Internationaler SportclubMit der Fußballtechnik wird auch Toleranz trainiert

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Bonn – Wenn Younis Kamil sich auf den Weg in die Turnhalle des Friedrich-List-Berufskollegs in Bad Godesberg macht, kalkuliert er einige Umwege ein. Zusätzlich zu seinen eigenen zwei Kindern lässt an der nächsten Adresse zwei weitere Kinder zusteigen und hält an einem zweiten Zwischenstopp für noch einmal drei Jungen und Mädchen. Würde er sie nicht holen, hätten viele keinen Sport.

Er ist erster Vorsitzender des Internationalen Sportclubs (ISC) Al Hilal Bonn, der neben Schwimmen und Volleyball vor allem Fußball anbietet – auch für Minikicker. Und um jedes Kind wird sich bemüht. Unabhängig von Herkunft, Religion oder Geschlecht. Die Mädchen und Jungen kommen aus Libyen, Kanada, Syrien, Spanien und Palästina. Sprechen Deutsch, Englisch und Arabisch. „Hier wachsen sie international auf“, sagt Kamil. Und gleichberechtigt. Mädchen spielen selbstverständlich im einem Team mit Jungs und dürfen Mannschaften zusammenstellen. „Das bekommen nicht alle zu Hause so vorgelebt.“

Schulung von sozialen und mentalen Fähigkeiten

Endlich angekommen, können die Kleinen nicht abwarten, bis aufgeschlossen ist, und toben schon auf dem Hof so sehr, dass die Erwachsenen um sie herum denken, das sei schon der Sport gewesen.

al-Hilal

(arabisch الهلال , DMG al-Hilāl) bedeutet übersetzt „die Mondsichel“.

Doch für die Bambini geht es jetzt erst richtig los: In der Halle dürfen sie erst einmal wild umher rennen, bis die erste Energie entladen ist. Dann folgen Schuss- und Dribbelübungen – immer schön der Reihe nach. Zurückstehen zu können, bis sie an der Reihe sind, schult auch die Disziplin.

Auf den ersten Blick wird nur Fußball geübt. Doch mit den technischen Aufgaben werden auch soziale und mentale Fähigkeiten gestärkt. Sportliche Werte wie Respekt, Toleranz, Fairness und Teamfähigkeit sollen den derzeit 25 Kindern und Jugendlichen von der Bambini-Klasse bis zur F-Jugend auf ihrem Weg in der Schule und im Berufsleben ebenso behilflich sein. Es geht darum, Geduld zu lernen. Erfolgserlebnisse zu haben. Fehler zu akzeptieren, eigene wie fremde. Aber auch Niederlagen auszuhalten. Training als Jugendarbeit.

Aus Teilnehmern werden Trainer

Die Trainer sind selbst kaum den Kinderschuhen entwachsen. Aziz Zahafi und Mohamed Chaaboute sind gerade einmal 17, spielen längst in der A-Jugend und der ersten Herrenmannschaft. Für nur 50 Euro im Monat trainieren sie die Kleinen zwei Tage die Woche und begleiten sie wochenends zu Auswärtsspielen. Chaaboute hat selbst bei Al Hilal Fußballspielen gelernt. „Ich will das Gelernte zurückgeben“, sagt der Abiturient. „Wir sind alle Vorbilder. Alle Erwachsenen“, findet er. Realschüler Zahafi freut sich, „sie beim Spielen und Aufwachsen zu sehen. Hier lernen die Kinder sie auch, sich zu benehmen.“

Auf beide ist der Vorsitzende Kamil besonders stolz. „Sie sind keine Sozialarbeiter, aber viel näher dran“, ist er überzeugt. So lernen bereits Fünfjährige Vorbilder kennen, die selbst eine Zuwanderungsgeschichte haben. Mit den Jüngsten präventiv zu arbeiten und nicht erst mit Großen, wenn diese Probleme verursachen, „macht viel mehr Sinn“ für den 32-jährigen Sportwissenschaftler und -pädagogen, der in Nordafrika als Sohn einer Deutschen und eines Sudanesen geboren wurde. Es gehört zum Konzept des Vereins, dass ehemalige teilnehmende Kinder zu Gruppenleitern für die nächste Generation werden. „So lernen sie, Verantwortung zu übernehmen.“ Dafür wurde Al Hilal bereits von der Deutschen Islam Konferenz sowie dem Deutschen Fußball-Bund ausgezeichnet.

Identifikation ein großes Thema

Die Trainer haben einen Rahmentrainingsplan, ständigen Austausch mit dem Vorstand und kleine interne Fortbildungen. Sie wurden ausgebildet, mit kultureller Vielfalt umzugehen und Deutschkenntnisse zu fördern. Denn Trainingssprache ist Deutsch. Es ist aber auch in Ordnung, wenn ab und zu ein „Yalla“ („Auf geht’s“) durch die Halle klingt.

Das große Thema ist die Identifikation. „Die Kinder sollen stolz sein dürfen auf ihre Herkunft“, sagt Kamil. „Nicht indem sie das Deutsche ablehnen, sondern indem sie mit ihrer Geschichte Teil der deutschen Gesellschaft sind. Das halte ich für essenziell für unser Zusammenleben. Sonst kommt es viel eher zu Gewalt.“

Arabischer Name entlarvt Vorurteile

Es war innerhalb des Vereins eine große Diskussion, ob er sich tatsächlich einen arabischen Namen geben sollte. „Es ging darum, uns einfach Bonn zu nennen und weniger Probleme zu haben oder das auszuhalten, damit es irgendwann normal ist.“ Doch wenn der Club heute zu Auswärtsspielen reist oder andere Sportler in der Halle trifft, ist es das längst nicht.

„Die einen denken, ISC steht für Islamischer Sportclub, die anderen reden mit uns, als ob wir kein Deutsch verstünden.“ Und bei einem Foul, wie es in jeder Mannschaft vorkommt, töne schon mal ein „typisch Ausländer“ über den Platz. So wechselte eine kanadische Mutter mit ihren Kindern zu Al Hilal, weil sie sich in einem „deutschen“ Verein nicht angenommen fühlte. „Die waren nicht in der Lage, mit ihr zu kommunizieren. Das hat mich schockiert.“

Deutsche Tugenden

Al Hilal ist ausdrücklich kein Verein nur für Kinder und Jugendliche fremder Herkunft. Doch die Offenheit ist bisher eher einseitig. Unter den Mitgliedern sind nicht viele Deutschstämmige. Noch nicht. „Dafür haben wir viele deutsche Tugenden wie Ordnung“, sagt Kamil. „Der Name schreckt Deutsche ab. Aber wer einmal hier war, ist begeistert.“ Die ganze Arbeit, diese große Trainingseinheit Toleranz, passiert im Stillen, stetig und mit ganz kleinem Budget. Die Kinder haben nicht mal Vereins-Trainings-Shirts oder -anzüge. Von einer ordentlichen Trainerausbildung mit Lizenz für die jungen Gruppenleiter kann Al Hilal derzeit nur träumen. Dafür haben die Mädchen und Jungen hier ganz große Vorbilder. Die erste Mannschaft des Vereins, die in der Kreisliga C spielt. Und auf die Frage, für welches Team er kicken möchte, wenn er erwachsen ist, antwortet der fünfjährige Ibrahim als erstes „Real Madrid“ – und sofort danach „Al Hilal“.

http://www.isc-alhilal-bonn.de

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