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Silvester 2016Eine Nacht zwischen Traumwelt und Polizeieinsatz am Kölner Hauptbahnhof

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Blick auf dem Vorplatz des Doms in der Kölner Silvesternacht

Köln – Zwischen Traumwelt und Polizeiaufmarsch liegt in der Kölner Silvesternacht 2016 nur der Weg vom Dom bis zum Bahnhofsvorplatz. Als gegen 17 Uhr die Dunkelheit über die Stadt hereinbricht, bedeckt die Lichtinstallation des Berliner Künstlers Philipp Geist die westliche Domplatte und den Roncalliplatz. Ein Wortteppich, den die Kölner mit ihren Einsendungen gestrickt haben, liegt aus. 50.000 Menschen werden ihn im Laufe der Silvesternacht beschreiten. Mit Kreide zeichnen die Besucher Wörter nach: „Zuversicht“, „Respekt“, „Miteinander“, „Alaaf“. Im Hintergrund sanfte Technoklänge. Ein Raum für Fantasie im Herzen der Stadt.

Es ist bitterkalt, doch die gelungene Inszenierung lässt die Besucher den schneidenden Wind vergessen. Polizeipräsident Jürgen Mathies und Oberbürgermeisterin Henriette Reker schauen sich die Lichtinstallation schon früh am Abend an. „Vertrauen“ und „Sicherheit“ sind zwei Wörter, die Mathies auffallen.

Verstärkte Kontrollen ab 18.30 Uhr

Gegen 18.30 Uhr kontrollieren seine Beamten verstärkt junge Männer und Jugendliche auf der Domplatte und vor dem Hauptbahnhof, die offensichtlich nordafrikanischer Herkunft sind. Sie stehen in kleinen Gruppen in der Bahnhofshalle, einige wirken fast eingeschüchtert angesichts des großen Polizeiaufgebots.

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Noch ist die Lage im Hauptbahnhof entspannt. Auf dem Bahnhofsvorplatz führt die Polizei sechs Mitglieder der rechtsgerichteten „Identitären Bewegung“ zu einer Befragung ab. Sie erhalten Platzverweise.

Drei Stunden später – es ist genau 21.20 Uhr – erinnert die Szenerie am Hauptbahnhof plötzlich doch an das vergangene Jahr. In Gruppen wollen viele der jungen Männer aus der Halle auf den Bahnhofsvorplatz, doch die Polizei unterbindet das. Einsatzkräfte bilden einen Halbkreis am Ausgang, kesseln Menschen ein, über die ein Polizeisprecher später sagen wird, sie passten „in das Raster derer, die im vergangenen Jahr Probleme gemacht haben“. Sie werden in Kleingruppen abgeführt und kontrolliert. Über Dom und Hauptbahnhof kreist ein Polizei-Hubschrauber.

Pressekonferenz nach dem Jahreswechsel

Die Fakten: Es gab zehn sexuelle Übergriffe, „leichte“, wie die Polizei bei ihrer Bilanz-Pressekonferenz zwei Stunden nach dem Jahreswechsel mitteilte. Das ist gängiger Sprachgebrauch, wenn es um Grabschen oder Vergleichbares geht. Es kam zu keinen Vergewaltigungen. 92 Personen wurden in Gewahrsam, 27 vorläufig festgenommen. Die Beamten überprüften die Personalien von 650 Menschen, 1080 Platzverweise wurden erteilt. „Zur Verhinderung von Straftaten“, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag.

Trotz dieser beruhigenden Zahlen liefert Silvester eine Menge Diskussionsstoff. Das liegt an dem Kontrast zwischen der besonderen Stimmung durch die Lichtinstallation und den Personenkontrollen, die am Hauptbahnhof fast ausnahmslos Menschen trafen, die zu der Gruppe gehören, die die Polizei als „Nafris“ bezeichnet.

Noch während die Personenkontrollen vor dem Hauptbahnhof laufen, beantwortet ein Polizeisprecher die Fragen der Journalisten. Die Gruppe sei gemeinsam aus Düsseldorf angereist, sagt er, die Identität der Männer werde nun festgestellt. Wurden von Personen der Gruppe Straftaten begangen? „Nein, keine“, lautet seine knappe Antwort.

Am Ausgang zum Breslauer Platz das gleiche Bild. Bundespolizisten beobachten alle Personen, die den Bahnhof verlassen wollen. Wer auch nur annähernd nordafrikanisch aussieht und in das Verdachtsraster passt, wird angesprochen und überprüft. Polizeipräsident Jürgen Mathies rechtfertigt die Kontrollen damit, dass sich „Verdachtsmomente“ gegen diese Gruppe ergeben hätten.

Am Samstagabend werden diese nicht konkretisiert. Die Polizei spricht stattdessen immer wieder von einem „kritischen Klientel“. Am Deutzer Bahnhof wird ein Zug gestoppt, 300 Personen müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Inzwischen sind 200 zusätzliche Kräfte angefordert, rund 1700 Polizisten in der Innenstadt unterwegs.

„Sonst hätten die Kontrollen am Hauptbahnhof viel länger gedauert“, sagt Polizeipräsident Mathies. Das massenhafte Auftreten der Nordafrikaner wirft die Frage auf, warum sie nach den Geschehnissen des vergangenen Jahres auch dieses Mal wieder nach Köln gereist sind. Wussten sie nicht, dass sie unter besonderer Beobachtung stehen werden? Die Menschen auf dem Roncalliplatz kriegen von all dem nichts mit. Dort singt ab 22.30 Uhr der Chor „Gospelcologne“.

„Lasst uns den Kölner Dom in dieser Silvesternacht musikalisch zum Leuchten bringen“, ruft eine der Sängerinnen der Besuchern zu. Knapp 2000 Zuhörer stehen vor der Bühne und singen mit bei Gospel, Funk und besinnlichen Stücken. „Das ist ein bisschen wie die Ruhe vor dem Sturm um Mitternacht“, fasst eine Besucherin die Stimmung zusammen. Beim Finale mit Michael Jacksons „We are the World“ herrscht eine Art kollektive Besinnlichkeit. Die Künstler rufen dazu auf, „ein Zeichen zu setzen für ein friedliches und weltoffenes Miteinander“.

Unterdessen heizt sich die Stimmung vor dem Hauptportal des Doms in der letzten Dreiviertelstunde vor dem Jahreswechsel zunehmend auf. Immer häufiger fliegen Raketen und Knaller von außerhalb in die abgesperrte böllerfreie Zone zwischen Hauptbahnhof und Römisch-Germanischem Museum. Unter den Besuchern ist Unruhe spürbar, Anspannung bei den Sicherheitskräften. Es kommt zu einzelnen Einsätzen des Rettungsdienstes, schließlich verlegt auch die Polizei Kräfte hierher, um die Kontrolle über die Situation nicht zu verlieren.

50 000 Besucher

225 Kilogramm Feuerwerk stellte das Kontrollpersonal an den Einlässen zu den Schutzzonen sicher.

Mehr als 600 Ordnungskräfte und 460 Feuerwehrmänner sorgten für Sicherheit.

Keine einzige Frau besuchte das speziell für Mädchen und Frauen eingerichtet mobile Beratungsangebot am Alter Markt.

50 000 Besucher spazierten durch die böllerfreie Zone rund um den Dom, um sich die Lichtinstallation anzuschauen. (sbs)

Obwohl parallel immer mehr Menschen vom Bahnhof aus auf die Domplatte strömen, bleibt es bis auf wenige Ausnahmen friedlich. Dann stimmt die Masse den Countdown an, Hunderte Handykameras richten sich in Erwartung des Feuerwerks in den Nachthimmel über Köln. Der „Dicke Pitter“ läutet das neue Jahr ein, begleitet jedes „Frohes neues Jahr“ und übertönt mitunter sogar die Böller und Raketen.

Eine halbe Stunde später leeren sich Domplatte und Roncalliplatz sehr schnell. Das ist auch der Költe geschuldet. Polizei und Ordnungskräften lassen weiterhin keinen Zweifel aufkommen, dass es in dieser Silvesternacht zu keinerlei Zwischenfällen kommen wird. Noch immer werden vereinzelte Nordafrikaner am Hauptbahnhof kontrolliert.Innerhalb der Schutzzone um den Dom befinden sich schon um kurz nach ein Uhr nur noch vereinzelte Personengruppen.

Auch in der Innenstadt verlassen die Menschen schnell die Plätze und das Rheinufer. Viele von ihnen feiern in den umliegenden Bars und Kneipen weiter . Zurück bleibt eine Menge Arbeit für die Abfallwirtschaftsbetriebe. In diesem Moment des Neujahrsmorgens 2017 wirkt das Geschehen wie eine ganz normale Silvesternacht.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker sagt später den Journalisten: „Wir haben die Sicherheitslage gut und richtig eingeschätzt.“ Der Führungsstab der Polizei schließt sich dieser positiven Einschätzung an.

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