Wintervögel in Rhein-BergZählung bestätigt deutlichen Rückgang der Meisen

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Eine Haubenmeise

Eine Haubenmeise

Rhein-Berg – Wo sind die Meisen hin? Die „Stunde der Wintervögel“, die bundesweite Zählaktion des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), an der sich auch im Rheinisch-Bergischen Kreis vor einer guten Woche 424 Vogelfreunde beteiligten, bestätigte, dass die Gerüchte über das Verschwinden vieler typischer Futterhausgäste nicht aus der Luft gegriffen sind. Am auffälligsten ist der Rückgang der Kohlmeise, die 2016 in Rhein-Berg noch der am häufigsten beobachtete Vogel war und in 95 Prozent aller Gärten gesichtet wurde. 2017 ist sie auf Platz drei abgerutscht.

Vom Schwinden der Kleinvögel betroffen sind alle Meisenarten – Blaumeise, Kohlmeise, Schwanzmeise, Tannenmeise, Sumpfmeise, Weidenmeise und am stärksten die Haubenmeise –, aber auch der Kleiber, der Stieglitz und der Buntspecht. Die bunte Bande ist dezimiert, die normalerweise in der Winterzeit von einem Futterhäuschen zum anderen zieht, an den Fettknödeln baumelt und das Herz des Futterspenders hinterm Fenster höher schlagen lässt.

Schwund mit Ost-West-Gefälle

Vogelfreund Reinhold Kappenstein aus Odenthal, der sich zu den Ganzjahres-Fütterern zählt, hat schon im Oktober bemerkt, dass was nicht stimmt: „Eine Flasche mit Sonnenblumenkernen, die sonst in drei Tagen leer ist, hängt jetzt schon seit drei Monaten da und ist noch halbvoll.“ Zuerst führte er die schlappe Nachfrage darauf zurück, dass die gefiederten Zehrgäste zu verwöhnt seien: „Ich hatte Bucheckern drunter gemischt und als das verschmäht wurde, habe ich gedacht, dass ist denen vielleicht zu profan.“

Doch dann blieb auch der absolute Futter-Hit liegen: gestampfte Walnüsse. „Sonst sind sie wie verrückt dahinter her. Ich habe auch Erdnüsse gegeben, die sind ebenfalls sehr begehrt.“ Auch andere Bekannte aus der Ganzjahres-Fütter-Szene – etwa aus Voiswinkel – meldeten gähnende Leere an den Futterstellen. Die Spannung war also groß vor der „Stunde der Wintervögel“, ob die Zählaktion das gefühlte Vogelschwinden bestätigen würde. In absoluten Zahlen wirkt der Einbruch nicht so groß. Vor einem Jahr wurden 852 Exemplare der leicht erkennbaren Kohlmeise beobachtet, in diesem Jahr waren es 745. Das hört sich nicht nach Katastrophe an. Doch 2016 hatten nur 246 Beobachter Listen in 176 bergischen Gärten geführt, 2017 lagen hingegen 424 Vogelfreunde in 301 Gärten auf der Lauer. Damit sackt die Zahl der Kohlmeisen von knapp fünf (4,84) auf nur noch zweieinhalb (2,48) Tiere pro Garten: Ein Absturz um 49 Prozent. Dieser Trend bestätigt sich landesweit (minus 45 Prozent) und bundesweit (minus 35 Prozent).

Zugleich zeigt der Vergleich ein Ost-West-Gefälle des Vogelschwundes auf: An der Oder ist die Welt noch in Ordnung, am Rhein ist der stärkste Rückgang zu verzeichnen. Das ließ den Naturschutzverein Nabu schon auf seiner Internetseite in einer Zwischenbilanz titeln: „Kamen die russischen Kohlmeisen nur bis Brandenburg?“

Rückgang nur bei den Meisen?

In der Tat machen seine Flügel diesen Vogel zu einem schwer zählbaren Wesen: Die hiesigen Wintermeisen sind nämlich nicht unbedingt dieselben wie unsere Sommermeisen. Da die Kohlmeise aus klimatischen härteren Gebieten im Osten des Kontinentes nach Westen zieht, wenn Väterchen Frost in Russland einmarschiert, ist die Meisenpopulation im Westen darauf eingestellt, Richtung Frankreich auszuweichen, um einer übermäßigen Konkurrenz aus dem Wege zu gehen.

Aber sollte gleich ganz Deutschland durch unabgestimmtes Zugverhalten zur meisenfreien Zone werden? Vogelexperte Thomas Stumpf aus Rösrath hat außerdem bei den sonstigen Wintergästen, etwa Bergfinken, keinerlei auffällige Rückgänge festgestellt. Seine Erklärung für das Fehlen der Meisen: „Der Aufzuchterfolg im Frühjahr war zu gering. Es gab zu wenig Raupen.“ Meisen brauchen Lebendnahrung für die Aufzucht ihrer Jungen. Dabei sind vor allem die in den Kronen der Waldbäume massenhaft vorkommenden Spannerraupen für die Tiere wichtig. „Da war in diesem Jahr Fehlanzeige“, hat Biologe Stumpf in Königsforst und Wahner Heide festgestellt. „Es gab kaum Raupen, die sich abgeseilt haben, kaum angefressene Blätter.“

Kappenstein, der auch Vogelbestimmungstouren für den Verein „Landschaft und Geschichte“ führt, ist von der These „schlechter Bruterfolg“ nicht überzeugt. „Ich habe auch 20 Nistkästen, und die waren alle besetzt. Es lagen auch nicht ungewöhnlich viele tote Jungvögel unter den Kästen.“ Er tippt dagegen auf das Usutu-Virus, der bei Vögeln ausgesprochen aggressiv wirkt und für mehrere Wellen des „Amselsterbens“ verantwortlich gemacht wird, zuletzt im Herbst 2016.

Doch gerade die Amsel geht aus der „Stunde der Wintervögel“ hervor wie ein Phönix aus der Asche: mit 1178 Beobachtungen Nummer zwei der rheinisch-bergischen Rangliste 2017 (knapp hinter dem auch schon oft totgesagten Haussperling), bezeugt in 98 Prozent aller Gärten, plus 18 Prozent im Verhältnis zum Vorjahr, als sie auf Platz vier lag und gerade eine Einbuße von 16 Prozent zu verzeichnen hatte. Damals war die Kohlmeise sich mit einem Plus von 22 Prozent aufgefallen. Es geht eben rapide auf und ab bei den kleinen Vögeln. Alle Experten warten nun gespannt auf den Mai und die „Stunde der Gartenvögel“. Dann sind die Wintergäste weg und dafür die Zugvögel wieder da.

Wer sich an der Zählung der Wintervögel beteiligt hat, seine Ergebnisse aber noch nicht gemeldet, hat heute die letzte Gelegenheit dazu.

Die zehn häufigsten Wintervögel in Rhein-Berg 2017

1. Haussperling: in 47,8 Prozent der Gärten gesichtet, im Schnitt 4 Exemplare (minus 7 Prozent)

2. Amsel: 97,7 Prozent, 4 Exemplare (plus 18 Prozent)

3. Kohlmeise: 87 Prozent, 2,5 Exemplare (minus 49 Prozent)

4. Buchfink: 59,8 Prozent, 2,1 Exemplare (plus 14 Prozent)

5. Blaumeise: 72,1 Prozent, 1,9 Exemplare (minus 50 Prozent)

6. Star: 18,3 Prozent, 1,7 Exemplare (plus 90 Prozent)

7. Rotkehlchen: 88 Prozent, 1,3 Exemplare (plus 9 Prozent)

8. Elster: 55,8 Prozent, 1,3 Exemplare (minus 27 Prozent)

9. Ringeltaube: 33,9 Prozent, 1,2 Exemplare (minus 27 Prozent)

10. Dompfaff (Gimpel): 36,5 Prozent, 1,1 Exemplare (plus 20 Prozent).

Weitere Rückgänge: Haubenmeise minus 82 Prozent, Tannenmeise minus 69, Sumpfmeise minus 66, Kleiber minus 57, Schwanzmeise minus 48, Buntspecht minus 42, Stieglitz minus 36.

Meldestand 14. Januar 2017.

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