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Ulrich Strunz: „Ich bin stärker als früher“

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"Fitnesspapst" Ulrich Strunz

"Fitnesspapst" Ulrich Strunz

Gehen. Trippeln. Walken. Laufen. Das „Fliegen“ auf Höhe Null. Das war seine Mission. „Ich habe Deutschland zum Laufen gebracht“, sagt Ulrich Strunz. Vorbei. Alles vorbei. Strunz (64), als deutscher „Fitnesspapst“, ist schon froh, wenn er am Tag vier Stunden auf den Beinen überhaupt aushält. Von Joggen, Rennen, Sprinten gar nicht zu reden. „Mein größter Wunsch wäre, mal eine Minute ganz ohne Schmerzen zu sein“, sagt der immer noch superdrahtige Mann, der früher Marathon-Strecken und Ironman-Kämpfe in Serie bewältigte. Das ist vorbei. Im linken Bein brennt es mittlerweile wie Feuer. Irgendetwas bohrt ständig aus dem Rücken in den Kopf hinein. „Mein Leben heißt Schmerz“, sagt Strunz.

Seiner Fan-Gemeinde hat der Arzt, Autor und Vortragsreisende in den vergangenen zehn Jahren beigebracht, man könne „for-ever young“ sein. Motto: „Locker, leicht, lächelnd“ in „ein neues Leben“ starten, in dem man die Joggingschuhe ans Bett stellt und jeden Morgen seine Runden dreht. Vier Millionen mal haben sie ihm und seinem Verlag die vielfach variierte Message von Fitness, Fettverbrennung und dem serotoningesteuerten Glücks-„Flow“ abgekauft. Doch nur wenige kennen die ganze Wahrheit: Ihr Lauf-Vorbild selbst muss seit zwei Jahren ein ganz anders Leben leben, als er es ihnen immer wieder empfiehlt.

Drei Wirbel und acht Rippen gebrochen

Es passierte auf Mallorca. Strunz war mit dem Mountain-Bike unterwegs, kam vom Weg ab, stürzte und landete in einer Schlucht. Feuerwehrleute retteten ihn. Sie schafften Strunz ins Inselkrankenhaus, wo man ihn äußerst unsanft behandelte, obwohl er - wie sich erst Wochen später herausstellte - drei Brustwirbel und acht Rippen gebrochen hatte. „Die haben mich im Bett rumgeschmissen wie einen Sack“, erzählt er. Und: „Ich hätte querschnittsgelähmt sein können.“ Oder: „Tot.“

Strunz flüchtete nach Deutschland - im Flugzeug der Notrettung. Doch auch hier ging nicht alles glatt. Im Krankenhaus passten sie ein Gipskorsett an. „Darin bin ich fast erstickt“, sagt er. Nach und nach stellte sich heraus, was in dem fitnessgestählten Körper alles kaputt war. „Sie können einen Ironman nicht richtig behandeln“, sagt er heute selbstironisch. Strunz wechselte noch mal das Krankenhaus. Er fand irgendwo „in der Provinz“ eine Medizin-Kapazität, die sich eine Operation der kaputten Wirbel zutraute und zur Stabilisierung Titanplatten einsetzte. Doch Strunz plagte sich auch mit Suizid-Gedanken: „Wissen Sie, ich habe einen Waffenschein. Und ein Gewehr zu Hause.“

Denn: Es sah nicht mehr so aus, als könne er jemals die von ihm propagierte „Heilkraft der Bewegung“ nutzen. Zwei Monate lag er im Koma, wurde beatmet, künstlich ernährt. Als er aufwachte, war er elf Kilo schwerer als vorher. Was das für einen Mann wie ihn bedeutet, der seinen Körperfett-Anteil auch heute noch bei magersten vier Prozent hält, während die Zeitgenossen seiner Altersgruppe im Mittel gut über 20 Prozent mit sich rumschleppen, kann man wohl kaum ermessen. Die elf Kilo waren bald wieder weg. Richtige Ernährung, Training, soweit möglich - das half.

Strunz nennt sich einen „Krüppel“. Er muss mehrfach täglich Schmerzmittel einnehmen, um halbwegs normal leben zu können - in massiver Dosis. Doch weg sind die Schmerzen nicht, nur gedämpft. Zuerst schleifte ein Bein, Folge eines gelähmten Nervs. Heute sieht man das nicht mehr. „Ich gehe rum, ohne dass Sie es merken“, sagt Strunz. Wie das? Die anderen Muskeln hat er so trainiert, dass sie den Job mit übernehmen.

Der „Forever-young“-Arzt, inzwischen braun statt blond, langhaarig statt kurz, um die Narbe am Schädel zu verdecken, arbeitet jetzt wieder. Er berät und behandelt Patienten in seiner Privatpraxis in Roth bei Nürnberg. Aber nur zwei pro Morgen. „Mehr schaffe ich nicht.“ Dann fährt er im Auto nach Hause. Er muss viel liegen, doch er liest viel und schreibt am Computer, und er trainiert den Körper mit Geräten. Er hält sich strikt an seine „Steinzeit-Diät“: Morgens nur etwas zu trinken, mittags Nüsse, abends Gemüse und Obst bis zum Abwinken, Bioqualität natürlich, aber auch gutes Fleisch. „Das muss sein, obwohl ich eigentlich Vegetarier bin“, sagt Strunz. Genussmittel sind tabu. Mal abgesehen von einem Tässchen Espresso, ab und an.

Krüppel zu sein, das sei nun halt der Normalzustand, sagt Strunz. Trotzdem könne man „Lebensqualität draufpacken“. Das, was früher war, kann er wegblenden; es verschwinde hinter einer Art mentalen Mauer. Ziel: nur nach vorne schauen, nicht nach hinten, niemals vergleichen. „Ich bin ein fröhlicher Mensch“, behauptet Strunz. Und: „Ich bin stärker als früher.“

Wie bitte? Um das zu verstehen, so verblüffend es klingt, muss man wissen: Strunz hat eine gewisse Distanz zum Strunz von früher entwickelt. Nicht zur Lauf- und Ernährungslehre, nein, die sei ja weiter richtig. Sondern zu der Art, wie er sein Leben lebte. Als ein Magazin ihn vor dem Unfall mal einen „Besessenen“ nannte, habe er sich mächtig aufgeregt. Heute weiß er, sagt er: „Die hatten ja Recht.“ Workaholic mit 16-Stunden-Tag, bis zu 200 Vorträgen pro Jahr, kaum Zeit für die Familie („Ich kannte meine Kinder ja nicht“). Er sei doch ein „Kotzbrocken“ gewesen. Früher, da habe er die Leute Fitness gelehrt, um das Leben zu verlängern. Das sei „ein bisschen egoistisch“ gewesen. Nun wisse er: Es gibt ein Leben zu zweit. In einem Interview prägte er den schönen Satz: „Uli Strunz hat die Liebe entdeckt.“

Gefragt, wie alt er werden wolle, sagte Strunz früher immer: 116 Jahre, nämlich: „120 minus ein paar Sünden.“ Heute kommt es ihm nicht mehr so drauf an. Doch über 90 sollen es schon sein. Er hat noch so viel zu sagen. Demnächst kommt ein neues Buch von ihm raus. Es zeigt den Leuten, wie sie durch Essen ihr Fett wegkriegen.

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