17.6.2004: Vierzig Minuten vor dem Anschlag gefilmt

Lesezeit 3 Minuten

Der mutmaßliche Bombenleger hat seinen ersten Fehler gemacht. Eine Überwachungskamera hat ihn vor der Tat gefilmt.

Routinearbeit hat der Mordkommission „Sprengstoff“ einen ersten Ermittlungserfolg beschert. Auf der Suche nach dem Bombenleger von der Mülheimer Keupstraße meldeten sich am Dienstag Ermittler beim TV-Musiksender Viva in Mülheim an. Die Beamten erkundigten sich nach Videoaufnahmen aus der Überwachungskamera an der Schanzenstraße, die nicht weit vom Explosionsort entfernt den gesamten Eingangsbereich und den Bürgersteig vor dem Fernsehgebäude abschwenkt. Die Todesermittlerhatten Glück. Die Durchsicht der digitalen Bildsequenzen vom Nachmittag des 9. Juni zeigten einen jungen Mann, der etwa 40 Minuten vor dem Anschlag gemächlich sein silbergraues Fahrrad in Richtung Keupstraße schiebt.

Umgehend erwirkte die Staatsanwaltschaft einen Gerichtsbeschluss, der eine Öffentlichkeitsfahndung mit Hilfe der Aufnahmen erlaubt. Eine Woche nach dem Anschlag, bei dem 22 Menschen in der überwiegend von Türken bewohnten Einkaufsstraße verletzt wurden, sind die Fotos an die Medien übermittelt worden. Nach Ansicht von Oberstaatsanwalt Rainer Wolf zeigen die Aufnahmen jenes Rad, das völlig zerstört am Tatort gefunden worden war. „Es ist davon auszugehen, dass der Mann auf den Fotos der Täter ist.“

Die Baseballkappe hat sich der etwa 25 bis 30 Jahre alte Unbekannte tief ins Gesicht geschoben, so dass sein Gesicht nur schemenhaft zu erkennen ist. Ein Augenzeuge hatte ausgesagt, dass der Verdächtige blond gewesen sei. Auf dem Gepäckträger ist ein Hartschalenkoffer erkennbar. Den Ermittlungen zufolge war in dem Top-Case der mit zehn Zentimeter langen Nägeln gespickte Sprengsatz deponiert. Auf der rechten Seite hängt eine Gepäcktasche. Möglicherweise hat der Mann dort die Modellbaufernsteuerung hineingepackt, mit der er die Bombe zündete.

Der Verdächtige trägt ein T-Shirt, Sportschuhe und eine lange, eng anliegende Hose. Vermutlich handele es sich um eine Rad- oder Jogginghose, sagte Polizeisprecher Wolfgang Beus. Die Ermittler bitten alle Zeugen, die den Mann gesehen haben oder auf den Bildern erkennen, sich unter der Telefonnummer 02 21 / 2 29-0 bei der Polizei zu melden. Die kurze Filmsequenz könne auch auf der behördeneigenen Homepage ( www.polizei-koeln.de ) abgerufen werden. Für Hinweise, die zur Ergreifung des oder der Täter führen, hat die Staatsanwaltschaft eine Belohnung von bis zu 20 000 Euro ausgesetzt.

Trotz des Ermittlungserfolges tappen Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Motivfrage weiterhin im Dunkeln. Die Untersuchungen des Landeskriminalamtes in Düsseldorf ergaben, dass der Täter eine drei Kilogramm schwere Gasflasche mit Schwarzpulver gefüllt und den Eigenbau nebst Nägeln in dem Kunststoff-Koffer untergebracht hatte. Durch die Wucht der Explosion flogen die Nägel Geschossen gleich bis zu hundert Meter weit und richteten bei Passanten schlimme Verletzungen an. „Die Vernehmungen haben nichts Wesentliches ergeben“, sagte Wolf. Unter den 60 Hinweisgebern sei auch eine Wahrsagerin, die ihre Hilfe bei den Ermittlungen angeboten habe. „Darauf haben wir aber dankend verzichtet“, sagte der Chef der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft.

KStA abonnieren