Interview mit Kriminologe Pfeiffer„Nordafrikaner sind öfter straffällig“

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Kriminologe Christian Pfeiffer.

Prof. Christian Pfeiffer ist Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Das KFN ist ein unabhängiges Forschungsinstitut. Von 2000 bis 2003 war er SPD-Justizminister in Niedersachsen.

Herr Pfeiffer, die Statistik 2016 belegt eine stark gestiegene Kriminalität unter Zuwanderern. Ihre Zahl unter den Tatverdächtigen ist im Vergleich zum Vorjahr um 53 Prozent gestiegen. Gilt das für alle Zuwanderergruppen gleichermaßen?

Nein, hier gibt es deutliche Unterschiede. Wenn man die Zahl der Straftaten ins Verhältnis setzt zur Gesamtzahl der Zuwanderer aus dem jeweiligen Land, werden Syrer, Iraker und Afghanen im Vergleich zu anderen Nationalitäten seltener straffällig. Zuwanderer aus Nordafrika und auch aus Osteuropa werden dagegen deutlich häufiger straffällig.

Woran liegt das?

Auf jeden Fall nicht daran, dass der Nordafrikaner böser ist als der Syrer. Das hat ganz klar mit den Perspektiven zu tun. Kriegsflüchtlinge aus arabischen Ländern haben eine gute Perspektive hierzubleiben. Die Nordafrikaner allerdings, die unter Lebensgefahr eine lange, beschwerliche Reise übers Meer hinter sich gebracht haben, erfahren hier, dass sie als Wirtschaftsflüchtlinge keine Perspektive haben. Das führt dann zu massiven Frustreaktionen, wie wir es in der Silvesternacht gesehen haben. Es fördert die Risikofreude und das Gefühl, hier nichts zu verlieren zu haben.

Inwiefern spielt das Alter der Flüchtlinge eine Rolle?

Das ist ein zentraler Punkt. Bei uns betrug der Anteil der männlichen 14- bis 30-Jährigen 2014 neun Prozent. Sie waren aber damals für 60 Prozent der Gewaltdelikte verantwortlich. Gerade bei der Gruppe der Nordafrikaner gehören aber 61 Prozent dieser Gruppe an, weil primär sie die gefährliche, beschwerliche Überfahrt übers Mittelmeerwagten. 70 Prozent aller einer Gewalttat verdächtigter Zuwanderer sind in dieser Altersgruppe.

Welche politische Forderung leiten Sie im Hinblick auf die Flüchtlinge aus Nordafrika daraus ab?

Wir müssen viel mehr Geld in die Hand nehmen, um freiwillige Rückführprogramme aufzulegen. Wenn die Zielgruppe mitmacht, geht das schnell und reibungslos. Der Weg der Abschiebung ist dagegen mühselig, zeitintensiv und teuer. Meiner Meinung nach wäre das gut angelegtes Geld angesichts von Milliardenüberschüssen, die der Staat erwirtschaftet. Bei attraktiven Beträgen kommt so mancher Flüchtling ins Nachdenken.

Glauben Sie tatsächlich, dass eine nennenswerte Zahl unter diesen Umständen zurückkehren würde?

Davon bin ich überzeugt. Denn das Leben hier in Deutschland in der Illegalität ist sehr kraftraubend. Es gibt keine Gesundheitsvorsorge, man muss sich ständig verstecken. Mit einem ordentlichen Startgeld könnten sie in Nordafrika neu anfangen.

Aber die kriminellen Intensivtäter, die von ihren Raubdelikten gut leben können, werden Sie damit nicht erreichen ...

Das stimmt. Hier brauchen Sie als zweite Säule eine Stärkung der Polizei. Sie müssen systematisch das Risiko erhöhen, erwischt zu werden. Das gilt auch im Hinblick auf die große Gruppe der Zuwanderer aus Osteuropa.

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In den Flüchtlingsunterkünften herrscht sehr viel Aggression und die Menschen sind durch das Warten psychisch stark belastet. Wenn die Hälfte der in Niedersachsen zur Zeit lebenden Flüchtlinge mindestens sechs Monate auf die Entscheidung warten muss, erhöht sich das Gewaltpotenzial, weil der Frust steigt. Auch unter Syrern, Irakern und Afghanen. Hier müssen wir erstens die Verfahren durch Aufstocken des Personals straffen. Zweitens müssen wir aber jetzt, da die Einrichtungen nicht mehr so überfüllt sind, besser schauen, welche Zuwanderergruppen zueinander passen. Wenn Sunniten und Schiiten zusammen wohnen müssen, ist das keine gute Idee. Wer im Krieg Feind ist, kann nicht gut zusammenleben.

Was halten Sie angesichts der großen Zahl frustrierter allein lebender junger Männer davon, dass die Bundesregierung den Familiennachzug für Asylsuchende ausgesetzt hat. Ist das nicht kontraproduktiv?

Absolut. Der Familiennachzug ist der Befriedungsfaktor Nummer eins. Wenn junge Männer ihre Familie bei sich haben oder für ein Kind verantwortlich sind, sinkt deren Gewaltpotenzial markant. Das haben wir sowohl bei den türkischen Migranten als auch bei den Zuwanderern aus Jugoslawien beobachtet: Mit dem Familiennachzug sank die Jugendgewalt.

Wirkt sich dieser Faktor auch auf die Quote bei den Sexualdelikten aus?

Auf jeden Fall. Anders als bei den Gewalt- und Raubdelikten, bei denen Nordafrikaner überproportional vertreten sind, werden bei den Sexualdelikten von Flüchtlingen 50 Prozent von Zuwanderern aus Syrien, Irak und Afghanistan begangen, die alleine ohne Familie in der Warteschleife verharren. Aus diesen Zahlen müssen wir lernen.

Welche Quintessenz ziehen Sie daraus?

Wir sollten die, die gehen müssen, schneller los werden und uns auf Kriegsflüchtlinge konzentrieren. Wenn uns dies gelingt und dadurch die Zahlen weiter sinken, sollten wir den Familiennachzug wieder ermöglichen. Das wäre intelligente Kriminalitätsbekämpfung.

Das Gespräch führte Alexandra Ringendahl

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