Leben mit Spina BifidaMittendrin statt nur am Rand – Einzug der Mieter in Wohnprojekt

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Eine eigene Küche hat Sarah Kaufmann in ihrem Apartment, der Blick vom Balkon geht hinüber zur Hippolytus-Kirche.

Eine eigene Küche hat Sarah Kaufmann in ihrem Apartment, der Blick vom Balkon geht hinüber zur Hippolytus-Kirche.

Troisdorf – Richtig lang wird in Zukunft für Sarah Kaufmann der Weg zur Arbeit sein. In Meckenheim arbeitet die 24-Jährige in der Büroabteilung der Bonner Werkstätten, täglich wird sie nun von Troisdorf dorthin pendeln, wo sie bislang auch wohnte.

Doch das nimmt sie gerne in Kauf: „Es war meine eigene Wahl“, betont sie, „so weit es geht selbstständig leben zu können“: Denn in Troisdorf bezieht die junge Frau im Rollstuhl ihre erste eigene Wohnung. Mit dem Einzug der Mieter in das Wohnprojekt der Josefs-Gesellschaft findet ein langer Prozess einen vorläufigen Abschluss.

Stark gefragt sind Wohnungen für Menschen mit Behinderungen; seit 2009 war daher die Josefs-Gesellschaft auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück für das Wohnhaus, das Menschen mit und ohne Behinderung ein Zuhause sein sollte.

„Perfekt“ nennt nicht nur Daniel Scherdin die Lage auf dem Grundstück des ehemaligen Canisisushauses; die zentrale Situation an der Kirche Sankt Hippolytus, nur einen Steinwurf entfernt von der Fußgängerzone, war ein grundlegendes Kriterium für die Bauherren.

Nicht am Rand, sondern mittendrin, sollten die Bewohner leben. „15 Minuten mit dem E-Rollstuhl, dann bin ich da“, beschreibt Daniel Scherdin (32) den Weg zu den Eltern, die unweit des Krankenhauses Sankt Josef wohnen. Kino, Geschäfte, Gaststätten – alles vor der Haustür.

„Ein bisschen Bammel habe ich natürlich“, räumt Sarah Kaufmann dennoch ein. „Es ist ja was komplett neues nach dem Hotel Mama und Papa“.

Aber: „Ich freue mich sehr“. Und viele ihrer Mitbewohner kennt sie schon lange, denn aus der Spina-Bifida-Selbsthilfegruppe, die stets zu den treibenden Kräften hinter dem Projekt gehörte, ziehen acht weitere junge Menschen in die Hippolytusstraße. „Wir kennen uns von den Freizeiten“, erzählt sie, „schön, dass wir jetzt in ein Haus ziehen“. Mieter sind sie wie alle anderen Bewohner des Hauses auch, das öffentlich gefördert wurde.

Das Grundstück

1925 eingeweiht, beherbergte das Canisiushaus über Jahrzehnte hinweg Gaststätte, Lehrlingszimmer, Veranstaltungssaal und viele Vereine. Sanierung und Erhalt aber hätte die katholische Kirchengemeinde nicht leisten können.

Ende 2010 wurde das Haus geschlossen, im März 2013 an die Josefs-Gesellschaft verkauft – unter erbittertem Protest der Gegner. Fledermausvorkommen im Dachboden und Denkmalwert führten sie an – letztlich ohne Erfolg.

Zu Jahresbeginn 2015 wurde das Haus abgerissen, Ende des Jahres 2015 wuchsen die Kellermauern des Neubaus über die Bodenkante. (dk)

So lange die Suche nach dem richtigen Grundstück dauerte, so schnell füllten sich die zur Verfügung stehenden 38 Plätze. „Relativ schnell gab es eine Warteliste“, berichtet Projektleiter Marcel Stephan von der Josefs-Gesellschaft; kein Wunder bei 60 oder 70 Familien in den Selbsthilfegruppen Spina Bifida Hydrocephalus NRW und „Villa Well“., die von Anfang an die Entwicklung des Projekts begleiteten

„Sarah weiß seit 2015, dass sie hier einzieht“, berichtet Mutter Kornelia Kaufmann. In ein Apartment; dann, wenn auch die letzten noch fehlenden Details fertig sind. Küche und Möbel stehen schon.

Eine Etage tiefer hat Daniel Scherdin sich schon ein bisschen eingelebt, eine der zwei Wohngemeinschaften mit jeweils sechs Personen gibt es hier, mit gemeinsamer Küche und Aufenthaltsraum.

Pflegedienstleitung und die Koordinatorin sind stets ansprechbar

Die Bewohner sind nicht auf sich gestellt: Die Pflegedienstleitung und die Koordinatorin für Dinge des Alltags sind stets ansprechbar: „So selbstständig wie möglich, so viel Hilfe wie nötig“. Beim Kochen wird Daniel Scherdin Hilfe brauchen, „für Nudeln und Reis reicht es“, erklärt hingegen Sarah Kaufmann.

Ganz wird die junge Frau auf den Beistand der Eltern nicht verzichten müssen: „Eine Schlafcouch“, verrät Mutter Kornelia und klopft auf das neue Sofa. Auch Daniel Scherdin vermutet: „Anfangs fahre ich die Eltern bestimmt oft besuchen.“ Aber „dann werde ich soweit wie möglich meine Wege alleine finden.“

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