Kölner „Doping-Papst“ im InterviewWilhelm Schänzer: „Ich fühle mich etwas schuldig“

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Der Lieblingsplatz von Wilhelm Schänzer ist das Labor.

Der Lieblingsplatz von Wilhelm Schänzer ist das Labor.

  • Wilhelm Schänzer ist seit 1995 Leiter des Instituts für Biochemie und des angegliederten von der Welt Anti Doping Agentur (WADA) akkreditierten Analyselabors an der Deutschen Sporthochschule Köln.
  • Sein Schwerpunkt ist die Weiterentwicklung von Anabolika-Nachweisen.
  • Wilhelm Schänzer hat Ben Johnson überführt und Dieter Baumann entlastet.

Köln – Herr Schänzer, am 1. August gehen Sie als Leiter des Instituts für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln in den Ruhestand. Sie waren in den vergangenen gut 20 Jahren auch Leiter des Kölner Doping-Analyselabors und damit einer der großen Dopingfahnder des Weltsports. Mit zehn Jahren hatten Sie das ja wahrscheinlich nicht als Berufswunsch angegeben, oder?

Nein. Das hat sich so ergeben. Ich habe Sport studiert und wollte anschließend zurück an den Niederrhein gehen und Lehrer an einer Schule werden. Dann wurde mein Interesse für die Wissenschaft geweckt, besonders die Physiologie hat mich interessiert. Da war aber keine Stelle frei und ich bekam den Hinweis, dass Professor Manfred Donike hier bald ein Institut für Biochemie gründen würde.

Sie haben 1978 bei Donike als studentische Hilfskraft angefangen, zur Hochzeit des Anabolika-Dopings.

Ja, klar. Bei Olympia 1972 in München wurden erstmals Dopingkontrollen gemacht, allerdings wurde nur auf Stimulanzien und Narkotika getestet. Anabolika hat das IOC erst 1974 in seine Verbotsliste aufgenommen. An der Bottmühle in Köln wurden unter Donike die Analyseverfahren weiterentwickelt. Und als das Labor 1979 an die Sporthochschule zog, ging es voran mit der Dopinganalytik.

International ging schon damals viel von Köln aus.

Montreal und London waren auch schon ganz gut aufgestellt. Aber viele Mitarbeiter für neue Antidoping-Laboratorien wurden bei oder durch uns ausgebildet. Das war eine spannende Zeit. 1982 hat Donike mich nach Ecuador geschickt, da waren Weltmeisterschaften im Schwimmen. Da hat Michael Groß zwei Goldmedaillen gewonnen. Und ich musste in einem Krankenhaus sechs Wochen vorher kurzfristig ein Labor nur für die Meisterschaften aufbauen.

Die Hochzeit des Anabolika-Dopings und der Antidopingkampf in den Kinderschuhen.

Ja. Ein Jahr später, 1983, kam ein ganz großes Ereignis. Das war in Caracas, in Venezuela, bei den Panamerikanischen Spielen. Da ist heimlich ein Labor im Leichtathletikstadion eingerichtet worden, wir waren mit fünf Mitarbeitern aus Köln vor Ort. Im Vorfeld sind Gewichtheber kontrolliert worden, da waren gleich mal 13 positiv.

Dann begannen die Spiele und wir hatten wieder einige positive Fälle. Das wurde bekannt. Und dann ist fast das komplette amerikanische Team abgereist. Jeder hatte eine andere Krankheit. Da haben auch die Amerikaner endlich gemerkt, dass sie ein Dopingproblem haben. Das war gut. So konnte Manfred Donike durchsetzen, dass bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles schon mit den modernen Methoden kontrolliert und auch auf Testosteron getestet wurde.

Am ersten ganz großen Dopingfall des Sports, als 1988 in Seoul Ben Johnson überführt wurde, waren Sie dann auch nicht ganz unbeteiligt.

Ben Johnson ist ja mit Stanozolol überführt worden. Er hatte wohl von seinen Leuten die Information, dass das nicht nachweisbar sei. Das war auch über Jahre ein Problem. Aber ich hatte ab 1984 von Donike den Auftrag, mich um Stanozolol zu kümmern.

Schuldgefühle beim „Doping-Papst“

Also sind Sie schuld?

Ein bisschen fühle ich mich schuldig, ja. Wir haben die Hauptmetabolite von Stanozolol synthetisiert, damit die Analytik sauber und einwandfrei geführt werden konnte. Daher war der Nachweis 1988 möglich. Ich bin ja im Sport groß geworden. Meine Arbeit habe ich deshalb immer als Hilfe für die Sportler gesehen, wir sorgen dafür, dass es fairer zugeht. Ich bin in der Leichtathletik selbst mit Kollegen groß geworden, die gedopt haben, mit denen ich immer Streit hatte.

Was waren neben Ben Johnson die größten Dopingfälle, in die Sie involviert waren?

Ich habe natürlich den Fall Katrin Krabbe miterlebt. Das war schon ziemlich spektakulär. Da ist uns ja zuerst eine Manipulation von Urinproben aufgefallen. Wir hatten bei drei von vier Proben komplett identische Ergebnisse des Chromatogramms. Da sind die Athletinnen aber aus dem Verfahren raus gekommen, ihr Anwalt hatte vorgebracht, dass die Proben auch bei uns im Labor hätten manipuliert werden können.

Und Dieter Baumann?

Ja, das war auch ein spektakulärer Fall. Er hatte sich ja immer stark gegen Doping ausgesprochen.

Und dann hatten Sie im Oktober 1999 eine positive Probe von ihm. Allerdings wussten sie zunächst nicht, dass die Probe von ihm war.

Genau. Wir berichten ja zunächst an den Verband. In dem Fall war es eine Trainingskontrolle des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Dann bekam ich einen Anruf: Herr Schänzer, Sie haben uns hier einen positiven Befund mit Nandrolon – einem synthetischen Steroid – gemeldet. Aber das können wir uns bei dem Athleten gar nicht vorstellen.

Den Namen kannte ich zu dem Zeitpunkt noch immer nicht. Aber wir hatten folgendes Problem mit Nandrolon: Seit Anfang des Jahres hatten wir positive Nandrolon-Fälle aufgrund von verunreinigten Nahrungsergänzungsmitteln. Das reichte für positive Urintests aus, hatte aber keine leistungssteigernde Wirkung. Wir bekamen dann vom DLV vier, fünf Produkte, Eiweißshakes und so etwas, aber die waren alle negativ. Also wurde der Athlet vom Verband suspendiert.

Da haben Sie erst erfahren, dass es um Dieter Baumann geht?

Genau.

Und was dachten Sie?

Das kann ich mir nicht vorstellen, dachte ich. Und: Doch nicht mit Nandrolon, was man so gut nachweisen kann. Der ist doch nicht doof. Ich habe gesagt: Die müssen etwas übersehen haben bei den Präparaten. Am selben Abend habe ich einen Mitarbeiter nach Tübingen geschickt und der hat aus dem Haus der Baumanns 40, 50 Produkte mitgenommen.

Aber Baumann zu entlasten, war doch eigentlich nicht Ihre Aufgabe.

Was heißt Aufgabe? Mich interessierte die Quelle. Ich dachte, da gibt es irgendwo ein Nahrungsergänzungsmittel oder was auch immer, wovor auch andere Athleten geschützt werden müssen. Ich habe damals gesagt, dass Dieter Baumann und seine Frau weiter Proben zu uns schicken sollen. Ich wollte sichergehen, dass wir nichts übersehen. Alle Produkte, die wir mitgenommen hatten, waren negativ. Aber die Urinproben von ihm und seiner Frau waren weiter positiv. Kontinuierlich über mehrere Tage, immer mit einem niedrigen Wert. Ich habe gesagt: Da muss irgendwo im Haus ein Quelle sein. Dann haben die Baumanns nicht mehr zu Hause gegessen, sondern irgendwo in einer Tankstelle.

Und was haben Sie gemacht?

Wieder einen Mitarbeiter nach Tübingen geschickt. Der hat in acht Metzgereien Fleisch eingekauft. Wir haben daraus Frikadellen gemacht, sie gegessen und unseren Urin getestet. Aber alles negativ.

Und dann?

Eine Theorie gab es noch. Baumann ging immer in ein Fitnessstudio. Da haben wir gesagt: Fitnessstudio? Da sind doch die ganzen Jungs mit Muckis, die arbeiten doch alle mit Steroiden. Vielleicht hatte Baumann Kontakt zu einer Hantelstange mit Anabolika-Schweiß. Also haben wir das simuliert, mit Schweiß und Steroid-Metaboliten. Wir haben jemanden trainieren lassen und geguckt, ob sich das über die Haut überträgt. War aber nicht. Und die Proben von Dieter Baumann waren immer noch positiv. Es war unvorstellbar, wir konnten uns das nicht erklären. Also ist noch mal jemand hingefahren und hat alles mitgenommen. Duschgel, Zahnpasta, alles.

Ein Wundermittel in der Zahnpastatube

Und in der Zahnpasta war etwas drin?

Ja, da war es drin. Ein Prohormon von Nandrolon, ungefähr so viel, wie in einer Tablette steckt. Die waren in Deutschland verboten, aber in Amerika wurde der Markt damit überschwemmt. Das hatte jemand bei Baumann in die Elmex gemischt. Die Staatsanwalt hat später festgestellt, dass die Tube am Ende fachmännisch geöffnet und wieder geschlossen worden war. Und Baumann lief die ganze Zeit mit einem positiven Befund durch die Landschaft.

Zum dopen reichte das überhaupt nicht. Wir haben dann noch weitere Tests gemacht und konnten beweisen, dass das Nandrolon bei Baumann über die Mundschleimhaut aufgenommen worden war. Das war also alles stimmig. Es konnte nur nicht geklärt werden, wer die Manipulation vorgenommen hat.

Sie sind ein sehr neutraler Dopingjäger, immer im Glauben, dass da noch Gutes im Spitzensport steckt. Wie haben Sie sich das bewahrt?

Ich mache eine Analyse. Wenn ein Verband das Ergebnis benutzen kann, um einen Doper zu sanktionieren, ist das eine schöne Sache im Antidopingkampf. Wenn die Analyse aber auch Daten hergibt, die der Athlet verwenden kann, um zu zeigen, dass es vielleicht ganz anders gewesen ist, dann ist auch das hilfreich. Ich finde, dass ich als Wissenschaftler eine gewisse Neutralität haben muss.

Ich kann nicht mit der Voreinstellung an die Sache herangehen, dass ja sowieso alle gedopt sind. Ich habe nach wie vor Respekt vor den Athleten. Letztlich bewundere ich die Sportler, die bringen super Leistungen. Die würden sie auch ohne Doping bringen. Meiner Ansicht nach wird die Wirkung von Doping in der Regel überschätzt. Aber das ist ein Verstoß gegen die Regeln, und das muss bekämpft werden.

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