Abo

Zwangsarbeiter„Vergeben, aber nicht vergessen“

Lesezeit 3 Minuten
Der Pole Zygmunt Tworus war 1944, mit 28 Jahren, in der Arbeitsanstalt Brauweiler inhaftiert. Die Gestapo hat ihn dort gefoltert. Als Grund für die Festnahme nannte die Geheime Staatspolizei Tworus' Aktivitäten in der „Polnischen Untergrundarmee“. BILD: MACHNIK

Der Pole Zygmunt Tworus war 1944, mit 28 Jahren, in der Arbeitsanstalt Brauweiler inhaftiert. Die Gestapo hat ihn dort gefoltert. Als Grund für die Festnahme nannte die Geheime Staatspolizei Tworus' Aktivitäten in der „Polnischen Untergrundarmee“. BILD: MACHNIK

Pulheim – Er war zwei Monate im Männertrakt der Arbeitsanstalt Brauweiler, auf dem Gelände des ehemaligen Benediktinerklosters, inhaftiert. Doch über die Frage, was ihm in dem abgetragenen Trakt des Gestapo-Gefängnisses widerfahren ist, geht der ausgesprochen rüstig wirkende 93-Jährige hinweg. Die Gestapo (Geheime Staatspolizei) habe Tworus alle Finger gebrochen, Narben als Zeichen der Folter seien noch heute auf Tworus Rücken zu sehen, weiß aber der Brauweiler Peter Schreiner aus gemeinsamen Gesprächen mit dem polnischen Freund. Tworus selbst, der nach 1996 zum zweiten Mal in Brauweiler ist, anlässlich der „Gedenkwoche zur deutsch-polnischen Verständigung“, spricht nicht von den Schmerzen, von den Demütigungen und von den Narben.

Zweite Heimat

Das Negative lässt er außen vor. Er habe „nicht so ein schlechtes Gefühl“, sagt der gebürtige Warschauer, der seit 1946 wieder in seiner Heimatstadt lebt, beim Anblick alter Fotos. Das Positive überwiegt - trotz allem: „Die Bauernfamilie in St. Hubert bei Kempen, für die ich als Zwangsarbeiter gearbeitet habe, hat mich immer wie ein Mensch behandelt.“ Die Familie Nytus habe auch seine Frau gut behandelt, im Krieg habe die Familie ihr sogar Lebensmittelpakete nach Warschau geschickt. Seit jener Zeit ist der Kontakt zu der Familie und ihren Nachkommen nicht abgerissen. In den 70er- und 80er Jahren war Tworus, der nach seiner Rückkehr nach Polen als Fahrer und Techniker für ein polnisches Transportunternehmen gearbeitet hat, für die Familie Nytus als Saisonarbeiter im Einsatz, um Landmaschinen zu reparieren. „Deutschland ist meine zweite Heimat geworden“, sagt der zweifache Vater und vierfache Großvater. Lebhaft erinnert sich der Witwer an den Tag der Festnahme am 4. August 1944. Das Datum ist auf der Kopie einer „Festnahmemeldung“ festgehalten. Tworus wirft einen Blick auf den DIN-A-4-Bogen. Schlagartig wirkt der Pole ernst und nachdenklich. Bei der Berufsbezeichnung bleibt sein Blick hängen. „Polnischer Kriegsgefangener“ steht auf dem kopierten Dokument der Geheimen Staatspolizei. „20 B 11771“, sagt Tworus leise. Er zeigt auf die Ziffernfolge, der Blick schweift ab. „Das ist meine Gefangenen-Nummer, sie hat mich mein gesamtes Gefangenenleben begleitet“, sagt der frühere Soldat bei der polnischen Armee, der zeitweise als Landmaschinentechniker gearbeitet hat. Gegen 17 Uhr hätte ihn die Gestapo bei der Feldarbeit festgenommen und am nächsten Tag nach Brauweiler transportiert. Einen Prozess habe es nicht gegeben.

Im Untergrund aktiv

Der in der Festnahmemeldung aufgeführte „Sachverhalt“ reichte aus: Die Gestapo hatte Tworus „im Zuge einer Aktion gegen die „Polska Armia Podziemna“ (PAP, für polnische Untergrundarmee) überführt. Tatsächlich war Tworus Mitglied der im Untergrund agierenden PAP. Die polnische Exilregierung in London hatte sie nach 1939 mit dem Ziel gegründet, mit ihren Zellen die Nazis zu bekämpfen und Anschläge auf technische Anlagen und auf die Wehrmacht zu verüben. Aufgeflogen waren Tworus und seine Mitstreiter, weil die Gestapo Edmunt Ulinski, alias Konrad Baumgart, einen der PAP-Kuriere enttarnen konnte. Am 20. April 1944 fing die Gestapo den mit der Uniform eines Wehrmachtssoldaten bekleideten Kurier am Kölner Hauptbahnhof ab. Durch die Festnahme waren auch die Partisanen enttarnt. Denn Ulinksi hatte eine Liste mit den Namen von 277 Partisanen bei sich.

Die Idee des Freundeskreises Abtei Brauweiler, eine „Gedenkwoche zur deutsch-polnischen Verständigung“ zu organisieren, begrüßt Tworus. „Ich bin zutiefst gerührt und möchte mich bei allen bedanken. Es ist wichtig, sich zu erinnern, zu vergeben, aber nicht zu vergessen. Doch wäre es besser, wenn der Verständigungsgedanke von mehr Menschen wahrgenommen würde, nicht nur in Brauweiler.“

KStA abonnieren