Toll CollectDaimler vor dem Ausstieg

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Mautbrücke an der A 3

Mautbrücke an der A 3

Berlin –  Der Stuttgarter Autokonzern Daimler will sich offenbar aus dem Mautbetreiber Toll Collect zurückziehen. Daimler werde sich an der Neu-Ausschreibung für den Vertrag ab Sommer 2018 nicht mehr beteiligen, berichtet das "Handelsblatt" unter Berufung auf Branchenkreise. Der Ausstieg sei "beschlossene Sache". Daimler selbst teilte lediglich mit, dass zu dem Vergabeverfahren Vertraulichkeit vereinbart worden sei.

Hintergrund des Rückzugs ist demnach ein Strategiewechsel bei Daimler: Das Unternehmen will durchstarten im Markt der sogenannten Telematikdienste - also bei der Erfassung, Verarbeitung und Bereitstellung von Verkehrsdaten aller Art.

Ursprünglich sollte die Beteiligung an Toll Collect für Daimler das Eingangstor zu diesem zukunftsträchtigen Geschäft sein. Die Wettbewerbsbehörden machten dem Luxuswagen- und Lkw-Hersteller aber einen Strich durch die Rechnung.

Toll Collect mit Sitz in Berlin treibt seit 2005 im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums die Maut für Lastwagen auf Autobahnen und Bundesstraßen ein. Daimler und die Deutsche Telekom halten bislang je 45 Prozent der Anteile an der Betreiberfirma, die übrigen zehn Prozent liegen bei der französischen Cofiroute. Der bisherige Vertrag läuft in einem Jahr aus. Die Ausschreibung des Bundes für die Zeit danach läuft bereits. Die bisherigen Konsortialpartner bieten bislang erneut mit, Daimler will jetzt aber nicht mehr. Die Telekom und Cofiroute stünden bereit, um gemeinsam die Anteile der Stuttgarter zu übernehmen, hieß es am Montag. Ob die beiden allerdings noch einmal zum Zuge kommen, ist unsicher. Auch andere Unternehmen aus dem In- und Ausland dürften ein großes Interesse haben, den Mautbetreiber zu kaufen. Angesichts niedriger Zinsen gieren Investoren derzeit förmlich danach, Infrastruktur-Firmen zu übernehmen. Dieses Geschäft verspricht stetige und langfristige Renditen. Hinzu kommt, dass die Europäische Union einen gemeinsamen Rahmen für Mautsysteme plant. Es handelt sich also um einen Wachstumsmarkt. In Deutschland läuft derzeit neben der Ausschreibung für Toll Collect auch die für die Erhebung der umstrittenen Pkw-Maut, welche 2019 starten soll.

Die Grünen kritisieren, dass es der Bund ablehnt, die Erhebung der Lkw-Maut in Eigenregie zu betreiben. "Ob Daimler, die Telekom oder die Allianz des Mautsystem übernehmen, ist eigentlich egal. So oder so verdienen sich auf Kosten der Bürger ein paar Konzerne eine goldene Nase", sagte Haushalts-Experte Sven-Christian Kindler. Er ergänzte: "Toll Collect hat das Verkehrsministerium bei den Vergütungen und den Abrechnungen in den letzten Jahren klar über den Tisch gezogen. Seit über zehn Jahren streitet der Bund mit Toll Collect vor privaten Schiedsgerichten über große Milliardenbeträge. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus."

Im Frühjahr hatten Fahnder der Justiz die Berliner Zentrale von Toll Collect durchsucht. Es besteht der Verdacht des Abrechnungsbetrugs im großen Stil. Das Unternehmen zieht zugunsten des Bundes jedes Jahr rund vier Milliarden Euro Straßenbenutzungsgebühr bei den Spediteuren ein. Der Bund erstattet der Firma die Kosten und zahlt überdies stattliche Prämien.

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