Persönliche BegegnungenKölner Weggefährten erinnern sich an Kardinal Joachim Meisner

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Kardinal Joachim Meisner.

Köln – Wir haben Kölner Weggefährten von Alice Schwarzer („Emma“-Herausgeberin) bis Christoph Kuckelkorn (Präsident des Festkomitees Kölner Karneval) nach ihren Erinnerungen an Joachim Kardinal Meisner gefragt.

Alice Schwarzer, „Emma“-Herausgeberin:

Ja, ich mochte ihn. Diesen schroffen, wortgewaltigen Schlesier im rheinischen Köln, wo er so deplatziert war. Am meisten beeindruckt hat mich seine Menschlichkeit und sein fast kindlicher Glaube.

Zum ersten Mal war ich Kardinal Meisner im Flugzeug begegnet. Das war im Jahr 1988. Beim Aussteigen in Köln sprach er mich an: „Ich habe Sie gestern im Fernsehen gesehen und war beeindruckt von Ihrem Mut und entsetzt über die Kälte Ihrer Gegnerin. Ich habe Sie darum in mein Gebet eingeschlossen.“ Ich erwiderte: „Das ist sehr lieb. Ich kann es gebrauchen.“ Ich hatte im Fernsehen mit einer als links ausgewiesenen Soziologie-Professorin ein Streitgespräch über Pornografie gehabt. Meine Gegnerin argumentierte vehement pro Porno, was in dem Satz gipfelte: „Ich finde Pornos geil.“

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„Ein sehr persönliches Gespräch“

Die zweite Begegnung war bei einem Empfang, die dritte 1994 im Bayenturm. Er kam in Begleitung von Kaplan Woelki, heute sein Nachfolger. Wir stiegen bis hinter die Zinnen und warfen einen Blick zum Dom. Sodann setzten wir uns zu zweit in eine der Nischen zum Gespräch. Es wurde ein sehr persönliches Gespräch. Ich fragte Joachim Meisner nach seiner Mutter, die ihn und die Geschwister in Schlesien allein aufgezogen hatte, und nach seinen Geschwistern, die sich mit ihrer Hände Arbeit ernähren. „Nehmen die Ihren Beruf überhaupt ernst?“ fragte ich. „Bei so gepflegten Händen und so schönen Ringen?“ Da musste er laut lachen. Und dann stellte er mir Fragen nach meinem Leben. Das erlebe ich selten, dass zurückgefragt wird.

Die vierte Begegnung war virtuell. In Köln hatte ein katholisches Krankenhaus Anfang 2013 einer vergewaltigten Frau die „Pille danach“ verweigert. Kardinal Meisner befürwortet das. Daraufhin bezichtigte ich ihn auf EMMAonline der „Scheinheiligkeit“. Acht Tage später veröffentlichte der Kardinal eine Erklärung, darin hieß es u.a.: „Die Ärzte in katholischen Einrichtungen sind aufgefordert, sich rückhaltlos der Not vergewaltigter Frauen anzunehmen. (...) Wenn nach einer Vergewaltigung ein Präparat mit der Absicht eingesetzt wird, die Befruchtung zu verhindern, dann ist das aus meiner Sicht vertretbar.“

„Über Abtreibung haben wir nie gesprochen“

Ausgerechnet der Kardinal, der in der Vergangenheit die Abtreibung auch schon mal als „Babyholocaust“ bezeichnet hatte, ausgerechnet er machte also nun einen kleinen Schritt auf uns zu. Übrigens: Über Abtreibung habe ich nie mit Meisner gesprochen. Uns war beiden klar, dass unsere in diesem Punkt so gegensätzlichen Meinungen unveräußerlich sind.

Zum letzten Mal habe ich ihn vor rund einem Jahr gesehen. Er hatte mich in seinen Alterssitz in der Dompropstei zum Kaffee eingeladen. Auf seinem Schreibtisch stand das gerahmte Foto seiner Mutter. Und wie immer war es ein recht persönliches Gespräch. Wir hatten es beide gerade nicht leicht.

Da holte er aus seiner Bibel einen Zettel und pappte auf die Rückseite einen gelben Aufkleber, auf den er in seiner etwas altmodischen, präzisen Schrift schrieb: „Gebetszettel aus meinem Brevier für Sie!“ Auf dem Zettel stand in Druckbuchstaben ein Gedicht der Heiligen Teresa von Avila, Meisners „Lieblingsheilige“. Es beginnt mit den Worten: „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe.“ Tröstlich. Wir versprachen, uns in nicht allzu großer Ferne wiederzusehen.

Barbara Schock-Werner, Dombaumeisterin a.D.

Barbara Schock-Werner im Dom vor dem Fenster von Künstler Gerhard Richter, dessen Gestaltung Kardinal Meisner strikt ablehnte.

Barbara Schock-Werner im Dom vor dem Fenster von Künstler Gerhard Richter, dessen Gestaltung Kardinal Meisner strikt ablehnte.

Wir hatten sehr unterschiedliche Vorstellungen – sei es von der Rolle der Frau in der Gesellschaft oder von Kirchenraum. Am deutlichsten zeigten sich die konträren Ansichten dann am Querhausfenster von Gerhard Richter. Meisner hat das gesamte Fensterprogramm für den Dom, das ich angestoßen hatte, nicht kommentiert, er hat nicht mit mir gesprochen, und auch nicht mit Gerhard Richter, obwohl wir ihm natürlich  angeboten hatten, zu reden.

Differenzen wegen Richter-Fenster

Wir lasen in der Zeitung, er halte das Fenster für „beliebig“, es passe „besser in eine Moschee“ und vieles mehr. Ein schöner Moment war Meisners 75. Geburtstag, den er mit 40 Bischöfen aus ganz Deutschland im Dom feierte:  Eine wunderbare Wintersonne schien durch das Richter-Fenster, die Strahlen mischten sich mit Weihrauch – nie brach das Licht schöner. Viele Bischöfe verbargen ihre Verzückung nicht. Ich habe das seinerzeit als göttlichen Hinweis genommen. 

Willibert Pauels, Karnevalist und Diakon

Willibert Pauels

Willibert Pauels

Ich habe mich in meinen Büttenreden ja immer mal gerne über den Kardinal Meisner, oder wie er bei mir hieß, den „Kanalmeister“ lustig gemacht. Das kam beim Publikum in den Karnevalssälen stets  gut an. Und auch der Kardinal selbst war darüber nie sauer. Er wusste doch genau, dass ich ihn mit meinen Pointen nie verletzen wollte. Er kannte meine Loyalität dem Bischof gegenüber.

„Abendgebet bei ihm geklaut“

Zudem habe ich mein tägliches Abendgebet bei ihm geklaut, oder besser gesagt übernommen.  Immer wenn ich in meinem Bett unter die Decke krieche, mache ich ein großes Kreuzzeichen und bete: „Mit einem großen Kreuz decke ich mich zu.“ Und dazu bete ich für den alten Bischof und den jungen Bischof, den Woelki. Beide sind also auch täglich in meinem Gebet mit drin.

Im Moment bin ich im Urlaub in Seefeld in Tirol und genieße die wunderschöne Aussicht auf die imposante Bergwelt.  Am Morgen habe ich noch die Laudes des Tages gebetet, die mit einem Psalm anfing: „In deinem Licht sehen wir das Licht.“ Wahrscheinlich dieselben Verse, die auch Kardinal Meisner noch gebetet hat, ehe er dann friedlich eingeschlafen ist. Es heißt ja, er solle sein Brevier noch in der Hand gehalten haben. Ich wünsche ihm, dass er jetzt in diesem Licht ist und dass es ihm gut geht.

Franz Meurer, Pfarrer

Pfarrer Franz Meurer

Pfarrer Franz Meurer

Einmal bin ich persönlich zu ihm bestellt worden, als wir Spenden für die Moschee in Ehrenfeld gesammelt haben. Der Kardinal wollte keine Kritik äußern, er sagte bloß, wir sollten doch bitte auch für die Ordensschwestern in Afrika sammeln.

Einmal kam Meisner abends im Bademantel in unsere Gemeinde: Das war, als es einen großen Wettbewerb für den Neubau von St. Theodor gab und die Entwürfe bei uns ausgestellt waren: Er  hat sich die Entwürfe im Morgenmantel angeschaut, wir haben ein bisschen geredet – jeden, den er ein bisschen mochte, hat er geduzt – und ist wieder gefahren. Ich habe ja nie für den Kardinal gearbeitet, ich arbeite immer für den Herrgott, es heißt ja nicht umsonst: Gehe nie zu Deinem Fürst, wenn Du nicht gerufen wirst. Deswegen sind wir uns gar nicht so oft begegnet.

Was Kardinal Meisner im Wege stand, war wohl sein Selbstverständnis, als Wachhund Gottes dienen zu wollen. Der Ansatz, immer etwas bewachen zu wollen, ist eher schwierig.

Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees

Meisner 2011 mit Dreschflegel beim Besuch des Dreigestirns

Meisner 2011 mit Dreschflegel beim Besuch des Dreigestirns

Der Kölner Karneval hat Joachim Kardinal Meisner schon viel zu verdanken. Obwohl waschechter Imi, war er dem Karneval und dem Festkomitee während seiner gesamten Amtszeit recht eng verbunden. So  hat er  mit uns gemeinsam in der Session 2007 den Gottesdienst für Kölner Karnevalisten ins Leben gerufen, das feierliche Pontifikalamt zwei Tage vor der Proklamation. Das ist ja inzwischen auch schon Tradition in Kölle.

Auch die Dreigestirne hat er alljährlich in seiner Residenz empfangen, mit den Tollitäten gescherzt und auch mal gerne die Kopfbedeckungen getauscht. Und wenn die Pressevertreter  gehen mussten und sich die Kirchenleute und die Fastelovendsoffiziellen  zur Kaffeetafel mit schlesischem Mohnkuchen zurückzogen – dann war Meisner ganz Mensch und nicht mehr Institution.

„Viel und lange miteinander geplaudert“

Seine menschliche Seite habe ich vor allem kennen und schätzen gelernt, als uns der frühere  Kölner Erzbischof mit dem Dreigestirn im Anfang Februar  2011 zu Papst Benedikt XVI. nach Rom  begleitet hat. Das Zusammentreffen hatte Meisner ja im Vorfeld mit organisiert und auch eingetütet, dass Markus Ritterbach dem Papst unseren Orden umhängen durfte. Bei dieser Audienz im Vatikan war dann ja  auch das Motto für die nachfolgende Session entstanden: „Jedem Jeck sing Pappnas“.

Zudem führte Meisner uns damals in seinen römische Pfarrkirche und in seine nahe gelegene Lieblings-Pizzeria. Da haben wir viel und lange miteinander geplaudert und einen wunderbaren Abend verbracht. An dem Abend habe ich den Kardinal als einen gesprächigen und  liebenswerten Menschen kennengelernt. Das vergesse ich nie. Wir Karnevalisten verlieren mit Kardinal Meisner einen Freund und Unterstützer.

Norbert Feldhoff, Generalvikar a.D.

Feldhoff

Kardinal Joachim Meisner 2004 mit Norbert Feldhoff (l.).

Kardinal Meisner war 55, als er nach Köln kam. Vor der Europawahl 1989 sagte er beiläufig, dass er zum ersten Mal in seinem Leben wählen gehe. In der DDR hatte er bewusst nie gewählt, weil er da ja keine Wahl hatte. Er kam aus der kirchlichen Diaspora in einem kommunistischen Staat – das erklärt auch, warum die demokratische Welt nicht immer ganz einfach für ihn war. Als es um den Neubau des Kolumba-Museums ging, habe ich ihm dringend geraten, die kirchlichen Gremien zu fragen, bevor ein Architektenwettbewerb startet. Solche Bauten können für unheimlich viel Ärger im Bistum sorgen. Hat er dann auch gemacht, obwohl es nicht unbedingt seine Art war. Und es war gut, die Rückdeckung zu haben.

Zum ersten Mal begegnet bin ich Meisner in Erfurt, als er noch Bischof in Berlin und ich Generalvikar unter Kardinal Höffner war. Er bemitleidete mich und sagte, als Generalvikar habe man es ja schwer. Er schickte mir danach eine Nepomuk-Figur aus Holz – Johannes Nepomuk war der einzige Generalvikar, der je heiliggesprochen wurde. Einige Jahre später, nach seiner Wahl zum Erzbischof rief er mich an. Mir war es peinlich, ihn auf die Nepomuk-Figur anzusprechen, er fragte mich aber sofort, ob ich sie noch hätte. Kurz danach, bei einem Besuch in Berlin, sagte er mir, viele Kölner hätten ihn vor mir als Generalvikar gewarnt. Dennoch  hat er mich ernannt.

Gebet für die nackte Feministin

Beeindruckt hat mich, wie ruhig er geblieben ist, als diese Aktivistin von Femen nackt auf den Dom-Altar gesprungen ist. Im Grunde wird ein solcher Altar durch eine solche Aktion entweiht. Kardinal Meisner hat deshalb, bevor er die Messe fortgesetzt hat, ein besonderes Gebet gesprochen und vor dem Segen  – soweit ich mich erinnere – für diese Frau gebetet. Zuletzt haben wir uns am 28. Juni bei einem Treffen in unserem Garten unterhalten, Kardinal Meisner war geistig rege wie eh und je, wirkte aber körperlich etwas geschwächt.  

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