Zur lit.Cologne in der FloraWie Karl Ove Knausgård den Teufel beschwor

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Karl Ove Knausgård sitzt auf dem Podium im großen Saal der Kölner Flora. Seine Haare und sein Vollbart sind weiß. Er trägt ein dunkelblaues Hemd.

Schriftsteller Karl Ove Knausgård stand im Rahmen der lit.cologne in der Kölner Flora Rede und Antwort.

Zum Erscheinen seines neuen Romans „Das dritte Königreich“ ließ sich der norwegische Autor in der Kölner Flora von Andreas Platthaus befragen.  

In „Der Morgenstern“, dem ersten Band von Karl Ove Knausgårds neuem Romanzyklus, werden drei junge Mitglieder einer Black-Metal-Band brutal geschlachtet und verstümmelt. Ihre Körper gehäutet, ihre Köpfe skalpiert und mit zu einem Grinsen hergerichteten Mündern auf den Rücken gedreht. Den satanischen Ritualmord, erzählte der Autor in der Kölner Flora, hatte er sich ausgedacht, ohne Täter oder Motiv zu kennen. „Ich plane nichts. Ich weiß nicht, wovon die Bücher handeln werden oder wann sie enden, ich fange einfach an zu schreiben und schaue, was passiert.“

Gerade ist „Das dritte Königreich“ im Luchterhand Verlag erschienen, der dritte Teil des Zyklus, den Knausgård – weiße Mähne, durchdringender Blick aus tief sitzenden, stahlblauen Augen – am Mittwochabend als nachgereichte Veranstaltung der lit.Cologne bewarb. In dem Band, mit rund 650 Seiten einer der dünneren im Werk des Norwegers, kehrt er noch einmal zur Handlung von „Der Morgenstern“ zurück. Dort war ein Unheil verkündender Stern am hochsommerlichen Abendhimmel erschienen. Dessen Licht sich diesmal in den Augen einer Gruppe von Ich-Erzählern bricht, die im ersten Band noch Nebenrollen einnahmen. Zum Beispiel der Polizist Geir. Ihn schickt Knausgård nun an den von seiner Fantasie verursachten Tatort: „Er muss ermitteln, was ich geschrieben habe.“

Andreas Platthaus staunt über das Konzept des umgekehrten Kriminalromans

Was Andreas Platthaus, souveräner und kenntnisreicher Moderator des Abends, zu dem Ausruf veranlasste, das Konzept des umgekehrten Kriminalromans – also des Krimis, der erst aus dem entstehe, was der Autor schreibe – sei ihm völlig neu. Aber der Literaturchef der „FAZ“ tat ganz recht daran, die flapsigen Bemerkungen des so maulfaulen wie schreibwütigen Autors als „Poetikvorlesung in nuce“ zu überhöhen: So wie Knausgård in seiner berühmten „Min Kamp“-Serie durch quasi-automatisches, von keiner Rücksichtnahme oder Scham gehemmtes Schreiben zur eigenen Biografie durchstieß, so versucht er im „Morgenstern“-Zyklus eine andere Art von Roman zu erzählen, das eigene Ich in eine Vielzahl von Perspektiven aufzubrechen.

Keineswegs, betonte Knausgård in der Flora, handele es sich bei dem Zyklus um einen realistischen Roman, eher um ein Märchen im modernen Setting: „Wenn ich zum Beispiel im vierten Band über England im Jahr 1986 schreibe, habe ich nichts recherchiert. Ich stelle es mir einfach vor.“ Das Buch sei für ihn ein offenes Feld beinahe unendlicher Möglichkeiten, ein Alternativ-Universum: „Das ist doch Literatur: eine Art, die Welt zu öffnen.“

Wie Karl Ove Knausgård auf den Faust-Mythos stieß

Fragt sich nur, welche Welt: Diejenige, die Knausgård hier auf großer Leinwand aufzieht, scheint nur noch einen Schritt weit von der Apokalypse entfernt und es bleibt unklar, wer genau zum Jüngsten Gericht ruft. In einer der Passagen aus „Das dritte Königreich“, die der Theater-, Film- und Fernsehstar Thomas Loibl an diesem Abend mitreißend vorträgt, zeigt der Polizist Geir der Pfarrerin Kathrine Videoaufnahmen einer Teufelsmesse: Junge Männer mit Tiermasken in einem Wald, ein im Grunde albernes Ritual. Doch dann taucht für den Bruchteil einer Sekunde ein schwarzer Schatten zwischen den Bäumen auf. Im Standbild erkennt man eine Gestalt mit offenem Mund und Löchern anstelle von Augen. „Halten Sie es für möglich, dass es den Teufel gibt?“, fragt Geir. „Das war doch nur ein Schatten!“, antwortet die Pfarrerin ungläubig. Woraufhin der theologisch interessierte Ermittler ihr einen kleinen Vortrag über den Reformator Philipp Melanchthon hält. Von dem sei eine Zeugenaussage über den Mord am historischen Dr. Faust überliefert. Dessen Kopf sei so verdreht worden, dass sein Gesicht zum Rücken hin gewandt war. „Das hatte der Teufel getan.“

Als er den Polizisten die Ermittlungen in der eigenen Fiktion hatte aufnehmen lassen, erzählt Karl Ove Knausgård auf dem Podium, sei er dabei auf den Faust-Mythos gestoßen. Er schwöre, nichts von der überlieferten Todesbeschreibung gewusst zu haben, als er die drei Black-Metal-Jugendlichen im ersten Band auf ähnliche Weise zurichten ließ. Anschließend habe er aber Goethes und Christopher Marlowes Bearbeitungen des Faust-Stoffes gelesen: „Marlowe ist nur ein paar Kilometer von meinem derzeitigen Wohnort gestorben. Da wusste ich, dass ich im nächsten Band über Faust, Marlowe und London schreiben muss und über jemanden, der einen Pakt mit dem Teufel schließt und dem am Ende das Schlimmste passiert, was einem Menschen widerfahren kann.“

Schriftsteller Karl Ove Knausgard bei der Litcologne-Veranstaltung 'Einzug in das dritte Königreich'.

Karl Ove Knausgård in der Kölner Flora.

Wie ein Schachtelteufel war der Gottseibeiuns schon zu Anfang seines endzeitlichen Epos der Psyche des Autors entsprungen. Sein Bruder, der den Schriftsatz von „Der Morgenstern“ besorgte, so Knausgård, hatte ihm damals eine SMS geschickt: „Du glaubst nicht, wie viele Seiten es werden: genau 666.“ Was nur für die norwegische Ausgabe gilt.

Andreas Platthaus hatte ihm bereits zuvor die Gretchenfrage gestellt. Darauf, wie er es mit der Religion halte, könne er keine einfache Antwort geben, hatte der Autor aufgestöhnt und auf sein umfangreiches Werk verwiesen, das sich ja mit ebensolchen Fragen beschäftigte. Schon in seinem zweiten Roman „Alles hat seine Zeit“ habe er über Engel geschrieben, aus reiner Neugier: „Die kommen in der Bibel zuerst als sehr körperliche Wesen vor, sie essen sogar, dann werden sie zunehmend ätherischer – bis schließlich niemand mehr an Engel glaubt. Genauso verhält es sich heute mit dem Teufel oder der Auferstehung. Die Verbindung zwischen der Religion und dem Körper wurde gekappt, das finde ich sehr interessant.“

Hier, zwischen Körper und Geist, vermutet der Norweger auch die Verbindung von Literatur und Religion: „Das Gehirn ist reiner Körper, aber das, was es erschaffen kann, ist es nicht. Das hat etwas mit Religion zu tun, mit uns, mit überhaupt allem.“ Im Original lautet der Titel des dritten „Morgenstern“-Bandes „Das dritte Reich“. Das sei, versichert Knausgård, keineswegs so provokant gemeint, wie bei seinem autobiografischen Zyklus, den er nach Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ benannt hatte – man konnte es als vorauseilende Selbstanklage des übergroßen Autoren-Ichs begreifen. „Das dritte Reich“ verweise jedoch nicht auf die Nazis, sondern auf die mittelalterliche Vorstellung, dass auf die Reiche Gottes und Jesu die nach-endzeitliche Herrschaft des Heiligen Geistes folge.

Sprach Karl Ove Knausgård und verdrückte sich noch während der Verabschiedung aus dem Saal. Er hatte genug gesagt.

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