Nach Kölner StudieSpektakuläre Wende in der Meldonium-Doping-Causa

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Meldonium steht auf der Liste der verbotenen Substanzen.

  • Eine Studie des Zentrums für Präventive Dopingforschung der Deutschen Sporthochschule Köln brachte neue Erkenntnisse.
  • Positiv auf Meldonium getestete Sportler können auf Begnadigung hoffen – der Wada hingegen droht eine Klagewelle.

Köln – Auf den ersten Blick war es eine gewöhnliche Mitteilung. Doch die Brisanz dessen, was die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) am Mittwoch verlauten ließ, kann nicht überschätzt werden: Die Wada will die Strafen für Sportler lockern, denen die Einnahme des seit Januar verbotenen Dopingmittels Meldonium nachgewiesen wurde. Das bedeutet: 172 Athleten, die seit Jahresbeginn positiv auf das leistungssteigernde Herz- und Kreislaufmedikament getestet und deshalb suspendiert oder gesperrt wurden, können auf eine Neubeurteilung ihres Falles und auf eine Begnadigung hoffen – und damit teilweise sogar auf einen Start bei den Olympischen Spielen, die von 5. bis 21. August in Rio de Janeiro  stattfinden.

Unter anderem Maria Sharapova positiv getestet

Der Hintergrund: Mit Meldonium hat die Wada ein Präparat verboten, bei dem nicht abschließend geklärt ist, wie lange nach der Einnahme es im Körper nachgewiesen werden kann. „Bei der Bewertung von Meldonium fehlen weiterhin wissenschaftliche Informationen zum Abbau des Mittels im Körper“, heißt es  seitens der Wada.

Schon in den vergangenen Monaten hatte für Aufsehen gesorgt, dass diverse prominente Athleten positiv auf das Präparat Mildronat mit dem Wirkstoff Meldonium getestet wurden. Darunter waren viele Sportler aus Russland, beispielsweise Maria Scharapowa, eine der besten Tennisspielerinnen des zurückliegenden Jahrzehnts, sowie die Brustschwimm-Weltmeisterin  Julia Jefimowa und der Shorttrack-Olympiasieger Semjon Jelistratow.  In allen Fällen ist eine Amnestie vorstellbar, sofern keine Beweise für einen Gebrauch des Präparats in 2016 vorliegen.

Der Wada drohen eine Klagewelle inklusive Schadensersatz-Forderungen sowie etliche juristische Einzelfallbetrachtungen. „Nach mehr als 150 Meldonium-Fällen weltweit ist eine sachliche und juristische Prüfung nachvollziehbar“, sagt Lars Mortsiefer, Vorstandsmitglied der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) aus Deutschland. Und: „Womöglich waren die Studien, die zur Verfügung standen, nicht valide genug.“

Wirkstoff möglicherweise mehrere Monate nachweisbar

Maßgeblichen Einfluss auf diese neue Entwicklung hatten Pilotstudien des Zentrums für Präventive Dopingforschung der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS). „Das tatsächliche Nachweisfenster von Meldonium in Urin sollte untersucht werden“, sagt Professor Mario Thevis, einer der führenden Doping-Experten des Landes und Leiter des Zentrums, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Das Ergebnis: Der Wirkstoff ist nicht – wie bisher auf Basis wissenschaftlicher Publikationen angenommen – nur drei bis maximal sieben Tage, sondern möglicherweise sogar mehrere Monate im Körper nachweisbar. Eine überraschende Wende in der Meldonium-Causa. „Diese Nachweisfenster waren nicht zu erwarten. Umso wichtiger ist es, dass jetzt umfangreichere Studien durchgeführt werden“, sagt Thevis.  Und weiter: „Es bedarf belastbarer wissenschaftlicher Daten, um Sanktionen gegen Sportler auszusprechen – oder eben nicht.“ Es geht schließlich um den Schutz der Athleten.

Konkret haben die Pilotstudien zu folgenden, vorläufigen Empfehlungen der Wada geführt: Jene Sportler, bei denen in einer Urinprobe, die vor dem 1. März genommen wurde, eine Meldonium-Konzentration von weniger als einem Mikrogramm pro Milliliter festgestellt wurde, können von Doping-Vorwürfen freigesprochen werden, weil nicht belegbar ist, dass sie das Präparat tatsächlich nach dem 1. Januar 2016, dem Beginn des Verbots, zu sich genommen haben. Theoretisch könnten Restbestände aus dem vergangenen Jahr ursächlich sein für den positiven Befund.  Ebenso werden womöglich Fälle neu bewertet bei Sportlern, deren Meldonium-Konzentration zwischen einem und 15 Mikrogramm lag. Denn: „Es gibt zwei Phasen der Ausscheidung  – eine sehr schnelle und eine sehr langsame, möglicherweise  bis zu mehreren Monaten“, sagt Thevis. 

Wada-Schuldspruch bei Zweifel an Absicht kaum vorstellbar

All das steht in krassem Kontrast zu Meinungen wie etwa der des bekannten Pharmakologen und Dopingexperten Fritz Sörgel, der noch vor wenigen Wochen erklärte: „Selbst bei großzügiger Auslegung wird man da nach drei Tagen nichts mehr finden.“ Nicht nur Sörgel, sondern anscheinend alle weltweit in der mehrmonatigen Konsultationsphase der Wada für die Aufnahme von Meldonium auf die Dopingliste beteiligten Pharmakologen haben die lange Nachweiszeit offenbar unterschätzt.

Gegebenenfalls in juristischen Betrachtungen werden Fragen zu klären sein wie die, ob die Sportler selbst dafür verantwortlich sind, dass in ihrem Urin mit Beginn eines Verbots keine Bestände des dann untersagten Präparats zu finden sind.  Also: Ob die Athleten schuldlos, fahrlässig –  oder doch bewusst handelten.  Nach Vorgaben der Wada tragen zwar die Athleten die Verantwortung dafür, was sich zum Zeitpunkt einer Dopingprobe in ihrem Körper befindet. Sollte es aber Zweifel an der tatsächlichen Absicht der Athleten geben, dann ist ein Schuldspruch durch die Wada wegen der vagen Rechtslage kaum vorstellbar.      

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