Interview„Wir haben eine Gotteskrise“

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Jugendpfarrer Mike Kolb.

Jugendpfarrer Mike Kolb.

Leverkusen – Ein neuer Papst beehrt seit ein paar Monaten die katholische Kirche. Ein Papst, der andere Zeichen setzt als sein Vorgänger Papst Benedikt XVI. Er besucht jugendliche Gefangene und wäscht ihnen die Füße. Anstatt in einer dicken Limousine lässt er sich beim Weltjugendtag in Rio in einem bescheidenen Fiat durch die Gegend fahren. Er begeistert auch viele Jugendliche. Schafft er es vielleicht, die Kirche für die Jugend attraktiver zu machen? Muss Kirche überhaupt reformiert werden? Und wie sieht die Zukunft der Kirche aus? Antworten gibt Mike Kolb, der Jugendpfarrer in Altenberg ist.

Weshalb wollten Sie Priester werden und in welchem Alter haben Sie sich dafür entschieden?

Mike Kolb: Ich bin Priester geworden, weil ich mich in der Kirche wohlgefühlt habe, weil ich immer schon ein Interesse an den Menschen habe und den Menschen sehr umfassend sehe. Ich sehe ihn nicht nur in seinen Leistungen oder seiner Altersphase, sondern – was uns Menschen gemein ist – auch in seiner Sehnsucht. Seiner Suche nach Sinn, nach Erfüllung und nach Halt. Außerdem habe ich persönlich erfahren, dass die Antwort der Kirche auf die Suche der Menschen eine tragende Antwort sein kann und war davon überzeugt, dass, sich in diesen Dienst zu stellen, für mich eine erfüllende Lebensperspektive sei. Deswegen bin ich Priester geworden. Ich habe mich dazu aber relativ spät entschieden; ich hatte in der Oberstufe noch eine Freundin und bin dann aber so mit 17,18 in diese Überlegung eingetreten und habe angefangen, Theologie zu studieren.

Sie haben gesagt, Sie hätten sich in der Kirche immer schon wohlgefühlt. Das heißt, sie wurden christlich erzogen?

Kolb: Ich bin in dem aufgewachsen, was man heute als „heile Welt“ bezeichnen würde. Mein Vater ist katholisch, meine Mutter ist katholisch und beide sind von sehr frommen Eltern erzogen worden; sie haben auch kirchlich geheiratet und drei Söhne bekommen, von denen ich der jüngste bin. Meine Brüder und ich waren Messdiener und bei uns bildeten gesellschaftliches und kirchliches Leben eine gesunde Verwobenheit. Das war früher normal. Dass man an den Hochfesten mit der Kirche lebte, das war eine völlig normale Welt. In dieser Welt bin ich groß geworden und habe auch Klavier und Orgel gelernt um als Jugendlicher als Orgelspieler etwas Geld zu verdienen. Nachher war ich außerdem im Jugendausschuss im Pfarrgemeinderat und so war das kirchliche Leben von Anfang an ein Teil meiner selbst.

In der Oberstufe hatten Sie noch eine Freundin und haben sich dann so in meinem Alter für das Priester-Dasein entschieden. Hat man in diesem Alter nicht noch andere Ideen oder Interessen? Beispielsweise der Zölibat hindert sie daran, eine Familie zu gründen. Haben Sie sich nie danach gesehnt, eine Familie zu gründen und den Zölibat als Hürde angesehen?

Kolb: Natürlich war es immer eine Hürde oder besser gesagt eine Herausforderung. Aber ich wollte zuerst Priester werden und habe damals – aus dieser heilen Welt kommend, vielleicht auch ein bisschen naiv – gedacht „Wenn du Priester wirst, dann wird das andere schon gut lebbar sein“. Natürlich habe ich auch über Alternativen nachgedacht. Ein anderer Beruf für mich wäre zum Beispiel der des Lehrers gewesen. Psychologie zu studieren hätte mich auch interessiert. Ich habe natürlich auch darüber nachgedacht, zu heiraten, aber ich war damals etwas schüchtern und durch meine Entscheidung für das Priester-Dasein hatte ich eine sichere Perspektive, aber darum ging es nicht in erster Linie. Heute begleite ich viele junge Menschen, die mit dem Gedanken spielen, Priester zu werden. Ich erlebe heute, dass diese Menschen fragen und suchen, Entscheidungsprozesse anstoßen. Dabei merke ich aber, dass es heute viel komplizierter geworden ist. Zur Zeit begleite ich einen jungen Mann, der sich seit Jahren mit dieser Frage beschäftigt. Mittlerweile bedränge ich ihn fast, weil er endlich eine Entscheidung treffen muss. Er wird nie eine absolute Sicherheit haben, ob das was er tut die richtige Entscheidung ist. Die wird er aber auch nicht haben, wenn er heiraten würde. Menschen müssen während ihres gesamten Lebens Entscheidungen treffen und die auch ein ganzes Leben lang tragen.

Viele Jugendliche heutzutage stehen nicht hinter der Institution „Kirche“ und glauben häufig nicht an einen Gott, auch wenn sie getauft sind. Können Sie nachvollziehen, wenn Kirche für viele Jugendliche eher etwas Abstraktes ist, mit dem sie nicht viel anfangen können?

Kolb: Das kann ich absolut nachvollziehen. Und ich glaube, das hat eine tiefe Ursache. Kirche gibt es nur, weil wir glauben, dass es Gott gibt. Kirche hat nur einen Sinn, nämlich den Gott bekanntzumachen. Wenn sie diesen Sinn nicht erfüllt, weil sie um sich selber kreist oder weil ihre Dienerinnen und Diener in einer Weise handeln, die den Sinn verdunkelt – denken sie an die Missbrauchsfälle – dann wird den Leuten auch nicht verständlich, warum Kirche Sinn macht. Wir reden heute ganz oft von einer Glaubenskrise, aber ich glaube, dass es einen anderen Grund gibt, warum Kirche nicht verstanden wird.

Nämlich welchen?

Kolb: Wir haben meiner Meinung nach eine Gotteskrise, was bedeutet, dass viele Menschen die behaupten zu glauben, faktisch gar nicht mehr an den Gott der Bibel glauben können. Und das meine ich nicht im Sinne eines moralischen Vorwurfes, sondern als nüchterne Feststellung. Dass es einen Gott gibt, der mit meinem Leben zu tun hat; das zu glauben ist für viele Jugendliche heute eine wahnsinnige Herausforderung. Das heißt man rechnet kaum noch mit Gott. Und ich glaube, dass dies auch tief verwurzelt ist bei den Leuten, die jeden Sonntag in die Kirche gehen. Ich meine, dieses faktische Rechnen mit Gott, dass er mit meinem Leben zu tun hat, das ist bei den meisten Menschen nicht mehr vorhanden. Deshalb wird das, was Kirche äußert für immer mehr Menschen zu einer fremden Welt. Aber ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass die Kirche nicht modern genug ist oder nicht mit der Zeit geht, was ja viele Menschen glauben. Der Punkt ist, dass man nicht mehr daran glaubt, dass Gott in meinem Leben präsent ist. Es gibt viele Dinge, die mir einleuchten und die ich glauben kann, weil sie präsent sind. Mein Smartphone ist präsent und es eröffnet mir per Fingerberührung die ganze Welt. Mein Computer ist präsent. Ich kann von jetzt auf gleich in Kommunikation treten mit beliebig vielen Menschen, und die mit mir. Das beschäftigt mich, das bestimmt mich und das eröffnet mir Möglichkeiten, die ich wählen kann oder auf die ich reagieren muss. Und da ist für einen Gott, den ich nicht sehe und nicht fühle kein Platz. In meinen Augen ist die bewusste Entscheidung für Gott die Herausforderung unserer Zeit.

Für Sie ist klar: Es gibt Kirche, weil es Gott gibt. Bedeutet dies, dass Sie keine andere Schlussfolgerung zulassen?

Kolb: Es ist logisch. Die Institution „Kirche“ beruft sich darauf, dass sie nur Sinn macht, wenn es Gott gibt. Würde es Gott nicht geben, würde Kirche keinen Sinn machen. Oder die Kirche ist einem riesigen Irrtum aufgesessen. Das glaube ich allerdings nicht. Sonst würde mein Beruf auch keinen Sinn machen. Es gibt Priester, Ordensleute, christliche Altenheime. In der Liturgie gibt es eine Orgel, Weihrauch, Kerzen, Gewänder. Das wäre ja alles eine gigantische Show, die in sich total hohl wäre, wenn nicht geglaubt würde, dass diese ganzen Vollzüge mit Gott zu tun haben. Die Kirche kann nur aus dem Selbstverständnis leben, dass es Gott gibt. Ob ich das selber glaube oder ob andere das glauben, das steht ja auf einem anderen Blatt.

Sie halten nichts davon, dass die Kirche reformiert beziehungsweise modernisiert wird. Was meinen Sie denn muss passieren, damit Kirche für einen Großteil der Jugendlichen wieder attraktiver wird?

Kolb: Es gibt in der Kirche schon großen Reformbedarf, aber dieser Reformbedarf hat nicht das Ziel, dass wir attraktiver werden, sondern dass wir glaubhafter werden. Das Stichwort heute ist Authentizität und daran mangelt es in der Kirche. Ich erlebe, dass junge Menschen in die Kirche kommen, wenn sie eine Gemeinschaft erleben, die sie trägt und wenn sie Menschen kennenlernen, die glauben und die würdig sind ihnen zu glauben. Ich wäre nicht Priester geworden, wenn ich nicht selber Priester erlebt hätte, die glaubwürdig waren.

Sie haben eben Papst Franziskus angesprochen. Auf dem Weltjugendtag in Rio konnte er viele Jugendliche begeistern. Finden Sie, dass er bezüglich der Jugend den richtigen Weg geht?

Kolb: Ich bin da eher zurückhaltend. Ich finde, so wie er ist und wie er es macht ist er gut und überzeugend. Und er berührt die Menschen durch ganz einfache Gesten. Er verkörpert etwas von der Güte Gottes durch seine Gesten, was einfach berührend ist. Das finde ich erst einmal gut. Es ist jetzt aber noch zu früh zu sagen, ob er den richtigen Weg mit Kirche geht, weil man noch nicht viele Äußerungen von ihm kennt.

Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche, bezüglich der vielen Kirchenaustritte in den letzten Jahren und der massiven Ablehnung gegenüber der Kirche bei vielen Jugendliche und jungen Erwachsenen?

Kolb: Ich würde zwei Maßstäbe setzen. Zum einen glaube ich, dass die Kirche kleiner und ärmer wird und dass sich die Gemeinden verändern werden. Wir werden nicht mehr in jedem Dorf und jedem Stadtteil präsent sein. Andererseits: Wenn man die Geschichte der Kirche betrachtet, ist die Kirche gefühlte zig Mal vor die Hunde gegangen, aber es war immer der Hund der starb, nicht die Kirche. Und aus diesen Niedergängen sind ganz überraschende Blüten gewachsen. Da wo Menschenmaß versagt hat – denn nach Menschenmaß wäre die Reise zu Ende gewesen – hat Gottes Wirken eingesetzt. An das Wirken Gottes glaube ich auch für die Zukunft der Kirche und so bleibt als endgültige Antwort nur zu sagen, dass man es nicht vorher sagen kann.

Das Gespräch führte Anna Stephan-Odenthal

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