Jörg Jaksche über sein Dopinggeständnis„So habe ich alles verloren“

Lesezeit 7 Minuten
Jaksche

Ex-Profi Jörg Jaksche

Herr Jaksche, eine Hacker-Gruppe, die sich „Fancy Bears“ nennt, hat eine Fülle an medizinischen Ausnahmegenehmigungen für Athleten aus aller Welt offen gelegt. Jetzt sind die einen entrüstet, weil es möglich war, diese bei der Welt Anti Doping Agentur Wada gespeicherten, sehr privaten Daten der Sportler zu hacken. Und die anderen, weil es hier offenbar eine Möglichkeit zu legalem Doping gibt, von der die Öffentlichkeit bislang wenig wusste. Zu welcher Gruppe gehören Sie?

Auf der einen Seite sind so Hacker-Sachen natürlich immer erschreckend. Auf der anderen Seite: So lange sie nicht mein Bankkonto abräumen, ist es mir eigentlich auch egal, weil ich nichts zu verheimlichen habe. Aber hier sieht es insbesondere beim britischen Radrennstall Sky so aus, als hätte es etwas zu verheimlichen gegeben.

Zur Person

Jörg Jaksche, geboren am 23. Juli 1976 in Fürth, ehemaliger Radprofi, der im Rahmen des Fuentes-Skandals 2007 Doping zugab und als Kronzeuge auftrat. Anschließend wurde er von vielen Kollegen geächtet, ihm gelang kein Comeback in den Sport. Er fuhr unter anderem für die Teams Telekom, CNC und Once/Liberty Seguros. Größte Erfolge: Gesamtsieger bei der Mittelmeer-Rundfahrt und bei Paris-Nizza 2004. Zur Zeit lebt Jaksche in Sydney, wo er an seinem Master im Fach International Business sitzt. (sro)

Sie sprechen über die Daten von Bradley Wiggins, Gewinner der Tour de France 2012 und fünfmaliger Olympiasieger. Er hat in den Jahren 2011, 2012 und 2013 jeweils im April oder Juni eine genehmigte Injektion mit dem Corticosteroid Triamcinolone erhalten. Wegen „massiver Atemprobleme“ aufgrund einer Gräserpollen-Allergie, heißt es.

Soweit ich weiß, hat Bradley Wiggins bislang kein überzeugendes Attest, das die medizinische Notwendigkeit der Cortisongabe bescheinigt, vorgelegt. Anders als etwa Bahnrad-Olympiasieger Callum Skinner, der als Reaktion auf die Veröffentlichungen seine Asthma- und Allergie-Historie seit seinem fünften Lebensjahr gepostet hat. Der hat die Hosen runtergelassen, Bradley Wiggins nicht. Und legales Doping, wie Sie es in Ihrer Eingangsfrage nennen, gibt es nicht. Wenn man sich mit einem falschen Attest wegen einer angeblichen Allergie eine medizinische Ausnahmegenehmigung ergaunert, dann ist das Doping.

Aber ob und bei wem so eine Ausnahmegenehmigung „ergaunert“ worden ist, wie Sie sagen, ist ja schwer zu beweisen.

Bei der Professionalität, die das Team Sky an den Tag legt, was die alles austesten, die haben zum Beispiel 37 verschiedene Kopfkissen ausgetestet – und dann wird bei Bradley Wiggins, dem großen Tour-Favoriten, bei einer Allergie nicht umfassend medizinisch untersucht, sondern einfach Pi mal Daumen mit gehen wir mal zum Arzt und holen uns Cortison gearbeitet? Da glaube ich dann doch eher an eine Räubergeschichte.

„Ja, ich habe das auch genommen“

Auf Twitter haben Sie gepostet, dass Sie diese Allergie kennen, sie heiße „große Radrundfahrten“. Bringt es das denn, im April oder Juni Cortison zu spritzen, wenn im Juli die Tour de France stattfindet?

Wenn etwas auf der Dopingliste steht, dann bringt es auch etwas.

Haben Sie selbst Triamcinolone mal genommen?

Ja, ich habe das auch genommen.

Und, was hat es gebracht?

Ja, sagen wir so, langsamer macht es nicht. Das ist ein Dopingmittel. Es ist stark schmerzhemmend und es ist entzündungshemmend. Damit ist es leistungssteigernd. Ich war nicht der Einzige, der das genommen hat. In jedem Team, in dem ich war, wurde mit Cortison betrogen. Es stimmt auch nicht, dass Cortison keinen leistungssteigernden Effekt hat, wenn jemand krank ist. Das ist Bullshit. Cortison hilft natürlich etwa bei einer Allergie, aber es macht ja nicht mit der Leistungssteigerung Schluss, wenn die Allergie eingedämmt ist.

Wie lange wirkt so eine Injektion?

Mit der Ausnahmegenehmigung sind erhöhte Werte für vier Wochen abgedeckt. Aber die Frage ist, ob dann während der Tour noch mal nachgespritzt wurde. Denn da die Dopingkontrollen anonymisiert sind, kann nicht festgestellt werden, ob die Cortisonkonzentration bei einem Fahrer mit Ausnahmegenehmigung linear nach unten geht oder zwischendurch noch mal angestiegen ist.

„Das Dopinggeständnis verfolgt mich bis heute“

Dabei lässt uns doch der Radsport seit einigen Jahren glauben, dass alles besser geworden ist.

Scheinbar eben nicht. Das ist auch für mich erschreckend. Ich habe da ja im Sinne der Aufklärung auch viel Energie reingesteckt. Es gab bis 2006/2008 flächendeckendes Doping im Radsport. Von den Leuten, die damals in einer führenden Position als Teamärzte oder Teammanager tätig waren, sind 95 Prozent heute immer noch aktiv. Es wurde alles auf die Fahrer geschoben, die bösen Buben, Einzeltäter und so. Heute wird so getan, als seien die Leute und der Sport geläutert. Das stimmt überhaupt gar nicht. Die müssen das sagen, weil die Sponsoren darauf bestehen.

Sie haben 2007 im Rahmen des Fuentes-Skandals umfassend zu Ihren Doping-Praktiken ausgesagt und danach nie wieder ein Engagement im Radsport bekommen. Wie geht es Ihnen heute?

Erschütternd ist, wenn man dann ins normale Leben kommt, dass es bei Vorstellungsgesprächen passieren kann, dass man gefragt wird: Würden Sie, wenn bei uns etwas nicht ordentlich läuft, das auch öffentlich machen? Das Doping-Geständnis von damals verfolgt mich also bis heute ab und zu.

Würden Sie es trotzdem wieder so machen?

Ich würde es mir sehr genau überlegen. Ich weiß es nicht. Ich habe sehr viel verloren. Es hat mich sehr viel Energie gekostet. Und wie man sieht, hat es nicht viel gebracht. Höchstens für mich selbst, dass ich sagen kann: Ich habe nichts mehr zu verbergen. Aber im Radsport hat sich dadurch nichts geändert. Es ist schwer, gegen so ein eingefahrenes System anzukämpfen, in dem es wie im kriminellen Untergrund andere Spielregeln gibt. Wenn ich meine Klappe damals gehalten hätte, so wie viele andere, dann wäre ich mit einem Jahr oder zwei Jahren Sperre bestraft worden, aber ich hätte nicht gegen die Ethik des Radsport verstoßen. Ich hätte zurückkommen können und wieder ein Einkommen gehabt, durch die Arbeit, die mir Spaß macht. So habe ich alles verloren.

Haben Sie sich durch die Aussagen der russischen Whistle-Blowerin Julia Stepanowa und ihre anschließend wenig freundliche Behandlung durch das IOC an Ihre eigene Geschichte erinnert gefühlt?

Ich hatte mal ein Gespräch mit Thomas Bach (aktuell Präsident des Internationalen Olympischen Komitees IOC, d. Red.), er ist ja auch einer aus der alten Garde, er sagte mir damals: Also Herr Jaksche, was Sie da erzählen, das reicht mir nicht. Insofern wusste ich schon, wie das für Julia Stepanowa ausgehen würde. Viele glauben ja, das IOC sei ein Verein. Aber das ist ein Unternehmen, es ist in der Schweiz auch als Unternehmen eingetragen. Die streben nach Profitmaximierung. Sich mit denen anzulegen, da sitzt man am kürzeren Hebel.

Heißt: Wenn ich in Russland einem Staatsdoping ausgesetzt bin und dagegen aussage, dann agiere ich damit gegen das IOC?

Ja. Ja, ja. So etwas will das IOC nicht. Es gibt einen Unterschied zwischen skandalfreiem und dopingfreiem Sport. Das IOC will skandalfreien Sport. Wenn ich als IOC einen sauberen Sport wollen würde, dann würde ich doch dafür sorgen, dass Athleten wie Julia Stepanowa protegiert und geschützt werden und in ihren Sport zurückkehren können. Wenn Sie sich durchlesen, wie Herr Bach mit angeblich ethischen Verfehlungen begründet, warum Stepanowa nicht bei Olympia starten durfte, dann wird Ihnen schlecht.

Am Montag übernimmt mit dem bayrischen Polizisten Günter Younger bei der Wada ein ehemaliger Europol- und Interpol-Mitarbeiter den Posten des Chefermittlers. Er will ein Vertrauensklima schaffen und Anlaufstelle für aussagewillige Athleten sein. Kann das funktionieren?

Warum sollte das funktionieren? Bei mir hat sich weder die Wada noch sonst irgendwer aus dem Sport für mich eingesetzt. Jetzt muss ich hoffen, dass es im normalen Leben anders läuft und dass es auch Unternehmen gibt, die sich an ihren moralischen Grundsätzen messen lassen.

Das Gespräch führte Susanne Rohlfing.

KStA abonnieren