Die Bezirksregierung hat zugestimmt: In der Bürriger Verbrennungsanlage darf eine Chemikalie verbrannt werden, die zunächst nicht zugelassen war.
Currenta SondermüllverbrennungEin heikler Stoff darf im Leverkusener Ofen brennen
Im Prinzip stehen alle vier Sondermüllöfen in Bürrig wieder unter Feuer. An den Genehmigungen mangelt es nicht, aber wohl am Brennstoff. Deshalb hat man sich im Gutachterteam unter der Leitung von Christian Jochum nochmal mit einem bisher nicht zugelassenen Abfallstoff aus dem Chempark beschäftigt. Der Abfall mit der kryptischen Nummer „ESB 2000010014“ brennt sehr gut, in der Anlage kann man ihn gut gebrauchen.
Die Kehrseite dieser Eigenschaft aber ist: Er ist so energiereich, dass er sich unter ungünstigen Umständen im Tank erst langsam, dann immer schneller selbst erwärmt und – wenn nichts dagegen getan würde – explodiert. Am 21. Juli 2021 war es in Bürrig wegen einer solchen „stark exothermen Reaktion“ zum wahrscheinlich folgenschwersten Chemieunglück Deutschlands seit Jahrzehnten gekommen.
In seinem ersten Gutachten vom Juni 2022 zum Wiederanfahren der Anlage hatte Jochum das Gemisch noch als unbedenklich beschrieben, wenn man es unter 56° Celsius lagern würde. Da bei ESB 2000010014 eine unerwünschte Reaktion, also Erwärmung unter ungünstigen Bedingungen bereits ab 90° Celsius einsetzt, fiel er bei der Genehmigung der zuerst 31, später 46 zur Verbrennung in Bürrig zugelassenen Stoffe dann doch durch. Man strich ihn aus dieser viel diskutierten Liste.
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Laut Jochum fällt das Lösemittel in größeren Mengen in der Produktion an, weshalb man ihn noch einmal mit genaueren Methoden untersucht habe. Ergebnis: Es geht doch. Currenta schreibt, neben Jochum habe auch der Gutachter des Tüv Süd keine Bedenken gegen seine Entsorgung in den beiden Drehrohröfen, in die zum Heizen die brennbaren Abfälle eingespritzt werden.
Ab 108 Grad geht der Stoff „durch“
Ein Warmlagerversuch mit präzisen Messungen habe gezeigt: Selbst wenn der Stoff schon 108 Grad habe, was nicht üblich sei, dauere es noch 48 Stunden, bis er „durchgehe“. Genug Zeit also zum Reagieren.
Das decke sich mit der jahrzehntelang geübten Praxis: Currenta schreibt, man verfüge über eine fast 30-jährige Erfahrung in der Handhabung dieses Abfalls. Während dieser Zeit habe es keinen sicherheitsrelevanten Vorfall mit diesem Abfallstrom gegeben. Fazit: Das mit Chlorkohlenwasserstoffen (CKW) verschmutzte Lösemittel darf bei der Anlieferung nicht über 35° Celsius warm sein, die Behälter müssen über Thermometer verfügen und alle acht Stunden muss kontrolliert werden. Ab 50° Celsius sollen die Mitarbeiter Alarm geben. ESB 2000010014 soll nicht gemischt werden, muss also ohne Umwege direkt aus dem Tankwagen in die Anlage gepumpt werden, sagt Jochum.
Currenta braucht Brennstoff: Zuletzt schaltete man die Klärschlammverbrennung ab, die braucht besonders viel energiereichen Stoff, weil Schlamm einen hohen Wassergehalt hat und nicht von selbst brennt.
Jochum arbeitet derzeit daran, eines der bei der Explosion nur wenig beschädigten Tanklager mit acht stehenden Tanks wieder verfügbar zu machen. Im Januar will man das Gutachten vorstellen. Die bestehenden Tanks sind für Currenta wertvoll: Neue genehmigt zu bekommen, dürfte so nah an Bürrig schwer bis unmöglich sein.
Ermittelt wird nach dem Explosionsunglück nach wie vor wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und des fahrlässigen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion gegen vier Personen. 31 Personen wurden verletzt. Die komplexen Auswertungen technischer Unterlagen durch Sachverständige dauern an. Eine Anklage gebe es bisher nicht, schrieb Staatsanwalt Ulrich Bremer auf Anfrage.