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FrankreichGewerkschaft attackiert Macron

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Macrons Reformpläne sind stark umstritten.

Macrons Reformpläne sind stark umstritten.

Paris –  Von seinem Büro im fünften Stockwerk aus hat Jean-Claude Mailly einen weiten Blick über die Dächer von Paris - und über die politische Zukunft seines Landes. "Diese Arbeitsreform wird nicht durchgehen", prophezeit der Generalsekretär der Gewerkschaft Force Ouvrière (FO), und auf Französisch klingt das "passe pas" fast so kategorisch wie der Republikanerslogan "no pasarán" im spanischen Bürgerkrieg.

Nicht, dass Mailly aus Prinzip gegen jede Neuerung wäre: "Wir sind eine reformerische Gewerkschaft", betont der 64-jährige Nordfranzose, der seit 2004 an der FO-Spitze steht und einer der bekanntesten, jedenfalls beständigsten Gewerkschaftsvertreter seines Landes ist.

Sogar über die "heißen" Punkte von Macrons Reform würde Mailly mit sich reden lassen. Als Beispiel nennt er die geplante Deckelung der Abfindung bei betriebsbedingten Entlassungen. Macron will einen solchen Plafond einführen, damit die Lohnkosten für die Arbeitgeber berechenbar werden und indirekt mehr Jobs geschaffen werden. "Ich glaube nicht, dass erleichterte Entlassungen die Arbeitslosigkeit bekämpfen ", entgegnet Mailly. "Aber wir lassen mit uns reden, sofern die Höhe der Abfindung korrekt ist und der Arbeitsrichter in gerechtfertigten Fällen davon abweichen kann."

Das Problem für Mailly ist: "Macron will die ganze Philosophie des Arbeitsrechts umstürzen. Es beruht in Frankreich zu 95 Prozent auf Branchenabkommen, fast doppelt so viel wie in Deutschland", führt der in einem Jahr in Rente gehende FO-Sekretär aus. "Macron will aber die Verhandlung auf die Betriebsebene verlagern und dadurch das ganze Arbeitsrecht aushebeln."

Bei den Löhnen und Überstunden, der Arbeitszeit, Sicherheit und Gesundheit sollen sich die Sozialpartner der einzelnen Unternehmen auf eigene Regeln einigen können. Und wenn sich die Gewerkschaften querlegen, sollen firmeninterne "Referenden" (Betriebsabstimmungen) entscheiden.

Die genauen Gesetzesbestimmungen sind zwar noch offen. Für Mailly ist aber klar, dass die Arbeitsmarktreform indirekt auch auf eine Entmachtung der - auf Branchenebene starken - Gewerkschaften abzielt. Zudem wäre es ein totaler Bruch mit den staatstragenden französischen Traditionen, wenn Unternehmen arbeitsrechtliche Bestimmungen außer Kraft setzen könnten.

"Das wäre inakzeptabel", meint Mailly, und dieses Wort wiederholt er immer wieder. So namentlich in Bezug auf die Absicht, es den Firmen zu überlassen, die Entlassungsgründe festzuschreiben. Ins Spiel gebracht hat die Idee Premierminister Edouard Philippe, ein gemäßigter Konservativer. Seine eigene Arbeitsministerin Muriel Pénicaud hat sich davon distanziert.

Macron will das Gesetz in den letzten Julitagen durch die Nationalversammlung peitschen. Wenn er diesen Sonntag wie erwartet im zweiten Wahlgang der Parlamentswahlen eine Regierungsmehrheit erhalten sollte, wird er versuchen, sich im Parlament eine Blankovollmacht zur Beschlussfassung per "ordonnance" (Dekret) zu holen. Erhält er sie im Juli von der Nationalversammlung, will er, wie er sagte, das neue Arbeitsrecht bis zum 21. September per Federstrich in Kraft setzen.

In den letzten Tagen hat der Präsident sämtliche Sozialpartner im Élysée-Palast empfangen. CGT-Chef Philippe Martinez hat aber klargemacht, dass er von diesen Verhandlungen nichts erwartet; er plant nach den Sommerferien bereits Gegenmaßnahmen in Form von Protesttagen. Die CFDT, die eine erste, weniger weitgehende Arbeitsmarktreform unter Ex-Präsident François Hollande mitgetragen hatte, hält das Macron-Projekt für "unausgeglichen", schlägt aber die Tür nicht zu.

Force Ouvrière kommt zwischen CGT und CFDT eine Schlüsselrolle zu. Mailly warnt die Regierung: "Wenn sie weiterhin inakzeptable Vorschläge macht, gehen die Verhandlungen schnell zu Ende." Und seine Truppen auf die Barrikaden. Der FO-Boss räumt ein, dass nicht viel Zeit bleiben würde, wenn man den Ferienmonat August abrechnet. Aber er ist entschlossen zu kämpfen.

Macron sollte eines nicht vergessen, meint Mailly: "Der Volkszorn bleibt in Frankreich auch nach den Wahlen groß. Macron hat die Präsidentschaftswahlen nur gewonnen, weil ihn die Linke im zweiten Wahlgang gegen die Nationalistin Marine Le Pen unterstützte. Und im ersten Durchgang der Parlamentswahlen ist die Stimmbeteiligung auf ein historisches Tief gesunken: Erstmals seit Kriegsende ist mehr als die Hälfte der Wähler zu Hause geblieben." Macrons demokratische Legitimität sei schwach. Und in Frankreich steht dagegen stets die sozialpolitische Legitimität - die der Straße.

So lautet auch die Frontstellung bei der Arbeitsmarktreform. Und beide Seiten wissen: Es geht um Sein oder Nichtsein. Frankreichs ohnehin schwache Gewerkschaften - nur acht Prozent der Erwerbstätigen sind ihre Mitglieder, nicht einmal halb so viele wie in Deutschland - verlören ihre letzte Widerstandskraft, wenn sie das neue Arbeitsrecht schlucken müssten. Wenn hingegen Macron einlenken muss, stünde er schon nach wenigen Monaten im Amt da wie Napoleon zuletzt bei Waterloo. Darüber hinaus steht das Schicksal Frankreichs auf dem Spiel: Der Arbeitgeberverband Medef hält die Macron-Reform für unerlässlich, um die lahme Landeswirtschaft wieder auf Trab zu bringen und sie auf EU-Niveau zu heben. Jean-Claude Mailly will hingegen das seit dem Krieg gewachsene Arbeitsrecht bewahren. Das Dumme ist: Beides zusammen geht wohl nicht.

Drei Gewerkschaften

Force Ouvrière (FO), zu Deutsch "Arbeiterkraft", ist eine der drei großen französischen Gewerkschaften.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Force Ouvrière von der kommunistischen, damals moskauhörigen CGT abgespalten; bis heute legt sie Wert auf ihre politische Unabhängigkeit. Stark im öffentlichen Sektor, nimmt sie heute oft Positionen zwischen der gemäßigten CFDT und der radikaleren Gewerkschaft CGT ein. (bra)

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