Ein Besuch in einem von sechs NRW-Gefängnissen, in denen es so etwas wie Familienfreundlichkeit geben soll.
Strafvollzug in NRWWo Eltern nicht hinter Gittern verschwinden sollen
Seit Herr L. die Chance hat, seine beiden Kinder, die noch nicht zur Schule gehen, im Gefängnis in Willich regelmäßig zu sehen, in einem eigens dafür hergerichteten Familienzimmer mit ihnen zu spielen, hat sich sein Leben hinter Gittern merklich verbessert. „Ich vermisse sie jeden Tag“, sagt der Endvierziger, der anonym bleiben möchte, aber dennoch zu einem Gespräch bereit ist. „Wir können gemeinsam herumtoben, ich kann ihnen Märchen vorlesen. So haben wir alle zusammen ein Stück Familie zurückbekommen. Das ist ein gutes Gefühl.“
Rund zehn Stunden Familienzeit im Monat
Auf rund zehn Stunden Familienzeit im Monat kommt L. – und jede einzelne hat für ihn eine enorme Bedeutung. „Auch die Kinder sind sehr glücklich, dass sie ihren Papa sehen können.“ L. profitiert von einem Landesprogramm, das sich familiensensible Vollzugsgestaltung nennt, vom ehemaligen Justizminister Peter Biesenbach (CDU) kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie ins Leben gerufen wurde und das sein Amtsnachfolger Benjamin Limbach (Grüne) im vergangenen Jahr im Rahmen eines Pilotprojekts endlich ins Rollen bringen konnte.
An sechs von 36 Justizvollzugsanstalten im Land - in Willich, Siegburg, Rheinbach, Bielefeld und Remscheid – versuchen eigens dafür eingestellte Familienbeauftragte des Sozialdienstes, Angebote zu schaffen, die der Aufrechterhaltung der sozialen Anbindungen und der Herstellung eines guten familiären Kontakts dienen. In Willich läuft der Versuch sowohl im Männer- als auch im Frauengefängnis.
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20.000 Kinder von Häftlingen leben in NRW
Allein in NRW müssten 20.000 Kinder damit klarkommen, dass ein Elternteil eine Haftstrafe verbüßen, sagt Justizminister Limbach am Freitag bei einem Besuch in Willich. Bundesweit sind es nach Angaben des Justizministeriums rund 100.000. „Das sind keine Wohltaten für Kriminelle und Straftäter. Die gute Verankerung in einer familiären Struktur ist eine wesentliche Voraussetzung, um sie in ein stabiles soziales Umfeld zu entlassen.“
Über Jahrzehnte habe sich der Strafvollzug vor allem mit den Inhaftierten befasst. „Wir müssen den Blick weiten und auf das nahe Umfeld blicken“, so Limbach. „Die Familie hat keine Straftat begangen und wird durch die Inhaftierung mit bestraft. Vor allem für die Kinder müssen wir die Belastungen des gerechtfertigten Vollzugs verringern.“
Kindgerechte Besuchsräume sind dabei nur ein Baustein. In den sechs am Projekt beteiligten Gefängnissen werden die Kinder auf den Besuch vorbereitet. Mit kindgerechten Heftchen, in denen das Eichhörnchen Tim ihnen erklärt, wo sich die Mama oder Papa gerade aufhalten, wie ihr Alltag aussieht und warum man sie nicht täglich sehen kann, aber dennoch den Kontakt aufrechthalten kann.
Sechs Pilotprojekte laufen in NRW
Seit er täglich eine halbe Stunde lang mit seinen Kindern telefonieren könne, sei das Gefängnis für die Familie alltäglicher geworden. In den Familienzimmern gibt es neben Spielzeug und Büchern auch eine Sofortbildkamera, damit Kinder und Eltern etwas in den Händen halten, wenn sie sich trennen müssen. Das sei enorm wichtig für die Familiengeschichte, sagt Michaela Voßhagen, Leiterin des Frauengefängnisses in Willich. Weil im Gefängnis keine Smartphones erlaubt sind, sei das die einzige Möglichkeit, das Aufwachsen der Kinder zu dokumentieren und keine Lücken im Fotoalbum und damit in der Familien-Biografie entstehen zu lassen.
Bei den sechs Pilotprojekten soll es aus Sicht der Landesregierung nicht bleiben. „Wir wollen erreichen, dass jede der 36 Anstalten zumindest ein Grundmaß an familienfreundlicher Vollzugsgestaltung hat.“ Auf Dauer müssten vergleichbare Projekte wie in Willich in allen Gefängnissen des Landes etabliert werden, so der Minister. Dabei arbeite man mit einfachsten Mitteln und sei offen für neue Ideen.
Sie habe zu Weihnachten im Männerknast von Willich die Familienväter ermutigt, Stoffteddys für ihre Kinder zu nähen, berichtet die Familienbeauftragte. „Ich hätte niemals gedacht, dass sich dafür überhaupt jemand interessiert.“ Das Ergebnis: Alle haben mitgemacht. „Das machen wir jetzt jedes Jahr.“ Auch individuelle Hörbücher mit Gute-Nacht-Geschichten, gelesen von den Gefangenen, habe man schon produziert, auf CD gebrannt und mit von den Kindern gemalten Covern versehen. So trage man dazu bei, dass das alltägliche Leben der Mutter oder des Vaters nicht hinter Mauern verschwindet.