„Immer gegen den Trend“

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Müller-Brühl

Müller-Brühl

Mit dem Kölner Dirigenten, der das Werk kürzlich eingespielt hat und es jetzt in der Philharmonie aufführt, sprach Stefan Rütter.

KÖLNER STADT-ANZEIGER. Herr Müller-Brühl, Sie haben 2005 Bachs Matthäus-Passion auf CD eingespielt und werden sie während der Karwoche mehrmals aufführen, auch in Köln. Es war zu lesen, es sei die erste Einspielung auf modernen Instrumenten seit zehn Jahren. Warum ist das so bemerkenswert?

HELMUT MÜLLER-BRÜHL: Die Musik des Barock wird ja heutzutage durchweg auf so genannten Originalinstrumenten aufgeführt. Man kann an dieser Bewegung nicht vorbeigehen. Das finde ich auch richtig. Aber inzwischen ist es so, dass sich ein modernes Orchester kaum noch traut, Bach zu spielen. Und eigentlich haben wir doch etwas anderes gewollt: dass man die etablierten Sinfonieorchester dazu bringen könnte, die Alte Musik „richtig“ zu spielen - „historically informed“, wie die Engländer sagen.

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Warum haben Sie selbst vor 20 Jahren aufgehört, Ihr „Kölner Kammerorchester“ auf alten Instrumenten spielen zu lassen?

MÜLLER-BRÜHL: Ein Grund war die Eröffnung der Kölner Philharmonie. Mir war klar, dass dem Saal mit alten Instrumenten nicht beizukommen ist, es sei denn, man hat entsprechend große Besetzungen. Ein anderer waren die Gastspiele: Man spielt in ständig wechselnden Sälen, und darauf reagieren die alten Instrumente sehr anfällig. Und ich wollte mit jungen Leuten arbeiten, die sehr gut ausgebildet sind, mit Wettbewerbs-Preisträgern. Jemand, der den Tschaikowsky-Wettbewerb gewonnen hat, nimmt keine alte Geige mehr in die Hand.

Sie arbeiten häufig mit dem Dresdner Kammerchor zusammen. Er ist auch auf der Aufnahme der Matthäus-Passion und bei der Tournee in der Karwoche zu hören. Gibt es für Sie in der Kölner Chorszene keine geeigneten Partner?

MÜLLER-BRÜHL: Doch; ich habe alle gefragt, die in Betracht kamen, aber die Kollegen geben ihre Chöre nicht gern aus der Hand. Mit dem Dresdner Kammerchor ist das überhaupt kein Problem. Der Leiter Hans-Christoph Rademann gibt seinen Chor nicht nur aus der Hand, er bereitet ihn auch vor, ist bei den Aufnahmen dabei und korrigiert.

Der Dresdner Kammerchor singt in der Aufnahme der Matthäus-Passion sehr rund und geschmeidig, aber doch auch auffällig distanziert und zurückgenommen.

MÜLLER-BRÜHL: Bei den Chorälen wollte ich einen unaufdringlichen Klang erzielen. Da ist eine Gemeinde, die sozusagen im Angesichte Gottes die eigene Schuld bekennt.

Gilt das auch für die Turba-Chöre? Da könnte man sich manchmal schon eine etwas schärfere Deklamation vorstellen . . .

MÜLLER-BRÜHL: Also - mir reicht es, aber das muss nicht aller Menschen Maßstab sein. Es gibt in der historischen Aufführungspraxis eine Tendenz zum Über-Dramatisieren. Ich bin da empfindlich, wenn der Wohlklang gefährdet ist, wo es vom Singen ins Schreien übergeht, da reagiere ich allergisch.

Die Solo-Partien in der Aufnahme sind durchweg leicht besetzt. Besonders der Sänger der Christus-Worte klingt sehr jung und hell timbriert.

MÜLLER-BRÜHL: Dieser Sänger war zum Zeitpunkt der Aufnahme so alt wie Christus. Das war mir wichtig. Ein junger Mensch, der weiß, dass er der Gesandte ist, der auch weiß, dass er sterben muss, der aber seine Gottessohnschaft nicht im Konflikt mit der Welt lebt. Ich sehe ihn nicht so sehr als den dornengekrönten und gegeißelten Leidensmenschen. Er ist ein Heilsverkünder, ein Messias. Trotz seiner Leiden hat er eine Reinheit, eine Unberührtheit.

Die Verkaufszahlen Ihrer fast 50 CDs, die Sie in den vergangenen Jahren beim Label Naxos aufnahmen, haben inzwischen die Millionengrenze erreicht. Und das, obwohl Sie gegen den Trend arbeiten.

MÜLLER-BRÜHL: Ich habe immer gegen den Trend gearbeitet. Als ich mit den alten Instrumenten anfing, wollte das noch keiner hören. Als es Mode wurde, bin ich wieder auf moderne Instrumente gegangen. Ich bin kein Fundamentalist. Mit mir ist schwer Krieg zu führen, was die Aufführungspraxis angeht. Ich kann nicht einmal sagen, ob ich etwas anders mache, ich denke, ich mache es einigermaßen richtig. Was die Matthäus-Passion betrifft, kann ich sagen, dass es eine meiner Aufnahmen ist, die mir selber gefällt. Das ist ja auch schon was.

In der Kölner Philharmonie dirigiert Helmut Müller-Brühl die Matthäus-Passion am 13. April um 18 Uhr.

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