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Vorbild BelgienWahlpflicht soll das Wahlrecht schützen

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Würde die SPD besser abschneiden, wenn es Wahlpflicht gäbe? (Bild: dpa)

Würde die SPD besser abschneiden, wenn es Wahlpflicht gäbe? (Bild: dpa)

BRÜSSEL - Während EU-weit im Schnitt nicht einmal jeder zweite Bürger seine Stimme bei der Europawahl abgegeben hat, kam das Königreich Belgien auf eine Wahlbeteiligung von 90 Prozent. Grund hierfür ist die Wahlpflicht, die seit 116 Jahren in der Verfassung verankert ist. Dort heißt es: „Die Stimmabgabe ist obligatorisch und geheim.“

Zweck der Wahlpflicht war ursprünglich nicht, einer Politikverdrossenheit der Bürger entgegenzuwirken. Es war die Zeit der Industrialisierung und der großen sozialen Auseinandersetzungen: Kein Arbeitgeber sollte seine Untergebenen von Wahlen fernhalten können, indem er sie kurzfristig zu Diensteinsätzen verpflichtete. Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber vermeiden, dass weite Teile des Bürgertums in der Erwartung eines Sieges der Arbeiterpartei gar nicht erst wählen gingen.

Bei den ersten Parlamentswahlen in Belgien 1831 hatten nur die wenigen Bürger Stimmrecht, die eine bestimmte Steuer zahlten (Zensuswahlrecht). Nach blutigen Streiks erhielt 1893 jeder Mann eine Stimme. Wer den Zensus zahlte oder ein bestimmtes Diplom vorweisen konnte, hatte zwei oder drei Stimmen. Seit 1919 hat in Belgien jeder Mann nur noch eine Stimme. Seit 1948 dürfen auch Frauen wählen.

Wer seiner Wahlpflicht nicht nachkommt und ohne nachvollziehbaren Grund fehlt, muss mit einer Geldbuße rechnen. Beim ersten Schwänzen kann diese bei 25 bis 50 Euro liegen, im Wiederholungsfall deutlich darüber. Wer innerhalb von 15 Jahren vier Mal absichtlich nicht wählen gegangen ist, wird für zehn Jahre aus dem Wahlregister gestrichen. Während dieser Zeit darf er von einer Behörde weder in ein öffentliches Amt berufen, noch befördert oder ausgezeichnet werden.

In der Praxis geht die überlastete Justiz Belgiens allerdings eher selten gegen Nicht-Wähler vor. Gleichwohl hat die Wahlpflicht eine disziplinierende Wirkung auf das Volk. Allerdings ist niemand verpflichtet, den Parteien auch tatsächlich seine Stimme zu geben. Viele Bürger gehen ins Wahllokal - und geben anschließend einen leeren oder ungültigen Wahlzettel ab.

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