Als der Lehrer noch zum Rohrstock griff

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Lehrer Schmitz im Duisburger Schulmuseum

Lehrer Schmitz im Duisburger Schulmuseum

Nach einem Schultag sind die Kinder froh, dass heute vieles ganz anders ist.

Duisburg - Vierzig Augenpaare verfolgen Phillip Schmitz auf Schritt und Tritt. Die 20 Schüler einer Grundschule sitzen auf den harten Holzbänken des alten Lehrerhauses im Museumsdorf Duisburg-Friemersheim. Es riecht nach frischer Tinte. Der ehemalige Hauptschulleiter Phillip Schmitz reicht jedem Schüler ein Glas mit Federhaltern und teilt Zettel aus. Die Kinder schreiben in der „Schule wie früher“ zum ersten Mal ihren Namen mit Tinte.

Der „Freundeskreis Lebendige Grafschaft“ bietet Schulklassen bis zum fünften Schuljahr Nachhilfe in Geschichte an. Jeden Monat spielen ein oder zwei Schulklassen mit und nehmen Platz in einem Klassenraum der dreißiger Jahre. „Herr Lehrer“, wie Schmitz sich nennen lässt, fordert, in ganzen Sätzen zu sprechen. Bei Fehlern blickt er streng über den Brillenrand. Und dann greift er zum Rohrstock. Die Kinder quietschen vor Vergnügen, als er einen Mitschüler aus der Reihe hervorruft und zeigt, wie der Stock auf den Hintern sausen könnte. Vorher hat Schmitz ihnen erzählt, dass die Schule früher ein Ort der Angst war. Er selbst erinnert sich nicht gerne daran. „Wusste ich nicht schnell genug, wie viel vier mal neun ist, hatte ich schon eine Backpfeife sitzen“, erzählt er. Die Lehrerinnen, unverheiratet, „Blaustrumpf“ genannt, standen ihren männlichen Kollegen da nicht nach.

Dennoch sei selten ein Schultag ohne Streiche vergangen. Die langen Zöpfe der Mädchen reizten die Fantasie der Schüler in der Bank dahinter. Mit der Schleife tauchten sie den Zopf in das Tintenfass vor sich. „Die Schweinerei war jedes Mal unvorstellbar, Haare, Blusen, Tische, alles blau“, erzählt Schmitz. Meist wurden vorsorglich beide Banknachbarn hinter dem Opfer des Streichs bestraft.

Bis 1958 wurden in Friemersheim in einer Volksschule zwei Klassen unterrichtet. Um 1800 hatten die reichen Bauern aus der Umgebung die Schule gebaut, und ein Küster unterrichtete im Winter die Kinder. Im Sommer fiel der Unterricht wegen Feldarbeit aus. Als das Lehrerhaus 1973 vor dem Abriss stand, engagierten sich neben dem Freundeskreis die evangelische Kirche und die Stadt Duisburg für den Erhalt. Seit 1983 steht das alte Lehrerhaus Besuchern offen. Das Klassenzimmer der alten Schule wird im Jahr von über vierhundert Brautpaaren aus ganz Deutschland für standesamtliche Trauungen genutzt.

Auf die Frage, ob sie in der „Schule wie früher“ lernen wollen, antworten die Kinder einstimmig mit einem „Nein“. „Dass ich geschlagen werde, wenn ich was nicht weiß, verstehe ich nicht“, sagt der achtjährige Arne. Gül, die ihr erstes Schuljahr in der Türkei verbracht hat, erzählt, dass sie einmal zur Strafe eine ganze Stunde auf einem Bein stehen musste. Ihre Mitschülerin Sonja findet es anstrengend, den ganzen Morgen lang gerade zu sitzen. „Unsere Schule macht doch manchmal sogar Spaß“, sagt Michael schließlich. (dpa)

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