Tischtennis-WMDeshalb spielt Boll mit Chinas Superstar im Doppel

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Timo Boll un der Weltranglistenerste Ma Long aus China.

Düsseldorf – Die Tischtennis-WM 2017 findet vom 29. Mai bis 5. Juni in zwei Hallen der Messe Düsseldorf statt. Deutschland ist zum sechsten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg Schauplatz von Welttitelkämpfen. Zuletzt war 2012 bei den Mannschafts-Wettbewerben in Dortmund eine deutsche Stadt WM-Gastgeber. Auch bei der ersten Nachkriegs-WM in Deutschland fanden die Titelkämpfe in der westfälischen Metropole statt. Danach richtete der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) WM-Turniere 1969 in München, 1989 wieder in Dortmund sowie 2006 in Bremen aus.

Wie viele Wettbewerbe finden statt?

Fünf. Jeweils zwei Konkurrenzen für Damen und Herren im Einzel und Doppel sowie ein Wettbewerb im Gemischten Doppel. Die WM-Turniere für Mannschaften finden seit der Trennung von Individual- und Team-Wettbewerben in geraden Kalenderjahren statt.

Petrissa Solja

Petrissa Solja tritt im Mixed-Doppel an.

Welche Chancen haben die deutschen WM-Teilnehmer?

Die DTTB-Aktiven haben vergleichsweise gute Aussichtenauf das Ende ihrer Dursttrecke bei Einzel-Weltmeisterschaften seit der Bronzemedaille für Timo Boll 2011 in Rotterdam.

Die besten Chancen haben voraussichtlich in den Doppelkonkurrenzen Rekordeuropameister Boll mit Chinas Olympiasieger und Weltmeister Ma Long sowie die Top-20-Spielerin Petrissa Solja im Mixed mit dem chinesischen Einzel-Vizeweltmeister Fang Bo. Außerdem könnten Patrick Franziska und sein dänischer Europameister Jonathan Groth als Nummer zwei der Setzliste auf das Podest kommen.

Im Einzel sind der Weltranglistenfünfte Dimitrij Ovtcharov und Boll als Nummer acht die größten Hoffnungen der Gastgeber. Bei planmäßigem Turnierverlauf sollten die beiden DTTB-Stars das Viertelfinale erreichen, würden danach aber in der Runde der besten Acht in Spielen um eine Medaille schon auf einen Spieler aus Chinas Spitzenquartett treffen.

Wie kommen die deutsch-chinesischen Doppel zustande?

China hat Interesse an einer Wahrnehmung als offenes Land und sendet deswegen auch in seiner sportlichen Domäne Tischtennis - wie schon 2015 bei seiner Heim-WM in Suzhou - entsprechende Signale in und an die Welt. Die Regeländerung - vorher waren Doppel mit Aktiven aus verschiedenen Nationen nicht erlaubt - hatte China 2013 selbst beantragt.

Ma Long

Ma Long.

Die Öffnung ist aber auch ein künstliches Instrument gegen die Langeweile im Tischtennis durch Chinas Dominanz, das einerseits die internationale Konkurrenz zu mehr Bemühungen um Anschluss an die Chinesen motivieren und andererseits das durch die eigene Dominanz gesunkene Tischtennis-Interesse in der Heimat wieder steigern soll.

Die ausländischen Partner wählen aber allein die Asiaten unter zahlreichen Anfragen vorrangig nach sportlichen Kriterien aus. Die Neuauflage des Doppels von Boll mit Chinas unbestrittenem Dominator Ma Long, das vor zwei Jahren unerwartet schon in Runde zwei scheiterte, darf außer als Gelegenheit zur Revanche besonders auch als Zeichen der Wertschätzung für den in China ausgesprochen populären Ex-Weltranglistenersten aus Düsseldorf und dessen großen Leistungen insbesondere gegen gleich mehrere Generationen von Spielern aus dem Reich der Mitte gelten.

Eine Anfrage des deutschen Verbandes nach einem chinesischen Partner für den Weltranglistenfünften Dimitrij Ovtcharov lehnte Peking ab.

Warum ist Deutschland trotz fünf Olympia-Medaillen bei den vergangenen drei Sommerspielen bei Einzel-Weltmeisterschaften seit Bolls Bronze von 2011 ohne Medaille?

Die Konkurrenz vor allem durch die Chinesen ist größer. Bei Olympia-Turnieren sind faktisch wegen Chinas erdrückender Überlegenheit nur maximal zwei Einzelstarter oder Doppel pro Nation zugelassen, so dass immer mindestens ein Podiumsplatz an eine andere Nation gehen muss. Bei WM-Turnieren hingegen können Top-Nationen mit fünf oder als Gastgeber wie nun Deutschland sogar mit bis zu sechs Aktiven im Einzel antreten.

Warum fehlen bei den deutschen Damen anders als bei Olympia und EM-Turnieren die beiden Topspielerinnen Han Ying und Shan Xiaona?

Weil Tischtennis in der Frage von Startberechtigungen nach einem Nationenwechsel genau wie in vielen anderen Bereichen große Probleme bei der Erstellung eines einheitlichen Regelwerks hat. Die ITTF lässt Aktive wie die gebürtigen Chinesinnen Han und Shan nach internationalen Starts für ein Heimatland trotz eines späteren Verbandswechsels bei WM-Turnieren nicht wieder für eine zweite Nation zu, muss sich aber bei Olympia den entgegengesetzten Vorgaben des IOC beugen.

timo boll

Kann Timo Boll einen neuen Tischtennis-Boom durch die Heim-WM hervorrufen?

Der auf anderen Feldern auch nicht immer überzeugende Europa-Verband hat für Nationalitätenwechsel sinnvollerweise die IOC-Regeln übernommen.

Warum wird Tischtennis als eine der weltweit größten Sportarten in Deutschland nicht häufiger im Fernsehen übertragen?

Auch die kommende WM in Düsseldorf findet im TV kaum statt, die Öffentlich-Rechtlichen steigen wohl erst in den entscheidenden Runden ein. Mehrere Faktoren spielen eine Rolle.

Für das TV-Publikum sind die entscheidenden Dinge wie Effekt und Tempo des Balles mit bloßem Auge praktisch nicht erkennbar; sehr wohl spektakuläre Ballwechsel sind aufgrund von höchst raffinierten (mitunter regelwidrig verdeckt ausgeführten) Aufschlägen und entsprechenden Fehlern beim Rückschläger eher die Ausnahme als die Regel.

Wie beim Tennis ist die Dauer eines Spieles nur schwer bis gar nicht vorherzusagen und deswegen für TV-Macher ein großes Hindernis bei der Planung von Übertragungen. Der Tischtennis-Sport in Deutschland macht die breite Öffentlichkeit trotz Galionsfiguren wie Timo Boll oder früher Jörg Roßkopf viel zu wenig auf sich aufmerksam. Kritiker der TV-Sender hingegen beklagen das mangelnde Angebot an Übertragungen als Ursache des geringen Interesses am Tischtennis-Sport.

THOMAS WEIKERT

Thomas Weikert möchte Präsident des Tischtennis-Weltverbands bleiben und stellt sich zur Wahl.

In Asien übrigens ist Tischtennis weitgehend ein Quotenhit - besonders auch durch die Popularität des Sports auf dem asiatischen Kontinent gehört Tischtennis bei Olympischen Spielen regelmäßig zu den fünf Sportarten mit den meisten TV-Zuschauern weltweit.

Worauf ist bei der WM noch zu achten?

Auf den Kongress des Weltverbandes ITTF am 31. Mai. Der deutsche ITTF-Präsident Thomas Weikert stellt sich erstmals den Delegierten der 226 ITTF-Mitgliedsverbänden zur Wahl, nachdem der ehemalige DTTB-Chef 2014 nach dem Rücktritt des Kanadiers Adham Sharara statutengemäß vom Stellvertreter zum Präsidenten des weltweit größten Dachverbandes aufgestiegen war.

Als Gegenkandidat zu Weikert tritt der sportpolitisch unerfahrene Ex-Europameister Jean-Michel Saive aus Belgien an. Eine Prognose für den Ausgang der Wahl ist schwer: Weikert hat die ITTF aus unvorteilhaften Vermarktungsallianzen herausgeführt sowie finanziell gestärkt und zudem die globale Verbreitung des Sports forciert, Saive hingegen könnte vorrangig mit seiner Popularität in der Tischtennis-Welt aus vergangenen Profizeiten punkten. (SID)

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