E-Rezept und telefonische Krankmeldung? Alles möglich! Die Gesundheitskarte aber muss oft hinterhergetragen werden. Soviel Widersinn macht krank.
KommentarDie Gesundheitskarte ist der Bremsklotz des digitalisierten Gesundheitssystems
Stellen Sie sich vor, Sie erwerben über das Internet ein Paar Schuhe. Sie bezahlen mit Kreditkarte und warten auf die Lieferung der Ware. Die kommt aber nicht. Denn: Um sicherzugehen, dass Sie tatsächlich Inhaber eines gültigen Kontos sind, müssen Sie zunächst selbst zum Schuhladen fahren und dort Ihre Kreditkarte vorlegen. Sie sagen, das sei widersinnig und veraltet? Führe den Onlinehandel ad absurdum, denn wenn Sie die Karte nach dem Onlinekauf persönlich im Laden vorzeigen müssten, dann könnten Sie gleich analog einkaufen gehen?
Das ist natürlich alles richtig. Wer im Jahr 2024 allerdings versucht, die Vorzüge einer digitalisierten Gesundheitswelt in Anspruch zu nehmen, der wird immer noch zu genau diesen Widersinnigkeiten gezwungen. Tatsächlich kann man seit Ende vergangenen Jahres ein E-Rezept auf digitalem Wege erhalten. Theoretisch ist es also möglich, bei der Arztpraxis anzurufen oder per Mail eine Verordnung für ein Schmerzmittel zu bekommen. Ebenso ist es möglich, sich bei einfachen Infekten, telefonisch krankschreiben zu lassen. Den Weg zum Arzt, so klingt das erstmal, könnte man sich künftig also auch mal sparen, wenn man medizinisch unkompliziert verschnupft zu Hause liegt oder im vollgestopften Alltag noch das Rezept für die Anti-Baby-Pille besorgen muss.
Schleichendes Tempo der Digitalisierung macht krank
Allzu euphorisch sollten sich Verbraucher über die Theorie der Digitalisierung im Gesundheitssystem allerdings nicht freuen. Denn die Gesundheitskarte, die zur Überprüfung des Versichertenstatus dient, muss aller Fortschritte zum Trotz in vielen Fällen weiterhin quartalsweise analog eingelesen werden. Eine telefonische Krankmeldung spart deshalb in vielen Praxen nur dann den Gang zum Arzt, wenn es die mindestens zweite im Quartal ist.
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Der überwiegend gesunde Arbeitnehmer müsste nach der telefonischen Krankschreibung also weiterhin krank das Bett verlassen und die Praxis aufsuchen, um seine Gesundheitskarte einlesen zu lassen. Um das Chaos perfekt zu machen: Ganz einig, wie die Regel nun laute, ist man sich zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein und Krankenkassen-Spitzenverband nicht. Dieses schleichende Tempo Digitalisierung gepaart mit Paragrafen-Durcheinander macht auch diejenigen krank, die noch nicht von der Grippewelle niedergestreckt wurden.
Schön langsam dem Fortschritt hinterher
Die Gesundheitskarte ist der Bremsklotz des digitalisierten Gesundheitssystems. Jeder Freude über innovative Schritte stellt sie sich als Spielverderberin in den Weg und kreischt etwas von „quartalsweise“ und „Einlesen in der Praxis“. Wer bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein nachfragt, warum diese analoge Regel zwingend bestehen bleiben muss, den verweist man lediglich auf den „sog. Bundesmantelvertrag“. Hier sei gemäß § 291 Abs. 2a SGB V vorgeschrieben, dass Versicherte zur Vorlage einer elektronischen Gesundheitskarte verpflichtet seien. Steht da so. Machen wir so. Basta. Lediglich während der Corona-Pandemie seien „diese Grundsätze temporär angepasst“ worden.
Ein Verzicht auf das Einlesen der Gesundheitskarte scheint also möglich zu sein. Das sagt auch ein Sprecher der Gematik, der Nationalen Agentur für Digitale Medizin. „Theoretisch“. Praktisch sei dafür aber ein Softwareupdate in Arztpraxen nötig. Es klingt nicht so, als stünde man hinsichtlich einer Umsetzung diesbezüglich kurz vor dem Durchbruch. Und tatsächlich: Zwar stellen Krankenkassen seit 1.1.2024 ihren Versicherten auf Wunsch eine digitale Identität in Form einer Gesundheits-ID zur Verfügung. Bis diese mit Future-Sachen wie digitalem Einloggen und so weiter auch die Gesundheitskarte ablösen könne, dauert es laut Gematik aber noch bis zum Jahr 2026.
Die kommenden zwei Jahre schleicht die Digitalisierung des Gesundheitssystems also noch gebremst voran. Kein Wunder. Im Schlepptau hat sie 70 Millionen Gesundheitskarten, die von jedem Patienten einzeln und analog von Praxis zu Praxis begleitet werden müssen. Immer schön langsam dem Fortschritt hinterher.