1000-jähriger Geist in der Flasche

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Unter dem Maulbeerbaum der Abtei soll Gräfin Mathilde im Jahr 1024 geträumt haben. Jetzt schwitzen dort die Beerenpflücker.

Pulheim-Brauweiler - „Das ist ja Sklavenarbeit“, stöhnte Udo Molsberger. Der Direktor des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) suchte nach roten Beeren. Nicht an einem Himbeerstrauch. Sondern zwischen den Blättern eines verkrüppelt am Boden entlangwuchernden Baumes - einer „botanischen Rarität“. Mehr als 1000 Jahre wuchern die Blätter des Baumes schon und verstecken die Beeren.

Molsberger suchte gestern Maulbeeren im Garten der Abtei Brauweiler. Für einen Schnaps. Und weil die Beeren so schwer zu finden sind, wird daraus ein ganz besonderer Schnaps. „Mathildentraum“ soll der edle Brand heißen und vom nächsten Jahr an in den Museumshops des Landschaftsverbandes Rheinland über den Ladentisch gehen.

Der Beerenlieferant soll älter sein als die Urmauern des Klosters: „Mathilde lag unter diesem Baum und hatte einen Traum, eine Erscheinung, muss man sagen“, erzählte Molsberger. Mathilde war die Frau des Pfalzgrafen Ezzo - das Paar gründete nach der Maulbeerbaum-Erscheinung im Jahr 1024 die Abtei Brauweiler.

Heinz-Uwe Fetz will den Geist Mathildes in die Flasche bannen. Der Obstbrenner aus Dörscheid bei Kaub verschnapst schon länger Maulbeeren - er muss sie aber aus Tschechien oder Ungarn ins Rheinland karren. „Ich kenne sonst keinen Maulbeerbaum in Nordrhein-Westfalen“, sagt Fetz.

Wie ein Baum sieht es gar nicht aus, das grüne Dickicht im Garten der Abtei. Normalerweise werden Maulbeerbäume 25 bis 30 Meter hoch. In Brauweiler wachsen die Äste am Boden entlang und recken sich nur vier, fünf Meter hoch. „Vielleicht ist der Baum irgendwann umgestürzt, oder er hatte nicht genug Licht“, grübelt Heinz-Uwe Fetz. Ist er wirklich mehr als 1000 Jahre alt? „Das sieht man nicht“, sagt Fetz. „Auf jeden Fall ist er uralt“, stellte Molsberger fest.

„Wir wollen aufmerksam machen auf das Kulturgut der Abtei“, betonte Alfons Ackermann, der Verwaltungsratsvorsitzende der Rheinland-Verlag und Betriebsgesellschaft (RVBG), der „Kulturmanagerin“ des LVR. Aufmerksam machen soll der Mathildentraum. „Ein sehr exklusives Getränk“, attestiert Fetz, Und ein rares: Für vier Liter Alkohol braucht er 100 Kilo Beeren. Am Baum in Brauweiler kann er in tagelanger Klauberei 200 bis 300 Kilo pflücken. Zwischen Mai und Juni 2003 soll der Brand reif und in den Museumsshops des LVR und in der Abtei zu kaufen sein. Die wenigen 0,1-Liter-Fläschchen des ersten Jahrgangs werden mehr als 20 Euro kosten, schätzt RVBG-Geschäftsführer Christian Bügel.

Die frühere Benediktinerabtei Brauweiler ist seit 1988 Kulturzentrum des Landschaftsverbandes. Hier residieren zum Beispiel Denkmalpflege und Museumsamt. Der Maulbeerbaum steht unter Naturschutz. Er soll einen neuen Zaun bekommen, „der einem 1000-jährigen Baum angemessen ist“, verspricht Alfons Ackermann. Bislang schützt ein schnöder Maschendraht den Baum.

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