Durch die gestiegenen Personalkosten nach der Tarifvereinbarung sind viele Kita-Träger im Kreis Euskirchen in finanzielle Schieflage geraten.
Insolvenzen drohenKita-Träger aus dem Kreis Euskirchen in finanziellen Nöten
Die Kita-Träger im Kreis Euskirchen fürchten, dass sie die Personalkosten nach der jüngst erzielten Tarifeinigung für den öffentlichen Dienst nicht mehr stemmen können. Sogar das Wort Insolvenz fällt des Öfteren.
Inflationsausgleich, Sockelbetrag, Tariferhöhung – für Beschäftigte in Sozial- und Erziehungsberufen im öffentlichen Dienst gibt es mehr Geld. Insgesamt 3000 Euro Inflationsausgleich pro Vollzeitstelle und ab März 2024 ein Gehaltsplus von 5,5 Prozent sind vereinbart. Getragen werden müssen die Kosten von den Trägern der Einrichtungen.
DRK Euskirchen: Mehr als eine Millionen Euro für Inflationsausgleich
Zumindest so lange, bis sie vom Land NRW über das Kinderbildungsgesetz (Kibiz) durch die Erhöhung der Kindpauschale einen Teil refinanziert bekommen. Das wird aber erst zum August 2024 der Fall sein. Das bedeutet, dass die Träger in Vorleistung gehen müssen und auf Summen teils im siebenstelligen Bereich bis zum kommenden Kita-Jahr sitzen bleiben.
Das DRK betreibt im Kreis Euskirchen 34 Kitas. Rolf Klöcker, Geschäftsführer des Kreis-DRK, nennt im Gespräch mit dieser Zeitung die Summe von mehr als 1,2 Millionen Euro, die das DRK allein als Inflationsausgleich an seine Mitarbeiter zahlen muss. „Darüber, dass die Mitarbeiter das Geld verdient haben, müssen wir nicht reden. Dennoch müssen wir mit erheblichen Mehrkosten leben. Das bekommen wir irgendwie gestemmt, ist aber ein Kraftakt“, so Klöcker: „Ich kann mir vorstellen, dass kleinere Träger das nicht gestemmt bekommen.“
Familienbande in Zülpich muss ans Ersparte
Ein solch kleinerer Träger ist die Elterninitiative „Familienbande“ in Zülpich, die an der Chlodwigstraße zwei Kitas betreibt. Gründungsmitglied Jürgen Großer spricht von einem Minus von mindestens 80.000 bis 90.000 Euro für das laufende Kita-Jahr. „Wären die Gebäude energetisch nicht so gut aufgestellt, kämen durch die gestiegenen Energiekosten noch einmal etwa 30.000 Euro obendrauf“, sagt Großer.
Für die Zülpicher Elterninitiative bedeute die Tariferhöhung ebenfalls einen Kraftakt, der laut Großer durch Rücklagen finanziert werden soll. Dass die Lohnerhöhung gezahlt werde, stehe außer Frage.
AWO und EvA zahlen, machen aber ebenfalls ein großes Verlustgeschäft
Etwas anderes bleibt den Trägern gar nicht übrig. Seit Jahren gibt es einen Mangel an Erzieherinnen. Sollte ein Träger also nicht mitziehen, dürften sich die Arbeitnehmerinnen nach Alternativen umschauen. Und davon gibt es im Kreis genügend.
Auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) werde die Tariferhöhung zahlen, sagt Andreas Houska, Geschäftsführer AWO Rhein-Erft & Euskirchen: „Wir sind ein Wohltätigkeitsverband. Natürlich sind wir tarifgebunden. Natürlich bekommen unsere Mitarbeiter mehr Geld.“
Ein Ausstieg aus dem Arbeitgeberverband, wie es die AWO in Bielefeld gemacht hat, sei für die hiesige Region kein Thema gewesen – auch wenn auf die AWO im Kreis Euskirchen und im Rhein-Erft-Kreis Mehrkosten von etwa 700.000 Euro zukommen werden. Und das nur im ersten Jahr. Bis zum Ende der jetzigen Tarifvereinbarung seien es für die Mitarbeiter aus dem Bereich Elementarpädagogik sogar etwa 2,8 Millionen Euro jährlich mehr.
Stephan Jentgens, Vorsitzender des Arbeitsausschusses Tageseinrichtungen für Kinder der Freien Wohlfahrtspflege NRW: „Wir rechnen damit, dass ohne Zwischenfinanzierung durch das Land und die Kommunen in den kommenden 18 Monaten 50 Prozent der Träger in NRW in finanzielle Schwierigkeiten geraten, bis hin zur Insolvenz, auch weil Rücklagen nicht vorhanden, zu gering oder zweckgebunden sind.“
Weil Rücklagen mitunter gar nicht gebildet werden dürfen – wie bei EvA in Gemünd. Thilo Waasem, Chef der Kreis SPD, erinnert das Verhalten der Landesregierung an die drei Affen, die nichts sehen, hören oder sagen wollen. „Die Landesregierung lässt die Träger im Stich“, so der Sozialdemokrat.
Klaus Voussem hat Verständnis für Unsicherheit
Klaus Voussem, Landtagsabgeordneter der CDU, hält dagegen: „Wir kennen die Diskussion natürlich. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass die Kosten im kommenden Jahr übernommen werden. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass die Landesregierung nicht mit am Verhandlungstisch gesessen hat. Wir haben das nicht verursacht.“
Deswegen gebe es keinen Grund, auf die Landesregierung einzuprügeln, so der CDU-Mann. Durch die aktuellen Rahmenbedingungen könne das Land nicht mehr tun, als die gesetzlich verankerten Kosten zu übernehmen. „Darüberhinausgehende Leistungen sehen wir offen und ehrlich nicht“, so Voussem.
Auch Haushalte der Kommunen sind von Tariferhöhung betroffen
Dem widerspricht Waasem. Im vergangenen Haushaltsjahr habe es einen Überschuss von 1,9 Milliarden Euro gegeben. Aus diesem Pott könne man eine Art Rettungsschirm für die Träger basteln, sagt der Sozialdemokrat.
Dass auch größere Träger wie das DRK über die neuen Rahmenbedingungen klagen, sei Voussem bewusst. Er habe auch großes Verständnis für die Verunsicherung. Er sagt aber auch: „Das hätten diejenigen, die die Verhandlungen geführt haben, mitbedenken können.“
Voussem und Waasem verweisen auch darauf, dass von der Explosion bei den Personalkosten nicht nur Privatträger und Verbände betroffen sind, sondern auch Kommunen. „So ein Abschluss der Tarifverhandlung kann den Haushaltsentwurf ganz schön durcheinanderwirbeln, wenn die Kommune selbst Träger von Kitas ist“, sagt Waasem.
Dem stimmt Voussem zu. In Euskirchen, wo er Fraktionschef der CDU ist, sei im aktuellen Haushalt nicht mit Problemen zu rechnen. Da der Haushalt erst recht spät verabschiedet worden sei, sei bereits vorausschauend ein entsprechender Betrag eingepreist worden.
Das EvA in Gemünd geht an die Sparrücklagen
Die Tariferhöhung im öffentlichen Dienst betrifft nicht nur Kita-Träger, sondern auch Pflegeeinrichtungen. „Das ist eine sehr große Herausforderung“, sagt Malte Duisberg, Geschäftsführer der Stiftung Evangelisches Alten- und Pflegeheim Gemünd (EvA).
Existenzbedrohend sei die Lage nicht, aber schwierig, berichtet Duisberg. Schließlich müsse EvA mit einem sechsstelligen Betrag in Vorleistung gehen. Man sei in Verhandlungen mit den Kassen, wie man das Delta auffangen kann. „Rückwirkend ist da wohl nichts möglich. Wir müssen schauen, wie wir das querfinanzieren“, erklärt Duisberg. Als Träger habe man aber die Chance, dass Geld über die Pflegesätze reinzuholen, „weil die Kassen das, was Tarif ist, anerkennen müssen“, so der Geschäftsführer.
Um die Lohnerhöhung seiner Angestellten, die im Fall von EvA über den Bundesangestellten-Tarif geregelt ist, stemmen zu können, sei man an Rücklagen herangegangen. An Rücklagen, die EvA kaum hat, weil man als gemeinnütziges Unternehmen keinen Gewinn machen darf. „Wir haben ein paar Sparrücklagen für Notfälle, und da gehen wir jetzt dran“, so Duisberg. (tom)