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Erinnerung ans Unglück in EuskirchenRisse im Handy erinnern an die Explosion einer Luftmine

Lesezeit 4 Minuten

Euskirchen – Es sind Risse im Display seines Handys. Reparieren lassen will es Peter Wirtz-Gericke diese nicht. Bis zum heutigen Tag erinnert ihn sein Mobiltelefon an jene Stunden, die sein Leben nachhaltig verändert haben. An diesem Freitag, dem ersten im Januar 2014, explodierte gegen 13.30 Uhr in Euskirchen eine mit 1,3 Tonnen Sprengstoff gefüllte britische Luftmine.

Nur wenige Meter entfernt vom Gelände der ehemaligen Westdeutschen Steinzeugwerke, auf dem zum Unglückszeitpunkt Bauschutt zerkleinert wurde, lud Wirtz-Gericke Metallschrott von einem Anhänger. „Die Wucht der Druckwelle war so stark, dass ich in den Hänger geschleudert wurde“, erinnert sich der 36-jährige Eifeler: „Ich habe zuerst gedacht, dass mich einer aus Spaß geschubst hat.“

Starke Druckwelle

An eine Bombenexplosion habe er in diesem Moment noch nicht gedacht. „Ich dachte, dass vielleicht ein Reifen in der Nähe geplatzt ist, aber dafür war der Knall dann doch zu laut und vor allem könnte der nicht eine solche Druckwelle erzeugen“, so der gelernte Programmierer, der damals selbstständig war.

Sein Handy, das in der Mittelkonsole des Autos lag, flog in Folge der Druckwelle durch die geschlossene Fensterscheibe. Aufgehoben habe er es dann erst Stunden später. Er habe einfach nicht dran gedacht, da auch sehr schnell die ersten Rettungswagen die Alfred-Nobel-Straße erreichten und sich sofort um die Verletzten kümmerten.

Weil Wirtz-Gericke sein Handy aber nicht bei sich hatte, durchlebte seine Frau Alexandra zu Hause die Hölle. Denn aus den Nachrichten hatte diese erfahren, dass in Euskirchen ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg explodiert war. Mehrfach versuchte die Polizistin daraufhin, ihren Mann zu erreichen – erfolglos. Der 36-Jährige wurde gemeinsam mit seinem Schwiegervater und Schwager in einem Rettungswagen versorgt. Erst nach zwei Stunden hatte sie ihren Mann endlich an der Strippe. Dieser reagierte dann – den Umständen geschuldet – irrational. „Ich habe sie auch noch blöd angemacht, warum sie so einen Stress mache. Mir ging es ja gut. Das tut mir heute noch leid“, sagt Wirtz-Gericke.

Auch für ihn hätte die Explosion noch für schlimmere Folgen haben können. „Knapp drei Minuten, bevor die Explosion mich in den Hänger geschleudert hat, stand ich praktisch direkt neben dem Bagger, der den Schutt verkleinerte.“ Wirtz-Gericke hatte an diesem Tag zunächst sein Auto samt Hänger bei einem Altmetallhändler geparkt, wurde dann aber von seinem Schwiegervater gebeten, dessen Lkw zur sogenannten Brechstraße auf das Gelände der ehemaligen Steinzeugwerke zu fahren. „Er brauchte ein paar Tonnen Schotter“, erinnert sich der Familienvater.

Während der Lkw beladen wurde, stand Wirtz-Gericke neben dem großen Bagger, der die Schuttmassen brach, damit diese in noch kleinere Stücke zerkleinert werden konnten. „Mir fiel direkt der große Brocken auf, an dem der Baggerfahrer sich gerade versuchte. Er war so gewaltig, dass er gar nicht in einem Stück in die Zange des Baggers passte. Er erinnerte an einen Warmwasserspeicher, der mit Beton umgossen ist“, so Wirtz-Gericke.

Während das schwere Baugerät den großen Klotz Stück für Stück verkleinerte, war der Lkw fertig befüllt und der Olefer fuhr diesen wieder in Richtung Alfred-Nobel-Straße. Er stieg aus dem Lkw aus und stellte sich wieder an seinen Hänger. In diesem Moment explodierte die Luftmine.

Auf seinem Weg zum Rettungswagen begegneten Wirtz-Gericke zwei Arbeiter, die er kurz zuvor noch auf dem Schuttplatz gesehen hatte. Einer der beiden habe sich auf einen Findling unweit des Schuttplatzes gesetzt.

Stahlstreben

Dass sie die Detonation überlebt hatten, war wohl einem glücklichen Umstand zu verdanken. „Sie standen im Moment der Explosion in der Schaufel eines Radladers und flexten an Stahlstreben, die in einem Betonblock verarbeitet worden waren. Die hatten die Brechanlage zum Stillstand gebracht. Das passiert nicht oft, aber in dem Moment war es so“, sagt der 36-Jährige: „Die Schaufel muss einiges von der Druckwelle abgehalten haben.“

Auch die großen Schenker- Hallen und der meterhohe Schutthaufen dürften die Druckwelle in Richtung Bahnhof und Innenstadt vermindert haben. Trotzdem wurden über 200 Häuser beschädigt.

Der Knall war mehr als ohrenbetäubend. „Auf meinem linken Ohr höre ich nur noch zu 50 Prozent. Körperlich ist das aber der einzige Schaden, den ich genommen habe. Ich hatte unglaubliches Glück“, so Wirtz-Gericke.

Über den Tag des Unglücks spreche er nicht oft. Wenn, dann sei es sein elfjähriger Sohn Adrian, der hin und wieder etwas über das Unglück sage oder erhöhten Kuschelbedarf habe. „Dann wird mir wieder bewusst, was das für ein heftiger Tag war“, sagt der Programmierer.

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