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AbgasaffäreChefin des Umweltbundesamts nimmt Hersteller in die Verantwortung

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Maria Krautzberger, Chefin des Umweltbundesamts

Maria Krautzberger, Chefin des Umweltbundesamts

Berlin – Frau Krautzberger, kaum ein Umweltthema hat die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren so sehr beschäftigt wie der Abgasskandal um stark erhöhte Stickoxidwerte bei Diesel-Autos. Zu Recht?

Ja, völlig zu Recht. Wenn selbst hoch moderne Euro-6-Pkw auf der Straße sechsmal mehr Stickstoffdioxid ausstoßen, als sie dürften, ist das ein Skandal. Wir brauchen eine schnelle Entlastung der vielen hunderttausend Menschen, die unter Dieselabgasen leiden.

Inwiefern leiden sie?

Stickstoffdioxid ist ein Reizgas. Es löst Atemwegserkrankungen aus, beeinträchtigt die Lungenfunktion, führt zu chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vorzeitigen Todesfällen. Die Europäische Umweltagentur geht in Europa von 72 000 Menschen aus, die jedes Jahr vorzeitig daran sterben. Es muss sich also sehr viel ändern.

Zum Beispiel?

Wenn Diesel-Pkw mit hohen Stickoxid-Emissionen nicht mehr in stark belastete Innenstädte fahren dürfen, kommen saubere Pkw schneller in den Markt. Fahrverbote sollten aber nur die allerletzte Maßnahme sein. Besser wäre, Euro-5 und Euro-6-Diesel zumindest annähernd so sauber zu machen, wie das Gesetz es vorschreibt. Das kann über Software-Updates geschehen, an denen sich die Hersteller jetzt endlich versuchen. Deutlich mehr verspreche ich mir von der Nachrüstung der Fahrzeuge mit richtigen Stickstoffdioxid-Filtern unter dem Auto, den SCR-Katalysatoren. Ich sehe hier ganz klar die Automobilhersteller in der Pflicht - und die sollten das dann auch bitte bezahlen. Das kann die Autoindustrie nicht bei Bürgern und Politik abladen.

Muss der Gesetzgeber handeln?

Es wurden endlich Schritte ergriffen. Ab September 2017 gilt EU-weit die erste Stufe der sogenannten Real Drive Emissions - also Abgasmessungen unter echten Bedingungen auf der Straße. Zunächst nur für neue Fahrzeugtypen, ab September 2019 müssen das dann alle erfüllen.

Kann die Bundesregierung noch mehr tun?

Sicher. Sie sollte sich dafür einsetzen, dass die Automobilhersteller die betroffenen Autos nachrüsten, und dann kontrollieren, ob die Nachrüstung auch wirklich funktioniert. Und vor allem sollte sie die umweltschädlichen Subventionen im Verkehrsbereich schrittweise reduzieren. Unter dem Strich kosten die den Staat jährlich 28 Milliarden Euro - zum Vergleich: der Bundeshaushalt 2017 hatte 329 Milliarden Euro. Das ist also eine Menge Geld, die man sinnvoller einsetzen kann.

An welche Subventionen sollte der Staat ran?

Zu allererst an das Steuerprivileg für Diesel, das allein macht pro Jahr über sieben Milliarden Euro aus. Diese Subvention des Diesels ist in keiner Weise zu rechtfertigen, nicht nur wegen der Stickoxidbelastung, sondern auch wegen des hohen CO2-Austoßes durch immer PS-stärkere und größere Diesel-Fahrzeuge. Die Behauptung, dass wir ohne Diesel unsere Klimaschutzziele nicht erreichen, ist falsch. Die Niederländer haben viel weniger Dieselfahrzeuge und sind mit kleinen, effizienten Benzinern insgesamt deutlich klimafreundlicher unterwegs als wir Deutschen.

Was noch?

Das Dienstwagenprivileg mit einem Volumen von über fünf Milliarden pro Jahr sollte abgeschafft werden. Es setzt falsche Anreize, indem es Vielfahrer belohnt und ist auch sozial ungerecht, weil es in der Regel nur besserverdienenden Arbeitnehmern zur Verfügung steht. Dann die Entfernungspauschale, die den Staat etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr kostet. Sinnvoller wäre es, mehr Geld in Busse und Bahnen zu investieren.

Die Krankenschwester auf dem flachen Land guckt dann aber erst mal in die Röhre, weil sie mangels ÖPNV-Angebot mit dem eigenen Auto und auf eigene Kosten zur Arbeit ins Städtische Krankenhaus fahren muss.

Natürlich gibt es Gegenden und berufliche Umstände, in denen man auf das Auto angewiesen ist. Deshalb schlagen wir eine steuerliche Härtefallregelung vor, die etwa für Fernpendler unzumutbare Belastungen vermeidet. Klar ist: Wir könnten die Gelder, die heute in die Subventionierung des herkömmlichen Verbrenner-Autos fließen, viel sinnvoller einsetzen für die Förderung der Elektromobilität - zum Beispiel für den immer noch viel zu langsamen Ausbau der Ladestationen.

Maria Krautz-berger (62) leitet seit 2014 das Umweltbundesamt. Die Sozialdemokratin, zuvor im Berliner Senat Staatssekretärin für Stadtentwicklung, machte mit Forderungen nach Tempo 30 in deutschen Innenstädten auf sich aufmerksam.

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