„Eine unglaubliche Geschichtsklitterung“

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Hans-Jürgen Prien.

Hans-Jürgen Prien.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Professor Prien, der Papst sieht die Mission als eine Art christlicher Beglückung, auf die die Völker Südamerikas insgeheim gewartet hätten.

HANS-JÜRGEN PRIEN: Das ist eine unglaubliche Geschichtsklitterung. Die gesamte Literatur spricht von einem „Kulturschock“. Die Indianer waren buchstäblich sprachlos über die radikale Veränderung, ja Zerstörung ihrer gesamten Lebenswelt. Und darin will der Papst eine „Begegnung“ verschiedener Kulturen entdecken? Das stimmt höchstens, wenn man „Begegnung“ als Kampf mit Feuer und Schwert versteht.

Die Deutung des Papstes ist also historisch unhaltbar?

PRIEN: Diese Rede ist das Oberflächlich-Schönfärberischste, was ich aus päpstlichem Mund zur Mission Lateinamerikas seit 30 Jahren gelesen habe. Das Bild von den unerkannten christlichen „Keimen“ in den einheimischen Religionen entspricht dem Denken der Kirchenväter. Mit der Realität der Mission hat das nichts zu tun.

Was war die Realität?

PRIEN: Die Realität waren gewaltsame Eroberung, Zwangsmission mit „Begleiterscheinungen“ wie Sklaverei, Zwangsarbeit, Rassendiskriminierung und Ethnozid sowie allen modernen Formen von Ausbeutung und Landraub. Der Papst tut so, als ob die Missionare in Lateinamerika mit offenen Armen aufgenommen worden wären und es keinerlei Probleme gegeben hätte. In Wirklichkeit konnten die Missionare am Anfang kaum Fuß fassen. Es hat nur einen einzigen Versuch eines Religionsdialogs gegeben, als die Franziskaner 1524 mit den einheimischen Adligen und Priestern ins Gespräch kommen wollten. Das ging sehr negativ aus.

Warum?

PRIEN: Weil es - im Gegensatz zu dem, was der Papst behauptet - keinerlei Wertschätzung aufseiten der Christen für die einheimischen Religionen gab. Die wurden als Teufelszeug gesehen, das es auszurotten galt. Und die Indianer wurden verachtet. Das 1512 verbotene Schimpfwort „Hunde“, gehört noch zu den vornehmeren Titeln.

Nun ja, Menschenopfern - wie sie bei den Azteken üblich waren - konnten die Missionare ja schlechterdings keine Hochachtung entgegen bringen.

PRIEN: Selbstverständlich nicht. Aber man hätte sich zumindest um Verständnis für den Hintergrund solcher Praktiken bemühen können. Es ging ja darum, mit Opfern für den Sonnengott den Kosmos zu erhalten. Letztlich geht es um die Frage: Wie setzt man an? Unternimmt man eine langwierige, entbehrungsreiche Mission ohne Gewalt, oder hängt man sich an die militärischen Eroberer dran?

Und Letzteres ist passiert.

PRIEN: Die Mission wurde alsbald als „Conquista espiritual“ bezeichnet, also als eine Eroberung im geistlichen Sinne. Es kennzeichnet die Mentalität der Zeit sehr treffend, dass der militärische Begriff einfach auf die religiöse Sphäre übertragen wurde. Es gelte, so hieß es im 16. Jahrhundert, die von der „satanischen Klugheit“ gefangenen gehaltenen Seelen zu befreien. Ein solches Denken führte dazu, dass ein brutaler Feldherr wie Cortéz in der zeitgenössischen Kirchengeschichtsschreibung zu einem zweiten Moses hochstilisiert wurde, der den von dem „verfluchten Luther“ in der Alten Welt angerichteten Schaden in der Neuen Welt ausgleichen sollte. Vereinfacht gesagt: Die Kirche holt sich in Amerika die Katholiken zurück, die sie in Europa verloren hat.

Vielleicht wären die Conquistadores ohne die Geistlichen in ihren Reihen ja noch brutaler gewesen.

PRIEN: Das ist gewiss so. Viele Missionare dachten, es sei besser, mit den Soldaten zu gehen, als diese allein marschieren zu lassen. Andererseits wurden viele positive Ansätze etwa der Franziskaner oder Dominikaner, in Mexiko eine einheimisch-indianische Kirche aufzubauen, sehr schnell von den kolonialen Obrigkeit unterdrückt. Ein Wesenszug der gesamten Kolonialzeit ist das weitgehende Fehlen einheimischer Priester. Deshalb kam es auch nicht zu einem echten Volkskatholizismus, sondern es war immer eine Kolonialkirche.

Es gab aber auch zeitgenössische Kritiker der Kolonialisierung wie Bartolomeo de Las Casas.

PRIEN: Schon, aber gerade Las Casas hat kirchenoffiziell nie die ihm gebührende Wertschätzung erfahren. Von einer Selig- oder Heiligsprechung ganz zu schweigen.

Papst Johannes Paul II. bat im Jahr 2000 um Vergebung, dass Christen „die Rechte von Stämmen und Völkern verletzt und deren Kulturen und religiöse Traditionen verachtet“ haben. Ist die Rede Benedikts eine Art Gegenentwurf?

PRIEN: Man kann das als historischen Rückschritt betrachten. Und als Taktik: Wenn man immer wieder eine Sicht der Geschichte wiederholt, die den eigenen Interessen entspricht, setzt sich das bekanntlich in den Köpfen fest. In Wahrheit hat nicht die „Weisheit“ der einheimischen Völker zu einer Synthese ihrer Kulturen mit dem christlichen Glauben geführt, wie der Papst meint, sondern der nackte Zwang. Es ist eher ein Wunder, dass der christliche Glaube Wurzeln schlagen und eine indianische Kirche entstehen konnte - trotz der Mission.

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