SpendenzielLachen gegen den Tod

Lesezeit 6 Minuten
Rita Schierp und Annika Wleklinski

Rita Schierp und Annika Wleklinski

Bergisch Gladbach – Besser können sich zwei Freundinnen nicht verstehen. Sie besuchen zusammen Musicals. Sie gehen shoppen. Und wenn die eine die andere vermisst, folgt eine Kurznachricht auf das Handy. „Ich möchte Dich so gerne sehen.“ Besonders ist nur, dass die, von der die Nachricht stammt, diese nicht selbst abschicken kann und auch nicht in der Lage ist, die Worte auszusprechen. Zudem trennt die beiden Frauen ein klitzekleiner Altersunterschied. Annika Wleklinski ist 20 Jahre alt und fand Rita Schierp, 61 Jahre, über den Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Köln (AKHD), der die Familie der schwerst behinderten jungen Frau unterstützt.

Klingt traurig. Ist es aber nicht. „Wir lachen unheimlich viel zusammen“, sagt die Ehrenamtlerin über ihre Verbindung zu Annika, die seit 2007 besteht. Singen gehört auch zu ihren gemeinsamen Beschäftigungen. „Das ist das Besondere am Kinderhospizdienst im Vergleich zur Erwachsenen-Hospizarbeit“, sagt Doro Meurer.

„Unsere Begleitung beginnt bereits mit der Diagnosestellung.“ Meurer arbeitet als Koordinatorin für den Verein hauptamtlich und trägt dafür Sorge, dass die Ehrenamtler optimal vorbereitet in ihr Engagement gehen und gut zu der begleiteten Familie passen.

Ein einsames Leben

Anfangs kam Rita Schierp als Fremde einmal in der Woche vor allem, um Mutter Maren zu entlasten. „Sie kam und hat mit Annika was unternommen oder gespielt, damit ich auch mal zum Friseur konnte oder in Ruhe einkaufen“, erinnert sie sich. „Oder wir haben einfach geredet.“ Es sei ein einsames Leben mit einem derart schwer kranken Kind, sagt Maren Wleklinski. „Andere Menschen haben nicht immer Lust, sich das anzuhören.“ Mit Rita Schierp könne sie auch einfach mal quatschen und ihr Herz ausschütten. Aber auch für Annika selbst sei die Zeit wichtig. „Sie hat viele, die sie pflegen. Aber kaum jemanden, der schöne Dinge mit ihr unternimmt.“ Für Schierp gehört Annika heute „zu meinem Leben“. Immer wieder sei sie fasziniert von ihrer ansteckend guten Laune („Sie kann sich so sehr über Kleinigkeiten freuen“) und davon, wie sie ihr Leben meistert.

Annika war fünf Monate alt, als ihre Mutter – gelernte Arzthelferin – merkte, dass mit dem Mädchen etwas nicht stimmte. „Sie war so unkoordiniert und fing an zu schielen.“ Schluckstörungen kamen hinzu und eine Lähmung beider Augenlider. Dann starb der Sehnerv ab; eine Epilepsie stellte sich ein. Nachts wird sie beatmet. „Aber ansonsten bist du gesund, was, Annika?“, sagt die Mutter zu ihrer Tochter. Und beide lachen herzlich. Eine medizinische Erklärung gibt es bislang nicht.

"Annika ist Lebensfreunde"

Ernährt wird Annika über eine Magensonde. Und über Hebevorrichtungen, deren Schienen unter der Decke entlang bis in ihr Bett oder das Badezimmer verlaufen, wird sie gehoben. Eine Nachtwache schläft mit im Haus und passt auf sie auf. Verständigen kann sie sich nur noch über ihr Gehör oder einen Sprachcomputer, der aber erst ausgepackt und in einem Halter vor ihr aufgebaut werden muss. Und doch ist sie die Lebensfreude pur. Ist gerne unterwegs. Im Kino oder im Theater. Eine App liefert ihr die Audiodeskription dazu. Sie liebt Spiele des KEC – obwohl sie nichts sieht, allein aufgrund ihrer Akustik. Helene Fischer, Andreas Gabalier, Roland Kaiser. Karnevalsmusik. Karneval überhaupt. Und Hörbücher.

Die Geschichte des Kinderhospiz

Gegründet von Betroffenen

Sechs Familien von lebensverkürzend erkrankten Kindern haben sich 1990 zum Deutschen Kinderhospizverein zusammengeschlossen. Der Verein bot erstmals ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen konnten, und war damit der Pionier der Kinderhospizbewegung in der Bundesrepublik.

Gegründet von Betroffenen

Sechs Familien von lebensverkürzend erkrankten Kindern haben sich 1990 zum Deutschen Kinderhospizverein zusammengeschlossen. Der Verein bot erstmals ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen konnten, und war damit der Pionier der Kinderhospizbewegung in der Bundesrepublik.

Standorte in Nippes, Raderthal und Holweide

Um wohnortnah arbeiten zu können und der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden, wurden 2013 zwei weitere Standorte geschaffen. Seitdem gibt es Zweigstellen in Nippes (zuständig für Köln-Mitte, Köln-Nord und Leverkusen), Raderthal (Köln-Süd/Porz) sowie Holweide (rechtsrheinisches Köln und Rheinisch-Bergischer Kreis). Zusammen bedienen sie vier große Gebiete in Köln, aber auch in der Kölner Region.

Aktuelle Benefiz-Termine

Am 10. Februar 2017 wird bundesweit der Tag der Kinderhospizarbeit begangen. Am 2. April um 19 Uhr findet der „5.Kölner Comedy Abend“ zugunsten des Vereins statt. Dann treten Alain Frei, Das Lumpenpack, Philipp Simon, Fee Badenius und Band, Jan van Weyde und Mirja Boes für den guten Zweck im Hotel Dorint An der Messe, Deutz-Mülheimer Straße 22-24, in Köln auf (Eintritt 20 Euro, Karten unter ☎ 0221/5691985). Am 2. Juli findet zudem unter dem Motto „Laufe für Dich, laufe für uns“ zum sechsten Mal ein Spendenlauf um den Adenauer Weiher statt . (kaz)

www.akhd-koeln.de

Das Einkaufen der CDs kann sich aber schon mal schwierig gestalten. Mit detektivischem Spürsinn und geschlossenen Fragen muss die Begleitung nach dem Ausschlussprinzip herausfinden, was Annika möchte und was nicht. Schierp: „Denn sie weiß genau, was sie will und was nicht.“ Nur das mitzuteilen kann dauern.

Bei einem Ja fährt sie ihre Arme auseinander; es kann ein Weilchen dauern, bis sie dies koordinativ hinbekommt. „Da fließen dann auch schon mal Tränen. Auf beiden Seiten“, so Schierp. Wie bei der CD mit den Frühlingsliedern, die Annika mit Ritas Hilfe bei „Saturn“ kaufen wollte. Als Schierp des Rätsels Lösung endlich hatte, „sind wir beide lachend nach Hause. Wir waren einfach nur froh“, so die Porzerin.

90 Stunden Vorbereitung

Die gelernte Diplom-Kauffrau hat selbst zwei Kinder, die längst erwachsen sind – und gesund. „Ich wollte einfach was zurückgeben“, sagt sie. Über einen „Kölner Stadt-Anzeiger“-Artikel war sie auf den AKHD gestoßen – „und ich hatte gleich das Gefühl, das ist meins“. Nach mehreren Informationsgesprächen meldete sie sich zur Vorbereitung an.

„In einem 90-stündigen Befähigungs-Kursus werden die künftigen Familienbegleiter mit viel Basiswissen rund um Krankheit und Pflege, aber auch Selbsterfahrung auf die Begegnung vorbereitet, bevor sie sich langfristig auf eine Familie einlassen“, berichtet Koordinatorin Meurer weiter. Dazu gehört auch ein „Endlichkeitswochenende“, um sich mit den Themen Sterben, Tod und Trauer auseinanderzusetzen. Einmal monatlich gibt es Praxistreffen zum Austausch mit ihr als Hauptamtlerin. Alle drei Monate Supervision.

Auch wenn nicht immer alle Situationen einfach sind und immer das Wissen darüber mitschwingt, dass Annika mutmaßlich nicht uralt werden wird, fragt sich Rita Schierp manchmal doch, wer hier eigentlich wem hilft. „Ich finde ihre Lebensfreude einfach umwerfend. Das färbt auch ab. Ich kriege einfach so viel zurück.“

Mit Unterstützung des Vereins „Hits fürs Hospiz“, der kranken Kindern Herzenswünsche erfüllt, will der AKHD seine psychosoziale Betreuung von bedürftigen Kindern und Jugendlichen mit lebensverkürzenden Erkrankungen sowie deren Geschwistern und Eltern vor allem in der Region Rhein-Berg und Oberberg gerne weiter ausbauen. Dazu benötigen beide Vereine finanzielle Unterstützung durch Spenden.

https://www.hits-fürs-hospiz.de/

KStA abonnieren