GesundheitEin Pfleger für 40 Patienten

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An der Berliner Charité hat Verdi die Pfleger am Montag zu einem mehrtägigen Streik aufgerufen. Die Gewerkschaft fordert Verbesserungen im Tarifvertrag und die Einstellung zusätzlicher Pflegekräfte.

An der Berliner Charité hat Verdi die Pfleger am Montag zu einem mehrtägigen Streik aufgerufen. Die Gewerkschaft fordert Verbesserungen im Tarifvertrag und die Einstellung zusätzlicher Pflegekräfte.

Berlin –  Der aktuelle Wahlkampf zeichnet sich nicht gerade durch eine besondere Inhaltstiefe aus. Insbesondere die Themen Gesundheit und Pflege spielten bisher keine Rolle, was aber verständlich ist: Die Krankenkassen verfügen über üppige Reserven, die Beiträge sind stabil, die Pflegeversicherung kann dank der jüngsten Reform Milliardensummen mehr ausgeben. Doch dann konfrontierten mehrere Betroffene Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei Wahlkampfterminen mit dem Personalmangel in der Kranken- und Altenpflege. Was ist dran an der Behauptung, es gebe in Deutschland einen Pflegenotstand?

Es war der angehende Krankenpfleger Alexander Jorde, der vergangene Woche in der ARD-Wahlarena seinen Frust abließ. Die Würde des Menschen in Krankenhäusern und Altenheimen werde tagtäglich "tausendfach verletzt", sagte der junge Mann zur Kanzlerin. "Es gibt Menschen, die liegen stundenlang in ihren Ausscheidungen." Die Pfleger seien überlastet und für zu viele Patienten zuständig. Merkel sei immerhin seit zwölf Jahren Kanzlerin, was werde sie gegen die Missstände tun, fragte Jorde, der in den sozialen Netzwerken viel Beifall für sein engagiertes Auftreten bekam.

Was der junge Mann beschrieben hat, ist tatsächlich kein Einzelfall. Das Problem wird schon seit Jahren in der Fachwelt und der Politik diskutiert, doch bisher hat sich in der Praxis nur wenig zum Besseren verändert. In der Kranken- und Altenpflege gibt es unterschiedliche Gründe für den Personalmangel. Unstrittig ist, dass die Kliniken jahrelang Pflegepersonal abgebaut haben. Dafür wurden mehr Ärzte eingestellt. Das Motto: Pflege kostet, Ärzte operieren und bringen damit Geld. Unabhängig davon steigt die Arbeitsbelastung der Pfleger auch deshalb, weil die Patienten immer kürzer im Krankenhaus bleiben und damit die Zahl der zu Betreuenden steigt. Verschärft wird die Lage dadurch, dass die Patienten älter werden und gleichzeitig immer mehr Krankheiten haben.

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Bei ihrem "Nachtdienstreport" stellte die Gewerkschaft Verdi zum Beispiel fest, dass eine Pflegefachkraft in der Nacht allein im Schnitt für die Versorgung von 26 Patienten zuständig ist. In einigen Fällen müssten sogar bis zu 40 Patienten versorgt werden.

Zwar steigt seit 2007 die Zahl der Pflegekräfte in den Kliniken kontinuierlich. Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Politik mehr Geld für die Pflege zur Verfügung stellte. Doch der Aufwuchs reicht nicht aus, um die Belastung der Beschäftigten spürbar zu senken. Nach Schätzungen von Experten fehlen derzeit in den Kliniken bis zu 100 000 Vollzeitkräfte.

Um die Kliniken dazu zu zwingen, mehr Personal einzustellen, hat die große Koalition unlängst beschlossen, zumindest in sensiblen Klinikbereichen - zum Beispiel auf Intensivstationen und im Nachtdienst - Untergrenzen für die Zahl der beschäftigten Pfleger einzuführen. Die Details müssen Kassen und Krankenhäuser bis Juni 2018 aushandeln. Kommt hier keine Einigung zu Stande, will die Politik die Untergrenzen zum 1. Januar 2019 selbst festlegen.

Das Problem ist nur: Woher sollen die Mitarbeiter kommen? Schon heute gibt es etwa 10 000 Stellen, die nicht besetzt werden können. Alle Reformen nutzten nichts, wenn es kein Personal gebe, sagt der Experte Andreas Westerfellhaus, der lange den Deutschen Pflegerat leitete. Konzepte der Politik? Bisher nicht in Sicht.

Ähnlich problematisch sieht die Lage in der Altenpflege aus. Hier sind gegenwärtig ungefähr 20 000 Stellen unbesetzt. Es dauere mittlerweile im Schnitt über ein halbes Jahr, bis freigewordene Stellen neu besetzt werden könnten, sagt Rainer Brüderle, Chef des Arbeitgeberverbands der privaten Pflegewirtschaft. Noch dramatischer als im Klinikbereich wird sich die Situation in den kommenden Jahren entwickeln: Da die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 um ein Drittel auf 3,5 Millionen steigt, rechnen Experten dann mit bis zu 400 000 fehlenden Pflegekräften.

Wichtigster Grund für den Personalmangel in der Altenpflege ist - anders als in der Krankenpflege - die niedrige Bezahlung. Altenpfleger verdienten gegenüber vergleichbaren Fachkräften ein Fünftel weniger. Bisher ist es ihnen noch nicht gelungen, per Tarifvertrag flächendeckend höhere Löhne durchzusetzen.

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