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Stauzeit ist FreizeitSo können Sie die unfreiwillige Wartezeit sinnvoll nutzen

Lesezeit 9 Minuten
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Stau auf der Autobahn kostet Zeit und meistens auch Nerven. Zehn Tipps helfen, die „Zwangspause“ zu nutzen.

Dem Stau etwas Positives abgewinnen? Zugegeben, das haben auch die meisten von uns erst mal für unmöglich gehalten. Aber dann kamen plötzlich eine ganze Reihe von Ideen und persönlichen Stau-Strategien zusammen – und schnell wurde klar: Wenn man schon mal drinsteckt, kann man die Zeit in der Tat sinnvoller nutzen, als durch die Radiokanäle zu skippen, auf die Rücklichter des voranfahrenden Autos zu starren oder sich einfach nur zu ärgern. Unsere Tipps im Überblick. (feo)

Den Kindern zuhören

Wir sind fast immer knapp dran. Nicht für die eigentliche Wegstrecke und auch nicht für die reine Fahrtzeit. Aber für das kaum vorhersehbare Verkehrsaufkommen. Trotzdem schaffen wir es wundersamer Weise immer bis zum Klingeln vors Schultor. Der Grund, warum es trotzdem  Sinn  machen kann, sich ab und an mit Schulkindern auf dem Rücksitz  in den morgendlichen Berufsverkehr zu stürzen, ist so simpel wie familientauglich: Hier kann man reden. Im Auto sitzt man zusammen. Relativ eng, den Blick nach vorne gerichtet. Nicht, dass wir uns zu Hause sprachlos gegenüber säßen. Aber im Auto gibt es keine Störfaktoren. Man ist sich gegenseitig ausgeliefert, im besten Sinne: Hier ist der Ort, wo man den Tag besprechen, das Leben sortieren kann. Oma hat Geburtstag, wir brauchen ein Geschenk. Der Lehrer hat gemeckert. Die Freundinnen sind zickig. Mathe ist so doof. Man muss sich nicht anschauen beim Fahren. Einfach nur reden. Und zuhören. von Kathrin Voss

Singen üben

Meine Mutter singt während der Hausarbeit. Meist Kirchenlieder. Als ich noch zu Hause wohnte fand ich das furchtbar, habe aber nicht zu meckern gewagt. Schließlich machte sie für uns alle die Drecksarbeit. Heute bin ich selber Mutter und singe gerne, um die schlechte Laune am Morgen zu vertreiben. Doch mein siebenjähriger Sohn ist weniger diplomatisch als ich früher seiner Oma gegenüber: „Sei leise“, schleudert Kindermund mir entgegen. Selbst Siebenjährige scheinen unter Demenz zu leiden, denn bis vor drei Jahren noch gehörten Schlaflieder am Abend zum Standard-Programm. Um den häuslichen Frieden nicht zu stören verlege ich meine Singstunde nun ins Auto. Natürlich nur, wenn ich allein unterwegs bin. Dann röhre ich lauthals mit  „Es tut mir leid, Pocahontas“, von AnnenMayKantereit etwa. Und wenn es im Stau mal gar nicht weiter geht, blättere ich auch gerne in den CD-Booklets und lerne die Texte auswendig. von Lioba Lepping

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Sprachen lernen

Täglich 40 Kilometer in die Redaktion – und abends wieder zurück. Auch ohne Stau sind das knapp zwei Stunden im Auto, jeden Tag. Das sind zehn Stunden in der Woche, etwa 40 Stunden im Monat, 500 Stunden im Jahr. Das entspricht 21 vollen Tagen oder 63 Acht-Stunden-Arbeitstagen. Das ist eine Menge Zeit. Und da stößt auch die eigene Musik-Sammlung irgendwann an ihre Grenzen. Auf die Idee, die Zeit irgendwie sinnvoll zu nutzen, bin ich ehrlich gesagt nie gekommen. Bis ich vor ein paar Wochen beim Aufräumen einen Französisch-Kursus auf CD gefunden habe. Seitdem lerne ich auf den Fahrten Französisch. Zum einen hilft mir das dabei, mich nicht über die sinnlos vergeudete Zeit zu ärgern. Außerdem lerne ich noch eine Sprache - was ich sonst in meiner Freizeit wahrscheinlich nicht machen würde. Und nicht zuletzt: Erinnert es mich jedes Mal an den geplanten Frankreich-Urlaub - im nächsten Sommer! von Felix Ohmes

Frühstücken und nachschminken

Einmal die Woche muss ich morgens nach Bonn. Obwohl ich früh aufstehe und mich beeile, fahre ich meist doch zu spät los, weil den Kindern der Kakao runterfällt, der Turnbeutel fehlt oder der Pulli nicht cool genug ist. Der Gedanke an den bevorstehenden Stau auf der A 59 lässt mir zusätzlich den Schweiß ausbrechen: Wegen des weiteren Zeitverlustes und dem sich anbahnenden Wutanfall, den ich immer kriege, wenn es stockt und nicht weitergeht. Jetzt gebe ich der unvermeidlichen Nervzeit einfach eine neue Bedeutung: Ich schmiere mir morgens ein Butterbrot, schneide Äpfel klein, zupfe Weintrauben ab und packe alles in eine Brotdose. Dazu gibt es Tee in der Thermoskanne und ab und zu Schokolade. Wenn die Kinder verstaut sind und ich im Auto sitze, nutze ich die unfreiwillige Stehzeit, um ganz in Ruhe zu frühstücken. Anschließend Krümmel abschütteln, Lippenstift nachziehen und frisch ins Büro. von Tanja Wessendorf

Hörbücher hören

Vor mir stehen Autos. Hinter mir stehen Autos. Mein Auto steht auch, nur zentimeterweise geht es vorwärts. Aber ich bin nicht im Stau. Nicht wirklich. Ich bin auf Verbrecherjagd mit Kommissar Wallander oder Carl Mørck vom Sonderdezernat Q. Ich muss vom Süden Kölns in den Norden fahren. Wenn ich gut durchkomme, bin ich 40 Minuten unterwegs. Wenn ich nicht gut durchkomme, sind es auch mal 1,5 Stunden, nach oben hin offen. Und dann gibt es noch die Tage mit der Müllabfuhr… Am Anfang habe ich mich aufgeregt, geflucht über die vergeudete Zeit im Auto. Dann fiel mir ein, dass ich nicht mehr so oft zum Lesen komme. Und habe beschlossen, die Zeit im Auto zu nutzen. Ich habe mir Hörbücher besorgt. Wenn ich Bücher lese, dann sind das selten Krimis. Erst das Autofahren hat mich zum Krimifan gemacht. Ich weiß nicht genau, woran das liegt, dass ich beim Autofahren fast ausschließlich Krimis höre. Vielleicht, weil die so spannend sind, dass sie es einem leichter machen, nicht mit den Gedanken abzudriften und am Ende wieder zurückspulen zu müssen, weil man die Hälfte verpasst hat. Zu Beginn waren es CDs. Überall flogen leere Plastikhüllen herum. Das war ein bisschen lästig. Wenn die CD zu Ende und es gerade so spannend war, musste ich warten, bis eine rote Ampel kam, damit ich endlich die neue CD einlegen konnte. Jetzt habe ich ein Abo und kann mir beliebig viele Hörbücher aufs Handy runterladen. Das schließe ich dann an den Player des Autos an. Früher war ich oft schon genervt, bevor ich ins Auto gestiegen bin. Jetzt freue ich mich manchmal richtig, die Geschichte weiterhören zu können. Es ist, als würde ich in einen geschützten Raum eintreten, in den ich immer wieder abtauchen und alles andere hinter mir lassen kann. Vorher Trubel, hinterher Trubel. Im Auto: Ruhe. Stau egal. von Jasmin Krsteski

Pauken und pöbeln

Ich schreib’s schnell und schließe dabei die Augen, damit die Scham erträglicher ist: Es geht um Kompaktkassetten. Und damit um die frühen Neunziger. Da befand ich mich am Anfang meines Studiums, und während der Vorlesungen in einem ähnlichen Zustand wie auf der Schulbank – sagen wir abwesend, das klingt neutral. Um die ersten Prüfungen zu bestehen, musste ich mir etwas einfallen lassen, denn die Anziehungskraft des Stifts in Verbindung mit den Weißräumen auf den Vorlesungsskripten war stets stärker als die rhetorische Kompetenz unseres Soziologie-Dozenten, Professor H.  Ein guter Freund hatte, wie immer, die Lösung. Da ich seinerzeit häufig zwischen Würzburg und Westerwald pendelte, empfahl er mir, auf der A3 (jener Autobahn, die seit den Achtzigern  aus einer Aneinanderreihung von Staus  besteht), statt schlechter Musik – wie er fand – die Autobahnuniversität zu hören. Von der vom Carl Auer Verlag auf Kassette gepressten Vorlesungsreihe deutscher Soziologen erinnere ich mich  an die Stimmen Theodor W. Adornos und Niklas Luhmanns, die mich zwar mehr in den Bann zogen als die des Professor H., aber auch nicht dazu beitrugen, die  Inhalte ihrer Kritischen und Systemtheorie besser zu verstehen. Aber sie dienten etwas anderem Effektiven: dem Aggressionsabbau. Das abstrakte Gerede à la: „Die Zeit, als die negative Einheit des Außersichseins, ist ein schlechthin Ideelles. Sie ist das Sein, das, indem es ist, nicht ist, und indem es nicht ist, ist“, in Kombination mit dem Stillstand auf der A3 machte mich, sagen wir rasend, das klingt neutral. Seitdem nutze ich Staus, ob auf der A3 oder Inneren Kanalstraße, um meine Gallensäfte zu neutralisieren, indem ich aus den Buchstaben der mich umgebenden Nummernschilder Schimpfwörter schöpfe und laut herausrufe. Das bildet zwar nicht, aber es besänftigt. von Caroline Kron

Telefonieren

Staus auf dem Weg zur oder von der Arbeit nerven. Sich stundenlang über die verstopfte Innere Kanalstraße zu quälen, ist für mich der Inbegriff von vergeudeter Zeit – und schon längst kann mich das Programm im Autoradio nicht mehr ablenken. Zu oft werden Beiträge aus der Konserve gesendet, die ich doch schon morgens gehört habe. Wie also kann ich den eigentlich nur 10 Kilometer langen Heimweg, der mich bisweilen aber über eine Stunde Fahrtzeit kostet, verschönern? Die Sommervariante war schnell gefunden: Umsteigen aufs Fahrrad und mit einem breiten Grinsen am Stau vorbeifahren. Was aber, wenn es – wie im Moment  so oft – usselig und kalt ist? Vor einiger Zeit habe ich begonnen, die Staustunden für Telefonate zu nutzen – natürlich mit der Freisprechanlage und auch nur bei  Fahrten in der Stadt, auf Strecken, die ich aus dem Eff Eff kenne. Mal  der Tochter oder den Eltern  einfach „Hallo“ sagen und hören, wie es läuft. Mal mit der Freundin quatschen und dabei vielleicht ein großes oder auch mal kleineres Problemchen besprechen – für all das bleibt im Alltag am Abend oft kaum die Zeit. Das Sprechen tut gut, es ist effektiver und dazu auch viel  persönlicher als eine What’s App Nachricht. von Angela Horstmann

Sprachnachrichten aufnehmen 

Die letzte von mir gesprochene Nachricht ist auf einer orangefarbenen Kassette gespeichert und war an meine Oma gerichtet: Sie sollte sich ein Bild machen können von unserem irrsinnig normalen Familienalltag in den 70ern. Es gab keine Dramaturgie, dafür viel Atmosphäre. Liedschnipsel, aufgesagte Gebrauchslyrik, sich zierende Kinder. Mit Stimmen, die damals so anders klangen und heute den maximalen Grad an Wehmut auslösen können. Danach wurde nur noch geschrieben. Jetzt sind sie wieder da die gesprochenen Nachrichten, Smartphone sei Dank. Sie erreichen mich von meinen jüngsten Familienmitgliedern, die tatsächlich weitschweifig ins Erzählen kommen. Auch von der ältesten Generation, die auf dieser lächerlich winzigen Tastatur immerhin noch in der Lage ist, däumlings das Lautsprecher-Zeichen zu treffen. Warum also nicht bei Stillstand mal wieder etwas laut aussprechen und aufnehmen? Irgendetwas Nettes. Einen Brief vielleicht. Ein Liebessonett. Oder, je nach Laune, ein Schmähgedicht, dem jeden Tag auf der Leverkusener Brücke mit Leichtigkeit eine Strophe hinzuzufügen wäre. Ist schon kein Vorwärtskommen,  gehen wenigstens Worte auf Reise. Vor dem Absenden vielleicht nochmal hören.  von Ina Hindrichs

Sicherheit geht vor

Bitte bedenken Sie bei all unseren Tipps: Sicherheit geht vor. Gerade durch Ablenkung passieren immer wieder schlimme Unfälle. Stellen Sie also sicher, dass Sie sich stets in erster Linie auf den Verkehr konzentrieren. Und insbesondere bei Dingen wie Schminken, Frühstücken oder zum Telefon greifen gilt: Tun Sie dies immer erst dann, wenn das Auto tatsächlich steht und der Motor aus ist. (feo)

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