IntegrationLernen, in Frieden mit allen zu leben

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Pawinderjit mit seinen Schulkameraden beim Singen in seiner Grundschule

Köln – „In der Weihnachtsbäckerei“ schallt es fröhlich durch die Eulenklasse um zwanzig nach acht. Erst etwas verhalten, dann immer munterer. Die Eulen kennen alle Strophen wie im Schlaf. Zwei Kerzen brennen auf dem Adventskranz. Sam darf das heutige Wichtelgeschenke öffnen und dankt Natan gegenüber für den Rätselblock. Carla liest aus dem Buch „Weihnachten in aller Welt“ vor, wie das Fest in Island gefeiert wird. Advent in der 4a.

Die Kinder der Klasse in der „Gemeinschaftsgrundschule im Süden“ in Meschenich kommen aus Deutschland, der Türkei, dem Irak, Polen, Rumänien, Marokko, dem Kongo, Bosnien oder Serbien. Sie sind Christen, Moslems oder Jesiden. Doch kaum jemand trägt Zeichen seines Glaubens so sichtbar wie Perwinderjit Singh Kohoutek. Der Neunjährige hat seine Wurzeln in Indien, ist gebürtiger Kölner und Sikh – und trägt als solcher sein langes Haupthaar auf dem Kopf zusammengebunden.

Starke Wurzeln, starke Kinder

Bis 1984 wurden Sikhs in ihrer Heimat immer wieder unterdrückt, verfolgt und ermordet, weshalb viele emigrierten. Das und mehr lernt Pawinderjit erst sonntags, wenn im Kölner Tempel Unterricht ist. Seine Mutter Manjit Kaur lehrt hier in dem Projekt „Starke Wurzeln, starke Kinder“ Punjabi sowie Religion, um Kindern zu vermitteln, was es heißt Sikh zu sein. Seit 2011 baut sie mit dem Verein „Guru Teg Bahader Gurdwara Köln e.V.“ diesen Bildungszweig auf. Im Hauptberuf arbeitet sie als Ergänzungskraft im Offenen Ganztag. Daneben gibt sie seit 2011 zweimal die Woche den Kindern zwischen vier und 15 Jahren im Tempel Hilfestellung im Schulalltag.

Wie Muttersprache bei der Integration hilft

Viele Migranten stecken in einem Dilemma. Sollen sie ihre Kinder, die in Deutschland geboren sind, erst einmal Deutsch lernen lassen, was naheliegt? Experten widersprechen und sagen: Nur wer seine Muttersprache beherrscht, kann leicht und schnell Deutsch lernen. Und die Eltern sollten lieber ihre Sprache mit dem Kind sprechen und das fehlerfrei als schlechtes Deutsch, das sie nicht richtig beherrschen. Mehr als 70 Prozent der Weltbevölkerung verwenden laut Unesco täglich mehr als eine Sprache. Weil dies ein Schatz sei hat sie den 21. Februar zum Internationalen Tag der Muttersprache erklärt zur „Förderung sprachlicher und kultureller Vielfalt und Mehrsprachigkeit“. (kaz)

„Wir vermitteln ihnen aber auch kulturelles Basiswissen und grundlegende Kenntnisse ihrer Muttersprache.“ Bei aller Anpassung in und an Deutschland sei auch das Wissen über die Herkunftskultur grundlegend für Integration, sagt sie. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sie besonders dann gut gelingt, wenn sich die Kinder ihrer kulturellen Hintergründe bewusst sind.“ Nur mit Kenntnis ihrer Wurzeln könnten sie eine stabile, seelische Identität entwickeln.

Schon von Kleinauf nahm die Familie Pawinderjit und seine zwei älteren Schwestern, die noch in Indien geboren wurden, mit in den Gurdwara, wie die Sikhs ihre Tempel nennen, von denen es in Köln vier gibt: in Porz, in Buchheim, in Buchforst und am Höhenberger Bennoplatz, den Pawinderjit jeden Sonntag besucht. Natürlich bedecken hier – und zwar nicht nur die Frauen – ihr Haar, auch Besucher bekommen ein Tuch. Natürlich ziehen alle ihre Schuhe aus. Natürlich schneidet auch Perwinderjit – den insgesamt fünf Kakar-Elementen des Glaubens folgend – Kopf- und später Barthaare nicht. Bald braucht er einen Turban.

Gleichberechtigung als Lebensprinzip

Der Sikhismus ist im 15. Jahrhundert in der indischen Region Punjab entstanden. In ihrem Glauben hat Gott weder Gestalt noch Geschlecht. Das heilige Buch der Sikhs Guru Granth Sahib – in der Gurmukhi-Schrift geschrieben – stellt die sichtbare Form der zehn Gurus, die den Glauben prägten, dar. Es liegt in einem prachtvollen Bett mit seidenem Baldachin im Gebetssaal– im Sommer klimatisiert, im Winter extra warm gehalten. Der Priester liest aus ihm und schwingt dabei einen edlen Wedel über dem Buch hin und her.

Bedürftigen zu helfen ist eins der höchsten Gebote. In der Tradition des Goldenen Tempels in Amritsar wird jeder in dem Gotteshaus kostenlos mit Speisen und Getränken versorgt – ein Symbol für das friedliche Miteinander aller. Auch jedem fremden und überraschendem Besuch wird morgens Toast und Tee, mittags Linsensuppe mit indischem Brot gebracht – egal ob und was ein Mensch glaubt. Manjit Kaur: „Unsere Religion ist für alle offen.“

Zwischen den Lesungen, Gesängen und Musikdarbietungen wird in dem langen Flur vor dem Gebetsraum an die auf dem Boden sitzende Gemeinschaft Mittagessen ausgegeben, das die Männer seit fünf Uhr früh vor- und die Frauen etwas später zubereiten. Männer wie Frauen servieren und räumen ab. Bei Sikhs gilt Gleichberechtigung. Das Essen ist einfach und vegetarisch, da im Sikhismus die ganze Schöpfung heilig ist. Benutzt wird einfachstes Blechgeschirr, um sich mit den Ärmsten gleichzustellen. Kastendenken wird abgelehnt. Als Ausdruck dafür tragen alle Männer den Nachnamen Singh (Löwe), alle Frauen Kaur (Prinzessin).

Unterricht wird mit Spenden finanziert

Wöchentlich werden 60 Kinder in drei Altersgruppen in dem Projekt „Starke Kinder, starke Wurzeln“ unterrichtet und verköstigt. Doch die Bücher und Hefte aus dem Ausland zu bestellen ist teuer und führt den Verein trotz Elternbeiträgen an seine Grenzen. Lebensmittel, Unterricht und Material werden ausschließlich durch Spenden finanziert. Dank des Sonntags-Unterrichts weiß Pawinderjit, warum er Löwe heißt. Und dass ein Löwe zu sein, bedeutet „keine Angst zu haben, aber auch niemanden zu ängstigen“. Nennt ihn jemand ob seiner langen Haare wider besseren Wissens „Mädchen“ („Das nervt.“), kann er dem ruhig begegnen, ohne sich aufbringen zu lassen.

Pawinderjit und die anderen Kinder der Gemeinde gehen erhobenen Hauptes in die Zukunft. In der Grundschule war sein Glauben kurz Thema im Unterricht, so Klassenlehrerin Conny Stefer. Pawinderjit weiß sich aber auch gegenüber Schülern anderer Jahrgänge selbst und ganz und gar friedlich zu wehren: „Ich habe einfach einen Artikel in der Schülerzeitung geschrieben und hab sie mal aufgeklärt.“

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