Leichtathletik-WMDürfen Athletinnen wegen erhöhter Testosteronwerte verbannt werden?

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Caster Semenya (r.) vor dem Start über 1500 Meter der Frauen.

Caster Semenya (r.) vor dem Start über 1500 Meter der Frauen.

London – Aus dem verstörten Teenager, der 2009 unverhofft zum Mittelpunkt einer hitzigen Debatte im Weltsport geworden und bis heute geblieben ist, ist eine selbstbewusste Athletin geworden. Caster Semenya beteiligt sich nicht an Diskussionen darüber, ob sie auf Grund ihrer von Natur aus erhöhten Testosteronwerte von der Tartanbahn verbannt werden sollte. Sie tut was sie am besten kann: Rennen. Und das nicht mehr nur über ihre Paradestrecke, die 800 Meter. Bei der WM in London trat die 26 Jahre alte Südafrikanerin auch über 1500 Meter an und gewann am Montagabend Bronze. „Ich wollte etwas Neues probieren. In der Zukunft kann ich es noch besser machen“, sagte sie.

Doch über ihre Zukunft entscheidet sie nicht allein. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF möchte Frauen wie Caster Semenya, bei denen eine so genannte Hyperandrogenämie vorliegt, eine erhöhte Produktion männlicher Geschlechtshormone, das Startrecht verwehren. Die Begründung: Sie hätten einen unfairen Vorteil gegenüber Frauen mit einem üblichen Hormonspiegel. Einziger Ausweg: Sie unterziehen sich einer Therapie, senken ihren natürlichen, aber eben nicht der Norm entsprechenden Hormonspiegel unter den festgesetzten Richtwert von 10 nmol pro Liter.

Diese Regel galt von Mai 2011 bis Juli 2015. Dann setzte der Internationale Sportgerichtshof CAS sie außer Kraft. Die indische Sprinterin Dutee Chand hatte dagegen geklagt. Der CAS sah nicht als erwiesen an, dass Frauen mit Hyperandrogenämie einen Wettbewerbsvorteil haben und gab der IAAF zwei Jahre Zeit, das zu beweisen.

„Dafür sollte man sie bewundern. Und das tue ich“

Anfang Juli hat die IAAF nun eine Studie vorgelegt, angeblich mit entsprechenden Beweisen. Die Entscheidung des CAS wird in den nächsten Monaten erwartet. Caster Semenya, die in London am Sonntag noch Gold über 800 Meter gewinnen möchte, sagte: „Es ist, als würdest du immer das selbe Lied hören, seit fast neun Jahren, manchmal macht dich das ärgerlich, manchmal langweilt es.“

2009 war sie in Berlin zum ersten Mal Weltmeisterin über 800 Meter geworden und aufgrund ihres männlichen Erscheinungsbildes in die Kritik geraten. Das alles sei die Sache der IAAF, nicht ihre, sagte Semenya nun. „Ich bin Caster Semenya. Ich bin Athletin. Ich bin Unternehmerin. Ich bin Studentin. Ich konzentriere mich auf mich.“

In London waren die Kenianerin Faith Chepngetich Kipyegon in 4:02,59 Minuten und Jennifer Simpson aus den USA (4:02,76) über 1500 Meter schneller als Semenya (4:02,90). Die Britin Laura Muir kam in 4:02,97 Minuten knapp geschlagen auf Rang vier. Überraschungsfinalistin Hanna Klein (4:06,22) aus Schorndorf wurde Elfte. Muir wollte sich in der Angelegenheit Semenya nicht äußern. „Dazu habe ich nichts zu sagen“, lautete ihre schroffe Antwort. Klein gestand, sich mit dem Thema noch nicht intensiv beschäftigt zu haben. „Das war für mich bis jetzt immer eine andere Welt. Aber das muss man erst mal vom Kopf her hinbekommen, trotzdem an die Startlinie zu gehen, obwohl man so in der Kritik steht. Dafür sollte man sie bewundern. Und das tue ich.“

Ist es unfair, wenn die Natur Vorteile verteilt?

Es ist davon auszugehen, dass sich Caster Semenya zwischen Mai 2011 und Juli 2015 der IAAF-Regel unterworfen und einer Hormonbehandlung unterzogen hat. 2011 wurde sie Vize-Weltmeisterin, 2012 Olympiazweite. Jeweils hinter der Russin Marija Sawinowa, die 2015 rückwirkend des Dopings überführt wurde. Semenya erhielt nachträglich zweimal Gold. 2013 qualifizierte sich die Südafrikanerin nicht für die WM in Moskau, 2015 schied sie im Halbfinale aus. Wegen anhaltender Knieprobleme, hieß es. Weil die Hormonbehandlung inzwischen Wirkung zeigte, wurde spekuliert.

Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro schließlich feierte Caster Semenya über 800 Meter ein goldenes Comeback. Die IAAF-Regel war seit einem Jahr außer Kraft. Silber und Bronze holten Francine Niyonsaba aus Burundi und Margaret Wambui aus Kenia, auch sie fielen durch ein maskulines Äußeres auf. Die Kanadierin Melissa Bishop als Vierte und die Britin Lynsey Sharp als Sechste lagen sich anschließend enttäuscht in den Armen. Das Bild, wie Semenya sich ihnen kameradschaftlich nähert, aber konsequent ignoriert wird, ging um die Welt.

Der CAS muss nun entscheiden, ob Frauen mit erhöhten Testosteronwerten aus der im Sport üblichen und nötigen Kategorisierung Mann/Frau herausfallen. Ob sie im Leistungssport, der geprägt wird von Menschen mit besonderen, nicht der Norm entsprechenden Fähigkeiten, eine nicht zu akzeptierende Ausnahme darstellen. Ob sie zu einer medikamentösen Therapie gezwungen werden können, während die großen Hände und Füße des Schwimm-Superstars Michael Phelps oder die unverschämt guten Hebel der langen Beine von Sprinter Usain Bolt als Natur gegebene Vorteile akzeptiert werden. Ob ihr Recht auf Privatsphäre und körperliche Unversehrtheit dem Recht anderer Athletinnen auf einen fairen Wettkampf untergeordnet werden darf. Ob es überhaupt unfair ist, wenn die Natur Vorteile verteilt. Das ist eine schwierige Entscheidung in einer hitzigen Diskussion.

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