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„Diesmal muss es klappen”

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Die schlechte Wirtschaftslage lässt viele junge Senegalesen von einem besseren Leben in Europa träumen.

Die schlechte Wirtschaftslage lässt viele junge Senegalesen von einem besseren Leben in Europa träumen.

Viele junge Senegalesen zieht es nach Europa. Mit einem Job in Spanien oder Frankreich kann zu Hause der Familie geholfen werden.

Pikin heißt der Stadtteil der senegalesischen Hauptstadt Dakar, in dem die Hirsemühle steht, an der Moussa arbeitet. Es ist staubig und heiß. Leben kann Moussa von dem, was er hier verdient, nur schwer. Er trägt ein dreckiges T-Shirt und abgetragene Hosen. Moussa redet nicht gern. "Ich möchte auch nach Europa. Aber ich habe es noch nicht probiert", sagt er. "Senegal ist nicht gut. Es gibt zu viele Probleme."

Sein Bruder Cheikh kommt vorbei. Er will uns mitnehmen in das Zimmer, das er gemietet hat. In der Öffentlichkeit mag Cheikh nicht über seine Reisepläne reden. So, wie die meisten Senegalesen: Wer sich auf den Weg machen will, lässt niemanden davon wissen. Irgendwann erreicht die Familie dann ein Anruf aus dem Ausland. Manchmal aber auch nicht.

"Wir haben alle Angst zu sterben", sagt er. "Von 100 Leuten, die gehen, sterben vielleicht 50. Das ist ein großes Risiko. Alles hängt von Gott ab." Deshalb erzählt Cheikh auch niemandem davon. Cheikh kommt aus einem kleinen Dorf, über 100 Kilometer von der senegalesischen Hauptstadt entfernt. Dort leben noch seine Eltern und ein paar jüngere Verwandte. Auch seinen Eltern wird er nicht sagen, was er vorhat. Er fürchtet ihre Kritik: Wenn die Alten es ihm verbieten, dann kann er nicht gehen. Den Eltern und den Alten im Dorf müsste er gehorchen. Schon beim letzten Mal waren sie wütend, erzählt er. Da war er fünf Jahre lang weg.

Mit 20 Jahren war er vom Dorf in die Stadt gezogen, nach Dakar. Lange war er damals nicht geblieben, er fand keine richtige Arbeit. Also ging er auf Reisen. Sechs Jahre ist es her, dass er es schon einmal versucht hat, nach Europa zu kommen. Wo genau er geschnappt wurde, sagt er nicht. Man schob ihn ab. Kaum zurück in Dakar, zog er weiter in die Elfenbeinküste. Nachdem er dort zunächst Arbeit fand, wurde er 2004 in den Wirren des Bürgerkrieges vertrieben. Auf dem Weg zurück in den Senegal fiel er liberianischen Rebellen in die Hände. "Sie nahmen mir alles ab, was ich bei mir hatte - auch meine Ersparnisse," sagt er. Cheikh kam mit nichts als seinen Kleidern am Leib nach Dakar zurück.

Dort stellte er fest: Seine Frau war verschwunden. Sie habe ihn verlassen, sagt er, weil er sich so lange nicht um sie gekümmert habe und auch kein Geld mehr da war. "Ich denke jeden Tag darüber nach, wie ich meiner Frau und meiner Familie das Leben sichern kann", sagt er. "Wenn du nicht genügend Geld hast, respektieren dich die Frauen nicht."

Also will er es noch einmal versuchen, nach Europa durchzukommen. Um Geld zusammenzubringen, verkauft Cheikh jetzt auf den Straßen Dakars Souvenirs: Amulette, Ketten, Ringe, Anhänger. Jeden Tag zieht er die beliebtesten Straßenzüge auf und ab. Wenn er Glück hat, verdient er drei oder vier Euro am Tag. 500 000 Franc CFA will er zusammensparen, sagt er. 500 000 Franc, das sind 750 Euro. Cheikh glaubt, dass das reicht für den Schlepper, für Proviant und die Überfahrt von Marokko.

Wie viel er davon bereits zusammen hat und wie lange er noch für die gesamte Summe braucht, will er nicht sagen. Cheikh macht sich Mut: Dieses Mal wird es ganz bestimmt klappen mit Europa. "Du fährst von hier nach Mali, Algerien, Marokko und dann rüber mit dem Boot." Dort werde er dann genügend Geld verdienen. Seine Frau werde wieder zu ihm zurückkehren. Er werde für seine Eltern sorgen können. Und sich ein Haus bauen.

"Ein Freund von mir ist nach Spanien gegangen. Nach zwei Jahren hat er sich ein Haus gekauft, er hilft seinen Eltern, er hat Kinder - er ist 1999 gegangen. 2003 ist er dann wieder zurückgekommen - und hat ein eigenes Haus!" Davon kann Cheikh vorerst nur träumen. Er bewohnt ein Zimmer in einem verfallenden Haus. Den verwahrlosten Raum und das einzige Bett darin teilt er sich mit zwei Brüdern.

Ein paar Straßen weiter treffen wir Ahmed. Auch er ist dabei, seine Abreise vorzubereiten. Auch er hat es schon einmal versucht und ist gescheitert. "Für die Illegalen ist es am einfachsten, über Spanien einzureisen. Wenn du erst mal drin bist, kannst du sehen, wie du nach Italien, Frankreich oder Deutschland weiterkommst oder Holland." Nach Frankreich oder Italien möchte er. Ahmed ist gelernter Schweißer, doch er würde jeden Job annehmen.

"In Europa - da kann man viel verdienen. Im Vergleich zu hier. Wenn du 100 Euro verdienst, sind das 65 000 Franc." Sein Onkel steht neben ihm, ein kleiner freundlicher älterer Herr. Bei ihm wohnt Ahmed. Der Onkel weiß, dass Ahmed über kurz oder lang gehen wird, und er ist damit einverstanden.

"Wenn wir heute die Jungen dazu drängen, in Europa ihr Glück zu suchen, dann nur deshalb, weil sie von dort ihren Familie helfen können. Dort verdienen sie mehr", sagt er und deutet auf die Umgebung. "Schauen Sie sich um in diesem Haus! Mehr als 14 Leute wohnen hier. Und ich bin der einzige, der für sie aufkommt!" Keiner der vier Jungen in dem Zimmer hier habe Arbeit, klagt der Onkel. Er selber habe auch Kinder, er müsse Wasser, Strom und Telefon bezahlen und das Essen und all die anderen Dinge. Wenn einer von denen es nach Europa schaffe, könne er Geld schicken, hofft er. "So einfach ist das."

Für den Senegal ist das schon die zweite Wanderungswelle, die das Land binnen eines Jahrhunderts erlebt. Beim ersten Mal zogen die Jungen vom Land in die Städte. Aber "die Arbeit, die unsere Eltern sich für uns in der Stadt erhofft hatten", sagt einer, "die haben wir Jungen nicht mehr gefunden." Also ziehen sie weiter. Auch der Onkel sieht keine andere Chance: "In Familien wie meiner, in der niemand Geld verdient außer mir, geht das gar nicht anders - wenn ein Junge seinen Stolz hat."

Der Staat Senegal müsse sich ändern. Irgendjemand müsse den Jungen doch Arbeit geben, damit sie im Land blieben. "Nur wenn du in deinem Land Arbeit findest, musst du nicht emigrieren."

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