„Versaut bis dorthinaus“

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Doping-Experte Werner Franke

Doping-Experte Werner Franke

Der Doping-Experte Werner Franke empfindet die am Samstag beginnende Leichtathletik-WM in Osaka nicht als einen Höhepunkt des Sportjahres, sondern als ein weiteres Gipfeltreffen der Sport-Betrüger.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Franke, was erwartet die an der Leichtathletik interessierte Öffentlichkeit bei den am Samstag beginnenden Weltmeisterschaften in Osaka? Darf sie wirklich glauben, was sie da zu sehen bekommt?

WERNER FRANKE: Die Öffentlichkeit fällt bei solchen Gelegenheiten ja gerne über mich her, wie zum Beispiel auch der Welt- und der Deutsche Leichtathletik-Verband nach den letzten Weltmeisterschaften 2005 in Helsinki. Die beiden Verbände wollten mich verklagen. Weil ich unbequeme Wahrheiten ausgesprochen habe. Ich habe gesagt, dass wir bei der Leichtathletik vergackeiert werden. Wenn ich da solche Leute laufen sehe, da lache ich mich kaputt, denn gleichzeitig liegen über diese Leute Akten bei mir auf dem Tisch. Akten, in denen genau drinsteht, was mit denen los ist. Ich sage nur das Stichwort Balco-Skandal ( das US-Labor Balco hat nicht nachweisbare Designer-Steroide entwickelt und u.a. damit eine Vielzahl von US-Athleten versorgt - darunter mehrere Weltmeister; Anm. der Red.). Das System ist lächerlich und verlogen.

Ist die Leichtathletik verseucht?

FRANKE: Die Leichtathletik ist besonders verseucht in den Bereichen, die publikumsattraktiv sind; dazu gehören die Sprintwettbewerbe. Zweitens ist sie da verseucht, wo sie national eine gewisse Bedeutung hat. Das ist übrigens ein Unterschied zu den USA, da dopen die Leichtathleten vorwiegend wegen des Geldes. Nehmen Sie jemanden wie die US-Sprinterin Marion Jones, eine dreimalige Gold-Gewinnerin der Olympischen Spiele von Sydney 2000 -, sie hat mit der Leichtathletik ein Vermögen gemacht, die war laut Balco-Unterlagen ja versaut bis dorthinaus. Jetzt ist ihr Geld aufgebraucht - für Anwalt-Kosten, eine schöne Ironie. Drittens wird vor allem in den Frauen-Disziplinen gedopt. Dort bringt der Einsatz von Anabolika nach wie vor viel: die Frauen vermännlichen, das bringt Leistung, das bringt Medaillen.

Der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) erhöht die Anzahl seiner Kontrollen: von 885 bei der WM im Jahre 2005 in Helsinki auf 1000 in Osaka. Ist das eine echte Hilfe?

FRANKE: In Wirklichkeit hat die IAAF eher wenig getan, weil sie fast nur nach Wettkämpfen testet und nicht vorher. Das ist dumm. Andererseits gilt: Nur Dumme, das heißt von Natur aus Dumme oder solche, die nicht gut beraten sind, werden bei Wettkämpfen erwischt. Die setzen ihr Dope doch vorher ab. Die überbrücken doch, und zwar mit Mitteln, die die Wirkung aufrechterhalten, aber derzeit nicht entdeckt werden können. Es wird ja außerdem nicht nur zur falschen Zeit getestet, sondern manchmal auch nicht korrekt. Ich habe zum Beispiel die früheren Epo-Kontrollmethoden des Labors in Châtenay-Malabry bei Paris kritisiert. Jetzt haben sie einen verbesserten Test - sogar mit zwei verschiedenen Antikörpern und sind bedeutend sicherer. So haben sie ja auch vor Kurzem die slowenische 800-Meter-Weltrekordlerin Jolanda Ceplak erwischt. Ich glaube, da kommt noch eine Menge auf uns zu. Außerdem muss endlich auch bei Sprinter-Trainingskontrollen auf Epo getestet werden. Spätestens seit dem Prozess gegen die US-Langsprinterin Michelle Collins ( die ehemalige Hallen-Weltmeisterin wurde wegen ihrer Verstrickung in den Balco-Skandal acht Jahre gesperrt, Anm. der Red.) weiß man, dass im Sprint-Training nahezu systematisch mit Epo gearbeitet wird.

Warum hat man keine Chance, etwa in Russland oder in den Maghreb-Staaten von der Welt-Anti-DopingAgentur (Wada) organisierte Trainingskontrollen durchzuführen?

FRANKE: Die dürfen ja zum Teil gar nicht einreisen, weil keine Visen erteilt sind, oder nur begrenzte. Nach China etwa kommt man nicht unkontrolliert rein. Bisher gibt es nur bestimmte Wege ins Reich der Mitte. Da sitzen dann welche und warnen die Kader. In Marokko gibt es nur Einreiseschneisen über Rabat und Casablanca. Die Läufer, die man testen will, findet man aber nicht. Die sind dann im Atlas-Gebirge und spielen auf Zeit. Die müssen manchmal nur zwei Tage gewinnen, um nicht positiv getestet zu werden.

Testet die IAAF denn wenigstens intelligent, etwa so, dass sie Leistungssprünge registriert und diese Leute dann verstärkt kontrolliert?

FRANKE: Das wird eigentlich nicht gemacht. Ich habe das ja schon lange gefordert. Spätestens seit 1991, seit dem Buch meiner Frau Brigitte Berendonk „Von der Forschung zum Betrug“ weiß man doch, wann und wie in der Vorbereitung auf große Wettkämpfe gedopt wird.

Bei der EM in Göteborg im vergangenen Jahr haben russische Athleten zwölf Goldmedaillen gewonnen. Athleten, die man vorher zum Teil noch nie gesehen hat. Was denken Sie über solche Fälle?

FRANKE: Ab und zu kommen Wada-Kontrolleure mal überraschend durch. Und dann finden sie auch gleich was, wie im Trainingslager der Hammerwerferinnen Tatjana Lysenko, sie ist Europameisterin und Weltrekordlerin, und Jekaterina Choroschich, sie ist U-23-Europameisterin. Bis vor Kurzem wusste man ja gar nicht, wann und in welchen Trainingslagern sich diese Athleten aufhalten.

Wie beurteilen Sie das?

FRANKE: Da sollte man proletarische Sprache benutzen. Das ist die Verarschung der Welt. Manchmal gibt es aber auch Kontrollen, da werden dann einfach positive Ergebnisse nicht veröffentlicht.

Das ist das System USA.

FRANKE: Die Amerikaner haben das einmal wie folgt perfektioniert, das besagen die Akten des Balco-Skandals: Der Leiter des Instituts, Victor Conte, war bestens vernetzt. Er hatte seine Athleten immer wieder angewiesen, ihn darüber zu informieren, was sie wo wann nehmen. Er hatte über einen Vertrauten in einem Anti-Doping-Labor auch stets die Information darüber, was schon nachgewiesen werden kann und was nicht. Danach hat er seine Athleten eingestellt. Etwa auch Marion Jones. Es ist dokumentiert, dass der Urin von Jones noch während der Spiele von Sydney 2000 in die USA geflogen wurde, um noch mal gecheckt zu werden. Die Proben waren dann auffällig, aber in einem Kontroll-Labor gerade noch negativ. Es ist ersichtlich, dass daran manipuliert wurde. So läuft das. Conte gibt es da jetzt nicht mehr. Aber er hat ja schon darauf hingewiesen, welche anderen Doping-Netzwerke benutzt werden können.

Die nutzen dann wahrscheinlich nicht nur Amerikaner.

FRANKE: Nein, natürlich nicht. Ich habe mal nach einem Hinweis im Umfeld des Anti-Doping-Kontrolllabors des IOC in Warschau recherchiert. Dabei sind mir dann Hinweise auf einen Regional-Vergleichswettkampf zwischen Südpolen und Weißrussland in die Hände gefallen, darunter auch eine positive Probe von einer bis dato unbekannten weißrussischen 100-Meter-Läuferin namens Julia Nesterenko. Positiv auf Clenbuterol. Diese positive Probe ist aber nicht veröffentlicht worden. Nesterenko ist danach Olympiasiegerin von Athen geworden. Die hatten sie erwischt und geschwiegen. Da wird professionell vertuscht.

Was empfinden Sie, wenn Sie den amerikanischen 400-Meter-Läufer Jeremy Wariner sehen, der nach 43er-Zeiten nicht erschöpft ist?

FRANKE: So was amüsiert mich nur. 400 Meter: Da nicht erschöpft, nicht total außer Atem zu sein - da erinnert man sich an manche Bergankünfte bei der Tour de France. Der geständige Doper Jörg Jaksche, ein Radprofi, sagt über seine Erlebnisse im Berg: Man wird einfach nicht müde. Das ist das Entscheidende dabei. Das ist also ein Humbug erster Güte. Heute sind ganze Disziplinen mit Blutdoping und kontrolliertem Epo verseucht.

Die deutschen Leichtathleten verweisen auf bescheidene Leistungen als Beweis ihrer Sauberkeit. Sind sie aber deshalb wirklich sauber?

FRANKE: Die Deutschen müssen still sein, auch in der Leichtathletik. Da gab es zuletzt bei über 200 unangemeldeten Trainingskontrollen den Fall, dass die Athleten nicht angetroffen worden sind - darunter Lars Riedel, der mehrmalige Diskus-Weltmeister und Olympiasieger.

Müssen alle deutschen Athleten still sein?

FRANKE: Es gibt auch Ausnahmen. Die Speerwerferin Christina Obergföll zum Beispiel, derzeit Weltjahresbeste, kenne ich schon aus der Jugend. Bei den deutschen Jugend-Meisterschaften in Lüdenscheid 1997 habe ich sie zum ersten Mal gesehen, sie wurde Zweite. Damals sah man schon das gewaltige Wurfkraft-Potenzial von Obergföll. Heute hat sie eben auch die Technik dazu. Eine lange, mühevolle, aber eben organische Entwicklung.

Auffällig ist, dass die deutsche Leichtathletik vor allem in den Frauen-Wurfdisziplinen in Osaka Medaillenchancen hat, siehe Obergföll. Ist das Zufall?

FRANKE: Da profitieren die Deutschen von einem gewissen Anabolika-Absatz-Knick. Um Kugelstoß-Olympiasiegerin zu werden, muss man nicht mehr utopische Weiten über 22 Meter stoßen. Und die, die besonders weit stoßen, hat man auch schon mal schnell erwischt, siehe die vermeintliche Olympiasiegerin für eine Nacht 2004 in Athen, die voll virilisierte Russin Irina Korscharenko.

Das Gespräch führte Stephan Klemm

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