Hummer die Verpackung, mal eine Reihe von Köchen, die unter an Bäumen hängenden Lampions offenbar zu einer Festivität marschieren.

Bei Käufen auf diversen Büchermärkten oder aus dem Internet weiß er mittlerweile genau, worauf er achten muss: Für den Laien sind antiquarische Exemplare aus dem 19. Jahrhundert meist kaum von jüngeren Nachdrucken zu unterscheiden. Der versierte Sammler achtet daher genau auf die Papierstärke oder das Signet des Verlags. Wichtiges Merkmal sind auch die Anzeigen im Schlussteil der Bücher, die von Auflage zu Auflage variieren. Bewersdorff nutzt zudem Bibliografien oder das Fachwissen im Henriette-Davidis-Museum in Wetter an der Ruhr. Wichtig beim Sammeln ist ihm die Beschränkung auf ein bestimmtes Gebiet: „Sonst verzettelt man sich.“

Bewersdorff stellt sich Davidis als konservative Frau vor, streng in einem evangelischen Pfarrhaus als eines von 13 Kindern erzogen. „Auf Bildern sieht sie auch aus wie eine strenge Hausherrin.“

Tatsächlich ging ihre schriftstellerische Arbeit weit über das Kochbuch hinaus. Davidis schrieb umfassende Ratgeber, zu praktisch allen Lebenslagen, in die eine Jungfrau oder eine Hausfrau zu der Zeit geraten konnte.

Ratgeber für viele Lebenslagen

Fleißig, tugendhaft, reinlich, ordentlich, sparsam, so sollten ihre bürgerlichen Leserinnen sein oder werden und Vergnügungen mit Vorsicht begegnen: „Wem möchte es zum Beispiel unbekannt sein, daß manche blühend Gesundheit in wenigen Stunden ein Opfer des Tanzes wurde, und das Leben in raschen Schritten dahineilte, oder ein ebenso langes Siechtum die Folge war?“, fragt sie warnend in dem Band „Der Beruf der Jungfrau“, in dem sich Rat zu Hygiene und Gesundheit findet, zu Kleidung und Ernährung. Wenig fortschrittlich wirkt aus heutiger Sicht auch der Satz „Zu den rühmlichsten Bezeichnungen einer Frau gehört die, daß der Mann sagen kann, er habe eine Hausfrau.“

Doch Davidis lebte dieses Rollenbild selbst keineswegs. Sie blieb zeitlebens unverheiratet, und auch der Beruf einer Autorin dürfte wenig konform gewesen sein. In ihrem Sterbejahr 1876 erschien die 21. Auflage des Kochbuchs. Doch über Jahrzehnte hatte Davidis zu niedrige Honorare erhalten und konnte sich erst im Alter eine eigene Wohnung leisten.

Bewersdorff sieht sich mit seiner Sammlung noch nicht am Ende, zumal ihm noch ein Exemplar der ersten Auflage des Praktischen Kochbuchs von 1845 fehlt. „Aber das dürfte sicherlich einen vierstelligen Betrag kosten.“

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