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Fan-Forscher im Interview„Borussia Dortmund hat seine Anhänger überschätzt“

Lesezeit 3 Minuten
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Die BVB-Fans riefen teilweise zur Gewalt auf.

Professor Harald Lange ist Sportwissenschaftler an der Universität Würzburg und Leiter des Instituts für Fankultur. Dort arbeitet er zusammen mit einem Psychologen und einem Kriminologen.

Herr Lange, Sie sind ein renommierter Fan-Forscher. Wie bewerten Sie das Fan-Verhalten rund um das Spiel Dortmund gegen Leipzig?

Die Rivalität, die unter Vereinen immer vorhanden ist, hat ihre Grenzen. Die Fans versuchen immer, diese Grenzen auszureizen.

Wann sind sie überschritten?

Wenn man den Gegner und dessen Anhang dermaßen beleidigt und diffamiert, dass man im Extremfall von Gewalt sprechen muss.

War das am Samstag der Fall?

Die Grenzen wurden mehrfach und eindeutig überschritten. Transparente, auf denen dazu aufgerufen wird, Pflastersteine auf die Bullen zu werfen: Das ist eine Aufforderung zur Gewalt. Angeblich hat es sogar Plakate gegeben, die Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick zum Selbstmord auffordern. Das ist absolut geschmacklos. Da muss sich der Verein fragen lassen: Warum ist er nicht eingeschritten? Warum hat er diese Plakate während des Spiels nicht entfernt? Man muss jetzt prüfen, ob der Verein da etwas unternommen hat.

Es deutet nichts darauf hin.

Dann ist Borussia Dortmund seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Bis zu einem gewissen Punkt darf man provozieren, protestieren und auch diffamieren. Das ist nicht immer gleich eine Aufforderung zur Gewalt und gehört zu unserer Fankultur. Damit können die Fans normalerweise ausgesprochen gut umgehen.

Wie meinen Sie das?

„Pflastersteine auf die Bullen“ geht nicht. Bei „Macht die Bullen platt“ sieht das anders aus. Das kann alles bedeuten. Nach den Vorfällen von Dortmund ist das sicher nur schwer zu vermitteln.

Den Fans sind diese feinen Unterschiede offenbar egal. Und BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat vor dem Spiel durch despektierliche Äußerungen über RB Leipzig die Stimmung angeheizt.

Jetzt müsste man schauen: Was hat er gesagt? Und wann? Viel entscheidender ist: Wenn der Verein und der Geschäftsführer merken: Die Masse unserer Fans ist zu blöd, mit dieser Grenze umzugehen, muss man Dampf rausnehmen.

Und wie?

Es gibt neuralgische Punkte, an denen man das festmachen kann. Spätestens wenn die Fans des Gegners angegriffen und verletzt werden. Nach diesem Spiel gegen Leipzig weiß der BVB genau: Unsere Fans haben sich nicht im Griff, sie können mit dieser Rivalität

einfach nicht angemessen umgehen.

Dass das Modell RB Leipzig unbeliebt ist, müsste sich doch bis Dortmund rumgesprochen haben.

Grundsätzlich darf man das Geschäftsmodell von RB Leipzig aus Fan-Sicht natürlich kritisieren, weil es mit unserer Fankultur, die sehr an Traditionen orientiert ist, nichts zu tun hat. Das Neuralgische an diesem Punkt ist, ob man als Vereinsleitung, als Mannschaft, als Trainer, als Geschäftsführer noch Öl ins Feuer gießt, wissend, dass die eigene Fankultur damit nicht umgehen kann.

Was sagen Sie?

Nach Samstag muss man sagen, dass das ein Fehler war. Leipzig wird überall kritisiert, aber es gibt Vereine, da geschieht das in angemessener Form. Rivalisierend, vielleicht auch verletzend, aber friedlich. Traditionsverein hin oder her. In diesem Punkt hat Borussia Dortmund komplett versagt.

Nach Ausschreitungen heißt es immer: Das waren Hooligans.

Das ist unwahrscheinlich. Es waren BVB-Anhänger, die die gesamte Fankultur in Misskredit gebracht haben.

Was muss der BVB jetzt tun?

Es ist nicht so einfach, guten Protest hinzukriegen. Der Verein hat seine Anhänger überschätzt. Da muss jetzt mehr kommen, als eine Stellungnahme. Das war es jetzt. Der Vereinsführung sollte künftig nichts mehr gegen Leipzig sagen, weil seine Fans damit nicht umgehen können. Er muss ihnen klar machen: Auch wenn alle so schön provozieren. Ihr dürft nicht mehr, weil ihr es nicht könnt. So etwas darf nicht noch einmal passieren.

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