Ingo Wortmann ist Präsident des Verkehrsverbands VDV. Er fordert, dass das Deutschlandticket noch bis Ende des Jahres 49 Euro kosten sollte.
Chef der Verkehrsverbände„Wir wollen keine drastischen Preiserhöhungen beim Deutschlandticket“
Herr Wortmann, ab dem 8. Januar drohen unbefristete Streiks durch die Lokführergewerkschaft GDL. Unternehmen Ihres Verbands sitzen am Verhandlungstisch. Wann wird es zur Einigung kommen?
Ich hoffe, dass sich die Tarifparteien sehr schnell einigen. Das ist dringend notwendig. Die aktuelle Situation im Nahverkehr durch Wetterereignisse und Personalmangel mutet den Fahrgästen schon viel zu. Wir müssen die Attraktivität des Nah- und Fernverkehrs steigern, weitere Streiks bewirken das Gegenteil.
Auch das Deutschlandticket soll den Nahverkehr attraktiver machen. Bis Mai wollen die Verkehrsministerinnen und -minister ein Konzept zur Finanzierung ausarbeiten. Was erwarten Sie von den Ländern?
Es ist ein Konzept notwendig, wie wir das Deutschlandticket dauerhaft erhalten können. Dieser Modus ‚Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln‘ muss ein Ende haben. Wir brauchen eine langfristige Finanzierungsperspektive. Dazu gehört die Verpflichtung, die Mindereinnahmen der Verkehrsunternehmen aus dem Deutschlandticket auszugleichen. Die Minister sollten sich zudem auf eine tragfähige Preisentwicklung anhand der realen Kostensituation einigen.
Eine Nachschusspflicht schließen Bund und Länder aus. Müssen sich die Fahrgäste auf einen höheren Preis gefasst machen?
Um es klar zu sagen: Wir wollen keine drastischen Preiserhöhungen beim Deutschlandticket. Dafür müssen aber ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit die Verkehrsunternehmen nicht auf den Kosten sitzen bleiben. Irgendwann wird der Ticketpreis wegen steigender Kosten etwas erhöht werden müssen. Es ist aber zentral, dass der Preis von 49 Euro im Monat noch mindestens bis Ende 2024 erhalten bleibt. Gerade für die Gewinnung und Bindung neuer Kundinnen und Kunden wäre das wichtig.
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Bund und Länder wollen jährlich drei Milliarden Euro zur Verfügung stellen.
Unsere Prognosen sagen, dass die Umsetzung des Tickets kommendes Jahr 4,1 Milliarden Euro kosten wird - und nicht nur drei Milliarden.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) fordert Einsparungen auf Seiten der Verkehrsunternehmen. Wieso schauen Sie nicht zuerst bei sich in den Betrieben?
Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Restrukturierungskonzepte in den Unternehmen durchgesetzt, mit denen wir die Effizienz gesteigert haben. Natürlich müssen wir diese Wege weitergehen. Aber zu glauben, dass wir in kürzester Zeit unsere Effizienz insofern steigern könnten, um die erheblichen Mindereinnahmen gegenzufinanzieren, entspricht schlichtweg nicht der Realität. Im Gegenteil: Bei Personal und Modernisierung der Fahrzeugflotten müssen wir massiv investieren, und die Energiepreise steigen ebenfalls seit Jahren.
Der Landkreis Stendal ist in die Schlagzeilen geraten, weil er das Deutschlandticket nicht weiterführen wollte. Wie kann verhindert werden, dass so etwas wieder passiert?
Ich halte es eher für unwahrscheinlich, dass so etwas Schule macht, da das Deutschlandticket vielen Regionen nützt. Die Unsicherheit lässt sich aber mit einer sicheren Finanzierung beseitigen.
Der Bund will zur Schließung der Haushaltslücke 350 Millionen Euro der Regionalisierungsmittel, die für den Nahverkehr gedacht sind, kürzen. Welche Auswirkungen hat das?
Hunderte Millionen Euro für den Nahverkehr zu streichen, wäre absolutes Gift für die Verkehrswende. Wegen der Kostensteigerungen infolge der Pandemie und der Energiekrise erleben wir einen erheblichen Druck gerade im Schienenpersonennahverkehr. Der wird vor allem über die Regionalisierungsmittel finanziert. Wir müssen über mehr Mittel reden, und zwar nur, um das Angebot zu erhalten. Wenn wir jetzt weniger Mittel bekommen, dann wird das zwangsläufig zu Abstellungen von Bahn- und Buslinien führen.
Es gibt immer wieder die Debatte, dass die Länder die Regionalisierungsmittel zweckentfremden.
Unsere Erwartung an die Länder ist, dass die Mittel tatsächlich vollumfänglich für das Angebot verwendet werden, denn dafür sind sie da. Insbesondere dienen die Mittel nicht dazu, die Landeshaushalte zu entlasten, indem originäre Landesmittel für den ÖPNV durch Regionalisierungsmittel ersetzt werden.
Die Ampel strebt einen Pakt für den Nahverkehr an, der die Finanzierungsfrage für den Erhalt und Ausbau final klären soll. Wie viel Mittel sind dafür nötig?
Vor der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg haben wir ausgerechnet, dass wir bis 2030 insgesamt 48 Milliarden Euro benötigen. Wegen der Preissteigerungen brauchen wir also mehr. Aufgrund der seit 2020 veränderten Rahmenbedingungen durch die Krisenjahre werden wir die gesteckten Ausbauziele für 2030 nicht mehr vollständig schaffen. Wir werden ausbauen, aber nicht in dem Tempo. Insbesondere haushaltsschwächere Kommunen denken gerade über das Gegenteil nach, nämlich über eine Reduzierung des öffentlichen Personennahverkehrs. Hier muss der Pakt ansetzen und ein klares Signal senden, den Ausbaupfad überall ambitioniert anzugehen. Eine weitere Baustelle ist der Personalmangel.
Wie groß ist der?
Im branchenweiten Stellenmarkt unserer Arbeitgeberinitiative sind derzeit über 12.000 offene Stellen gelistet. Bis 2030 werden rund 80.000 Beschäftigte aus den Verkehrsunternehmen in den Ruhestand gehen, das ist etwa die Hälfte aller Mitarbeitenden. Der Personalbedarf wird zudem größer, je mehr wir ausbauen werden. Wir wollen daher mehr Menschen anwerben. Wir denken über Recruiting etwa in Kenia oder Tansania nach. Wir haben im Dezember in München zwölf spanische Kollegen gewinnen können, die aus der Arbeitslosigkeit kommen und, die wir nun in Spanien ausbilden. Bald werden sie in Deutschland arbeiten. Bei der Anwerbung brauchen wir auch die Unterstützung der Politik.
Inwiefern?
Wir müssen für den großen Bedarf an Fahrpersonal die Rahmenbedingungen entbürokratisieren und vereinfachen, zum Beispiel die Anerkennung von ausländischen Führerscheinen. Die albanischen Führerscheine beispielsweise werden anerkannt, das müssen wir auch bei anderen Ländern ermöglichen. Ausländer, die bereits einen Führerschein haben, müssen zudem nicht den kompletten Prozess zur Erlangung des deutschen Führerscheins durchlaufen. Aufbaukurse würden ausreichen. Darüber hinaus müssen die Sprachanforderungen gesenkt werden.