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SpendenzielKindern helfen heißt auch Eltern stärken

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Ein Fluchtweg dargestellt mit einem roten Faden und Steinen als Wegmarken

Ein Fluchtweg dargestellt mit einem roten Faden und Steinen als Wegmarken

Köln – Esra, acht Jahre, malte drauflos: ihre ganze Familie. Ein schönes Bild. Nur, dass dem Vater in der gemalten Szene die Arme fehlten. Als Safiye Akbay-Ceribasi nach dem Grund dafür fragte, traf die Antwort die Beraterin des Kinderschutzbundes unerwartet. Das Mädchen antwortete: „Damit er nicht mehr die Mama schlägt.“ Renate Blum-Maurice, fachliche Leiterin beim Kinderschutzbund, erklärt: „Die Zeichnung war eine imaginäre Rettung.“

Als Teil des Netzwerks gegen häusliche Gewalt wissen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kinderschutzzentrums sofort, was in solchen Situationen zu tun ist, ohne in Panik zu verfallen. In Ruhe wurde der Fall zuerst im Team und dann mit den Eltern besprochen. Gemeinsam zogen sie die Hilfe des Jugendamtes hinzu und eine Erziehungsfachkraft besuchte die Familie fortan ein- bis zweimal die Woche. Der Vater absolvierte freiwillig ein Anti-Agressions-Training. Die Familie bekam die Möglichkeit, sich neu zu sortieren und zusammen zu bleiben. Was für Akbay-Ceribasi fast noch wichtiger ist: „Kinder bekommen so die Chance, das auszudrücken, wofür ihnen oft die Worte fehlen.“ Ihr Verhalten sei ihr Ausdruck.

Offene Sprechstunde auf der Kalker Hauptstraße

Liebe, Wut, Hoffnung, Angst. Um sie sichtbar zu machen, bedient sich die Familientherapeutin türkischer Herkunft oft künstlerischer oder anderer Methoden, die Familien miteinander ins Gespräch bringen können. Seit Februar 2016 leistet sie – finanziert von „wir helfen“ – im Kalker Laden mitten auf der Hauptstraße montags bis mittwochs Beratung und Therapie in deutscher wie türkischer Sprache.

Häufig zum Einsatz kommen verschiedene Sets therapeutischer Bildkarten. Auf den „Gefühlsmonster-Karten“ etwa zeigen kindgerechte Figuren mit wechselnden Gesichtsausdrücken und Körperhaltungen unterschiedliche Gefühle und Stimmungen. Das helfe den Kindern, aber auch Jugendlichen und Erwachsenen eigene aktuelle und ambivalente Gefühle zu erkennen und zu benennen, so die Therapeutin. „Viele Klienten sind in ihren Emotionen gehemmt oder aber sich ihrer noch gar nicht bewusst“, so Safiye Akbay-Ceribasi. Auch das sogenannte Familienbrett wird häufig eingesetzt. „Vor allem Kinder profitieren davon“, findet die Therapeutin. Auf ihm bauen Mädchen und Jungen, aber auch Erwachsene ihre Familienkonstellation mit Figuren nach – und bringen damit , oft unbewusst, auch ihre eigene Position, Räume und Grenzen im wahrsten Wortsinn auf den Tisch. „Das hilft der ganzen Familie ins Gespräch zu kommen.“

Wie im Fall der 15-jährigen Banu, die sich mit ihrer Mutter, die überdies unter Brustkrebs litt, nur noch streiten konnte, die ständig Grenzen überschritt und Regeln brach. Sie pflegt im Gegensatz zu ihren traditionell und religiös eingestellten Eltern einen eher modernen Lebensstil. Auch die Krankheit war die Familie nicht in der Lage, angemessen zu besprechen. Nach einer Empfehlung durch eine andere Familie entschlossen sich Mutter und Vater, die Familienberatung im Kalker Laden in türkischer Sprache in Anspruch zu nehmen, weil sie sich in ihr besser verstanden fühlen.

Zuerst kamen nur Mutter und Tochter zu den Gesprächen, die nach Bedarf auch mehrmals wöchentlich stattfinden, dann stieg ein männlicher Berater mit dem Vater mit ein, „um gewisse Abläufe und Dynamiken in der Familie zu bearbeiten“. Mit einem Rollenspiel konnte sich die Mutter besser in ihre Tochter hineinversetzen und -fühlen. Sie kann nun ihre Anteile an den Konflikten besser sehen. Die Tochter erlebt ihre Mutter als gefühlvoller.

Eigene Kindheit auf die Tochter übertragen

Wie sich herausstellte, hatte diese oft so gereizt und unterkühlt auf ihre Tochter reagiert, weil sie selbst ein vererbtes Muster aus ihrer eigenen Kindheit auf die Tochter übertragen hatte. „Auch ihre Mutter konnte keine Wärme geben. Auch ihre Mutter erkrankte schwer, als sie selbst sich in der Pubertät befand.“ Auch die traditionelle Hörigkeit mancher Mütter, wie die Therapeutin es nennt, können mitunter aufgebrochen werden. „Frauen, die zur Abhängigkeit und Fremdbestimmung erzogen wurden, fangen an Fahrrad zu fahren, was in vielen patriarchalen Ländern immer noch undenkbar ist. Manche entschleiern sich auch.“

Ein weiteres Feld sind Trauer oder Fluchtraumata wie bei dem heute 16-jährigen Geflüchteten, der innerlich zerrissen mit den Mitteln der Therapie Fluchtwege und Verlustschmerz verarbeiten konnte, aber auch darauf vorbereitet wurde, dass sein Asylgesuch abgelehnt werden könnte. „Es gibt Jugendliche, die sonst aus Wut auf das deutsche System straffällig werden könnten.“ Auch für solche Fälle ist Safiye Akbay-Ceribasi sieht sie sich als „Antenne“. „In solchen Situationen müssen Jugendliche auf die richtigen Leute treffen“, findet die 36-Jährige. Auch das mögliche Abdriften in den Salafismus gelten es mitunter zu verhindern.

Der Kinderschutzbund ist dort vor Ort, wo er Familien ermutigen kann. Auch mit Informationsveranstaltungen in Moscheegemeinden. „Am besten funktioniert in dem Bereich Mund-zu-Mund-Propaganda.“ Viel Vertrauen hat die Familientherapeutin damit aufgebaut. Noch ein Jahr ist ihre Arbeit sicher. Eine Anschlussfinanzierung ist noch nicht in Sicht.

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