„Von mir erfahren Sie es nicht“

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Stefan Wisniwski in der preisgekrönten TV-Dokumentation "Schleyer - eine deutsche Geschichte".

Stefan Wisniwski in der preisgekrönten TV-Dokumentation "Schleyer - eine deutsche Geschichte".

Der Mythos der RAF scheint unzerstörbar, an ihrer Legende wirken immer noch Mörder mit und sonnen sich im Glanz der Öffentlichkeit. 30 Jahre nach den Morden an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Jürgen Ponto, Vorstandschef der Dresdner Bank, und Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer quält sich der Sohn eines der prominenten Opfer vor TV-Kameras im Gespräch mit einem Ex-Terroristen. Warum tut sich Professor Michael Buback das an und bietet Hans-Jürgen Boock ein öffentliches Forum? Denn was Boock zu offenbaren bereit ist, hat er zuvor bereits Buback und dem „Spiegel“ verraten. Viel ist es nicht, und wie immer bleibt Boock unverbindlich.

Auf die Frage, woher er wissen will, dass der Ex-Terrorist Stefan Wisniewski der Todesschütze von Karlsruhe gewesen sei, antwortet er: „Es ist mir schlicht erzählt worden. Welche Absicht hätte vorliegen sollen, mir etwas Falsches zu erzählen?“ Boock, verurteilt wegen Mordes an Schleyer, jahrelang einer der Regisseure des Terrors und mehrfach beim Lügen ertappt, hat schon mehrmals etwas preisgegeben, was seinen früheren Feinden in der RAF schaden und seinen Freunden nützen könnte - vor allem aber seinen Marktpreis stabil hält. Volker Herres, TV-Programm-Direktor des NDR, vergisst denn auch vor lauter Stolz über die inszenierte „einmalige Begegnung“ nachzuhaken. Oder war es gar abgemacht, dass Boock keine kritische Frage fürchten musste?

Bücher zur RAF füllen inzwischen Bibliotheken, mehr als ein Dutzend Filmemacher haben sich dem Thema genähert - vor allem Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Co. Die zweite und dritte RAF-Generation blieb unbeachtet, da man sie allenfalls von Fahndungsfotos kannte. Und plötzlich bringt Boock im Fall Buback einen Namen ins Spiel, der längst in Vergessenheit geraten war: Stefan Wisniewski. Viel ist über den heute 52-Jährigen, im Dezember 1981 vom Oberlandesgericht Düsseldorf im Fall Schleyer zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt, nicht bekannt. Aufgewachsen ist er in einem Dorf im Schwarzwald, fährt zur See nach einer abgebrochenen Lehre zum Elektroinstallateur; kommt über einen Schulfreund in Kontakt mit der RAF. 1975 taucht er ab, 1976 trainiert er zusammen mit Boock den Umgang mit schweren Waffen in einem Ausbildungslager der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“. Im November 1977, zwei Wochen nach der Ermordung Schleyers, packt der RAF-Kurier Volker Speitel bei der Bundesanwaltschaft aus. Er offenbart den Ermittlern die RAF-Strukturen und die Zusammensetzung der Kommandos - auch die Tatbeteiligung von Wisniewski an der Entführung und Ermordung von Schleyer.

Im Mai 1978 wird Wisniewski auf dem Pariser Flughafen Orly festgenommen. In Untersuchungshaft wird er wiederholt rabiat, ein Ausbruchsversuch misslingt. Während des Strafprozesses in Düsseldorf drei Jahre später macht er seinem Spitznamen „Fury“ alle Ehre. „Das war ein Kämpfer“, erinnert sich der damalige Justizwachtmeister Wolfgang Schmitz und erzählt von den Handkantenschlägen gegen die Wand, mit denen er die Prozesspausen überbrückte. Wisniewski sei der Einzige gewesen, mit dem er nie ein Wort gewechselt habe - im Gegensatz zu anderen RAF-Angeklagten.

Wisniewski verteidigt bewaffneten Kampf

In seinem Schlusswort verteidigt Wisniewski den bewaffneten Kampf: „Die Gewalt ist das letzte und äußerste Mittel, aber verdammt notwendig.“ Als er 1995 erstmals einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung stellt, wagt sich der Vorsitzende Richter eines OLG-Strafsenats nur in Begleitung seiner Bodyguards in die Zelle, denn der Antragsteller hatte zuvor einen Haftrichter des Bundesgerichtshofs niedergeschlagen. Richter Wolfgang Steffen, der nach 17 Jahren Haft eine Freilassung auf Bewährung ablehnte, hat damals auch Wisniewski gefragt, wer Schleyer ermordet habe. Die Antwort: „Von mir erfahren Sie es nicht.“ Ebenso verweigert Boock in diesem Fall die Aussage, auch wenn er bei seinem TV-Auftritt behauptet: „Wenn ein Opfer etwas erfahren will von den Mordtaten, soll es sich an mich wenden.“

Seit seiner Haftentlassung 1999 lebt Stefan Wisniewski in Köln. Am Mittwochabend hat er mit seiner Anwältin Edith Lunnebach über den Anfangsverdacht im Fall Buback gesprochen: „Wir gehen davon aus, dass das Ermittlungsverfahren bald eingestellt wird,“ sagt Lunnebach. Nach dem TV-Auftritt von Boock kann sie sich sicher sein: „Mit diesem Zeugen ist kein Staat zu machen.“ Wisniewski befindet sich nicht auf der Flucht, steht schon längst nicht mehr unter Bewährung.

Die Hinweise, dass schon 1982 Verena Becker den Verfassungsschutz auf eine mögliche Tatbeteiligung Wisniewskis hingewiesen haben soll, ändern nichts daran. Becker sei, nach Angaben eines damals informierten Bundesanwalts, aufgrund „eines psychischen Tiefs“ unfähig gewesen, „Rede und Antwort“ zu stehen. Über eine konkrete Tatbeteiligung habe sie nichts aussagen können. Und Wisniewski sei damals schon zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt worden. Ein drittes „lebenslänglich“ wäre in der Gesamtstrafe ohnehin aufgegangen. Der Ex-Bundesanwalt bedauert, dass gegen die von konservativen Politikern beflügelte Hysterie um Hafterleichterungen und das Begnadigungsgesuch von Christian Klar ehemalige RAF-Terroristen mit so genannten Enthüllungen Verwirrung stiften können: „Unseligerweise gibt es für den Staat keine Gegenkontrolle.“

In einem ausführlichen Interview, das Wisniewski vor zehn Jahren noch in der Aachener Strafvollzugsanstalt der „taz“ gegeben hatte, lästerte er über Boock: „Ich habe keine Lust, die jeweils neueste Variante von Boock zu kommentieren. Während Boock wie ein Tanzbär durch die Talkshows tapst, haben andere, wie Brigitte Mohnhaupt, die in einem bayerischen Knast weggebunkert ist, keinerlei Möglichkeiten sich zu äußern.“

Inzwischen hatte auch Wisniewski diese Chance, zuletzt als Interview-Partner des Filmemachers Lutz Hachmeister für dessen Dokumentation „Schleyer - Eine deutsche Geschichte“. Die ARD, die den mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Film im August 2003 ausgestrahlt hatte, will die Doku demnächst abermals zeigen. Hachmeister: „Es war für beide Seiten nicht einfach.“

In dem Film rechtfertigt Wisniewski die Entführung und Ermordung Schleyers: „Wir wussten nicht alles über ihn, was wir heute wissen. Aber wir wussten genug, um zu handeln.“ Ob er noch 30 Jahre nach dem Verbrechen in seiner Verblendung befangen bleibt, weiß er nur allein.

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