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DGB VerteilungsberichtGroße Kluft bei Einkommen und Vermögen in Deutschland

Lesezeit 4 Minuten
Einkommen

Die Kluft beim Einkommen der Deutschen war nie höher.

  • So hoch wie noch nie ist die Ungleichheit beim Einkommen und dem Eigenkapital der Deutschen.
  • Dies schade der gesamten Wirtschaft, erklärt der Deutsche Gewerkschaftsbund.

Berlin  – Verteilungskämpfe spalten Europa. „Merkel rettet Griechen mit unserem Geld“, hieß es während der Euro-Krise. In der Flüchtlingskrise wird vor „Sozialtouristen“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“ gewarnt, die es auf deutsche Jobs und Sozialleistungen abgesehen hätten. Zwischen Regierungen tobt der Streit, wie die Kosten der Flüchtlinge aufzuteilen sind.

Weniger Erregung produziert dagegen die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen innerhalb Deutschlands. Dabei geht es hier um viel größere Summen. „Die Bekämpfung der Ungleichheit ist eine der zentralen Fragen unserer Zeit", sagte Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) dieser Zeitung. Ein Überblick über die Erkenntnisse des neuen DGB-Verteilungsberichts:

Löhne

In den letzten zwei Jahren haben die Löhne in Deutschland wieder etwas stärker zugelegt. Auf lange Sicht jedoch relativiert sich diese Entwicklung. Zwar stieg der durchschnittliche Bruttolohn je Monat seit 2000 von 2090 auf 2721 Euro im vergangenen Jahr. Real – also abzüglich der Inflationsrate – ist der Verdienst eines Durchschnittsbeschäftigten seit der Wiedervereinigung jedoch kaum gestiegen. Gründe hierfür waren unter anderem die Inflation, höhere Abgaben, die Lohnzurückhaltung in den Jahren ab 2003 sowie der Ausbau des Niedriglohnsektors, in dem heute etwa ein Fünftel aller Beschäftigten arbeitet.

Weiter besteht eine große Lücke zwischen Ost- und Westdeutschland. Die Tariflöhne im Osten liegen zwar bei 97 Prozent des West-Niveaus. Doch viele Unternehmen zahlen weniger als Tarif oder unterliegen keinem Tarifvertrag. Die tatsächlich gezahlten Effektivlöhne liegen laut DGB 17 Prozent unter West-Niveau.

Kapital

Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind in den letzten Jahren tendenziell stärker gestiegen als die Arbeitnehmerentgelte (Arbeitskosten der Unternehmen einschließlich ihrer Sozialbeiträge). Seit dem Jahr 2000 legten die Kapitaleinkommen real 33 Prozent zu, die Arbeitnehmerentgelte nur knapp elf Prozent. Ergebnis – nicht nur in Deutschland - ist ein langfristig fallender Anteil der Löhne am gesamten Volkseinkommen. Diese „Lohnquote“ ist im Durchschnitt aller OECD-Länder seit den 1980er Jahren um zehn Prozentpunkte gefallen.

Für die Kapitaleinkommen spielen die Einkommen aus Vermögen eine immer größere Rolle. Zwischen 2000 und 2014 stiegen die Betriebsüberschüsse der Kapitalgesellschaften um durchschnittlich 3,4 Prozent pro Jahr.

Die Vermögenseinkommen dagegen legten netto jährlich 8,2 Prozent zu. Fast ein Fünftel der Unternehmensgewinne stammen nicht aus der normalen Produktion, sondern aus der Geldanlage. Anfang des Jahrtausends lag dieser Anteil nur bei fünf Prozent. „Es findet eine zunehmende Abhängigkeit von Finanzanlagen –auch bei produzierenden Unternehmen – statt“, so der DGB.

Einkommen, Vermögen, Forderungen

Einkommen

Die Ungleichheit bei den Einkommen lag laut DGB im Jahr 2014 so hoch wie nie zuvor. Denn auf der einen Seite hat sich ein Niedriglohnsektor etabliert. Auf der anderen Seite verzeichnen Gutverdiener hohe Einkommen. So verdiente ein durchschnittlicher Vorstand eines Unternehmens aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) das 107-Fache eines durchschnittlichen Einkommensbeziehers. Anders ausgedrückt: Für das Vorstandsgehalt eines Jahres hätte der Durchschnittsverdiener 107 Jahre arbeiten müssen.

Insgesamt ist die Einkommensungleichheit in Deutschland höher als im Durchschnitt der Industrieländer – das aber nur vor der staatlichen Umverteilung durch Steuern und Transfers. Nach Steuern und Transfers ist die Einkommensungleichheit nur Durchschnitt, sprich: Die staatliche Umverteilung gleicht einen Teil der Ungleichheit aus – dies allerdings immer weniger, so der DGB.

Vermögen

Jeder Deutsche hat ein Vermögen von 83.300 Euro – aber das ist nur ein rechnerischer Durchschnitt. Tatsächlich ist der Reichtum in kaum einem Industrieland so ungleich verteilt wie in Deutschland. Da keine Vermögensteuer hier zu Lande mehr erhoben wird, sind die entsprechenden Daten mit Unsicherheit behaftet. Laut DGB gehören den wohlhabendsten zehn Prozent der Deutschen fast 60 Prozent des gesamten Netto-Vermögens – Immobilien, Finanzanlagen, Versicherungen, Betriebsvermögen abzüglich Schulden. Dem reichsten ein Prozent gehört ein Drittel. Etwa 30 Prozent der Deutschen haben unterm Strich gar kein Vermögen oder Schulden.

Insgesamt beläuft sich das Vermögen aller Deutschen laut DIW auf sechs bis neun Billionen Euro, das ist ein Vielfaches der deutschen Staatsschuld von rund zwei Billionen Euro. Wie viel Vermögen jemand hat, hängt erstens davon ab, ob er eine große Erbschaft gemacht hat. Zweiter wichtiger Einflussfaktor ist der Job: Die größten Vermögen haben Selbstständige mit zehn oder mehr Mitarbeitern, nämlich im Mittel rund 952.000 Euro. Dahinter kommen Angestellte mit Führungsaufgaben (209.000 Euro). Wenig bis nichts besitzen Arbeitslose, Auszubildende und ungelernte Arbeiter.

Forderungen

Diese Schieflage ist nicht nur sozial ungerecht, sondern schadet der gesamten Wirtschaft“, sagte DGB-Vorstand Körzell. „Daher gilt es auch aus ökonomischen Gesichtspunkten, für Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen.“ Steuerliche Privilegien für Reiche müssten zurückgenommen und Vermögende stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls herangezogen werden. 

„Dazu brauchen wir dringend wieder eine Vermögensteuer, eine wirkungsvolle Erbschaftsteuer sowie eine höhere Einkommensteuer für Reiche.“ Auch die Abgeltungsteuer, die Kapitaleinkünfte pauschal mit 25 % besteuert, stehe dem Anspruch der Steuergerechtigkeit diametral entgegen.

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